Album Nr. 11 des selbsternannten God Of Fuck
Lange ist es her, dass Marilyn Manson Amerikas Staatsfeind Nr. 1 war. Wer soll noch einen Goth mittleren Alters fürchten, wenn ein echtes Monster im Weißen Haus sitzt, Soldaten die Straßen patrouillieren und Jahrzehnte aufgestauten Frusts über soziale Ungerechtigkeit sich jeden Augenblick zu entladen drohen? Mit seiner elften Platte will Manson nicht das Böse, die Finsternis oder das Chaos heraufbeschwören, sondern die Schrecken kommentieren, die schon längst da draußen sind. „I can stick a needle in the horror and fix your blindness“, grummelt er auf ›Red Black And Blue‹, dem genüsslich bedrohlich klingenden Opener von WE ARE CHAOS. „My eyes are mirrors/ All I can see is gods on the left and demons on the right“. Diese barocken, unheilvollen Proklamationen sind Mansons Brot und Butter und WE ARE CHAOS strotzt vor ihnen (auch wenn ›Infinite Darkness‹, der einzige Song, der den großen Zeh noch mal in den Industrial-Goth-Lärm taucht, auf dem er sein Reich einst aufbaute, den Käpt’n-Offensichtlich-Preis verliehen bekommt für die Worte „You’re dead longer than you’re alive“). Beschädigung als stilistische Wahl wird unterdessen auf ›Perfume‹ seziert – und Manson sollte darüber besser als die meisten Bescheid wissen, wurde er doch von GQ als einer der stylishsten Männer 2019 ausgerufen. Das ist alles gewollt abstrakt, geschwärzte Poesie, über die man nachdenken soll und die sich in die gelebte Erfahrung jedes Hörers einfügen soll. Und das würde natürlich darauf bauen, dass man sich die Platte mehr als einmal anhören will, was eher fragwürdig scheint. Das „Shock and awe“-Prinzip des Manson von einst glänzt hier durch Abwesenheit. Das Titelstück ist mit seinem hymnischen, anstachelnden Refrain auf dem Grat zwischen Rock’n’Roll und Musical ein Höhepunkt und klingt, als sei es direkt aus dem Songbook von My Chemical Romance rübergeschlendert, inklusive der Außenseitersolidarität seiner Kernaussage: „We are sick, fucked up and complicated/We are chaos, we can’t be cured“.
Danach wird es aber leider unfokussiert, mal überfüllt und unverdaulich auf dem Beatles-esken ›Paint You With My Love‹, dann wieder farb- und belanglos auf dem doomigen ›Half-Way & One Step Forward‹. Die Bowie-Einflüsse aus Mansons MECHANICAL ANIMALS-Ära schimmern im üppig mit Streichern instrumentierten ›Don’t Chase The Dead‹ durch, doch nach einem aufregenden Anfang wird das Album immer austauschbarer und der God Of Fuck wirkt gegen Ende zusehends kraftloser. Nichtsdestotrotz ist es schön, den König des modernen Unfugs wieder dabei zu erleben, wie er sein milchiges Auge auf den Schlamassel wirft, in dem wir uns befinden.
7 von 10 Punkten
Marilyn Manson, WE ARE CHAOS, CAROLINE/UNIVERSAL