Ein paar Monate, nachdem Lemmy rausflog, wurde er bei einem Pink-Fairies-Auftritt im Londoner Marquee gesehen. Als guter Freund der Band saß er am Clubeingang – ausgerechnet an der Kasse. Konnte das gut gehen? Nein, natürlich nicht. Er brannte mit den Einnahmen durch für ein „Dirty Weekend“ in Frankreich. Natürlich in weiblicher Begleitung. „Ich mag Girls, das ist mein Ding“, sagte der Rickenbacker-Liebhaber gern. „Ich habe herausgefunden, dass man Frauen dazu bringen kann, ihre Klamotten auszuziehen, wenn man eine Gitarre hat. Und die Hüllen fallen sogar noch schneller, wenn man auf der Gitarre auch spielen kann.“ Weil er als pointierte Anekdotenmaschine in regelmäßigen Abständen brillierte, wurde das System „Fabulieren mit Humor“ zu einem seiner Markenzeichen. In Interviews konnte Lemmy immer wieder zu großer Form auflaufen – und, einmal in Rage geredet, sparte „der Helmut Schmidt des Hardrocks“ selten mit Kritik. Tiraden gegen Politiker hat Mr. Kilmister in unzähligen Schattierungen ausgeteilt. Im Jahr 1995 sagte er in einem Interview: „Ich habe viele Politiker kommen und gehen sehen, und es waren immer die gleichen affektierten Scheißkerle, die Babys küssen und Bergarbeitern nach falschen Versprechungen die Hände schütteln. Ich stimme keinem Politiker zu, ich halte sie alle für Wichser“. War um Lemmy dann ausgerechnet Todd Singer man, einen Kommunalpolitiker aus Kalifornien, zu seinem Manager machte, ist ein echter Widerspruch in seinem Leben. Und davon gab es sogar einige – darunter ein paar sehr kuriose: Als Lemmy für NO MORE TEARS von Ozzy
Osbourne vier Songtexte schrieb (für ›Desire‹, ›I Don’t Wanna Change The World‹, ›Mama, I’m Coming Home‹ und ›Hellraiser‹) war das in monetärer Hinsicht ein beeindruckender Erfolg: „Ich habe damit mehr Geld verdient als in den kompletten 80ern mit Motörhead“. Aber schließlich wurde ein Leben mit einer Band nicht erfunden, um damit möglichst viel Geld zu machen. „Ein Privatflugzeug, eine Yacht oder ein Sportwagen haben nichts mit Rock’n’Roll zu tun“, betonte Lemmy stets. Er sah etwas anderes hinter den Dingen: „Es geht darum, deine Eltern zu empören, die ganze Nachbarschaft zu vergrätzen und Mädchen flachzulegen“. Es gibt auch Bands, bei denen er schon mal genauer hinsah: „Radiohead oder Coldplay sind keine Rockbands – das ist Sub-Emo-Zeug. Ich meine, die haben ganz gute Songs gemacht, das muss ich ihnen lassen. Aber das ist kein Rock’n’Rooll. Kilmister himself stellte sich in 40 Jahren Bandgeschichte und 22 Studioalben sechs Gitarristen und vier Schlagzeuger an seine Seite. Darunter so unterschiedliche Typen wie Saxon-
Drummer Pete Gill oder Thin- Lizzy-Gitarrist Brian Robertson. „Ich hatte eine klare Vorstellung davon, was ich mit der Band spielen wollte – es sollte wie bei MC5 sein: laut und brutal.“ Und weil Motörhead immer viel live spielten, konnte sich Lemmy auf den langen Busfahrten seinen Hobbys widmen – neben Sex, Drugs und dem Sammeln von Militärdevotionalien aus den Weltkriegen war das vor allem die gedruckte Dichtkunst. „Manchmal hänge ich an drei Büchern gleichzeitig. Ich mag vor allem den Impressionismus in der Literatur und Englisch ist die beste beschreibende Sprache der Welt. Man hat zehn verschiedene Worte , die das gleiche bedeuten, aber mit einem klitzekleinen Unterschied.“Wegen solcher Aussagen wurde er zum Liebling des Feuilletons, zu seinem Tod 2015 erschienen bewegende Nachrufe in den Kulturteilen vieler renommierter Tageszeitungen – sogar in der Apotheken-Umschau. „Wenn du zurückblickst, siehst du nur die guten Dinge, weil das Gehirn die schlechten ausblendet, um dir eine Pause zu gönnen. Jedenfalls sollte man nicht immer nach den perfekten Momenten Ausschau halten. Wenn man ein ‚ganz okay‘ bekommen kann, sollte man auf die Knie gehen und irgendwem danken.“ Viel besser kann man den Sinn des Lebens nicht auf den Punkt bringen.