Ratten im Keller: Aerosmiths schwierige Übergangsjahre.
Guter Rat war teuer im Jahre 1976. Welches Konzept sollte das Bostoner Quintett seinem Durchbruchswerk TOYS IN THE ATTIC, mit mehr als acht Millionen Exemplaren bis heute Aerosmiths bestverkaufter Tonträger, folgen lassen? Sänger Steven Tyler und Gitarrist Joe Perry, auch unter dem griffigen Kürzel „The Toxic Twins“ ein Begriff, entschieden sich für weniger Chartaffinität und mehr hartmetallische Gangart. Dank ›Back In The Saddle‹, ›Rats In The Cellar‹ und ›Nobody’s Fault‹ rückten sie stilistisch Led Zeppelin auf die Pelle, allerdings ohne dabei den massenkompatiblen Stadionrock aus den Augen zu verlieren. ›Last Child‹ wiederum eiferte typischem Rhythm’n’Blues der Sixties-Vorbilder Yardbirds und Rolling Stones nach.
Mit ›Home Tonight‹ lieferte Steven Tyler eine in Blues-Noten getränkte Ballade ohne Kitschambi-tionen. Etwas gesichtslos, dafür aber von Jack Douglas und Aerosmith mit einem Zuviel an Keyboards und weiblichem Chorgesang leicht überproduziert geriet 1977 DRAW THE LINE: Kreativer Experimentierwille und das Händchen für Ohr-wurmiges schienen abhanden gekommen zu sein. Kein Wunder! Knirschte es doch mächtig im Gruppengebälk aufgrund permanenter Zankereien zwischen Perry und Tyler. Als Anspieltipps empfohlen seien ›Critical Mass‹, ›Get It Up‹, ›Kings And Queens‹ und ›Sight For Sore Eyes‹. Nicht zu vergessen ein recht knackiges Cover vom schon oft gemolkenen ›Milk Cow Blues‹. Es kam, wie es kommen musste: Als NIGHT IN THE RUTS im Herbst 1979 verspätet in den Ladenregalen stand, hatte Joe Perry nach üblem Streit mitsamt Handgreiflichkeiten zwischen den Bandmitgliedern längst das Weite gesucht. Pflichtbewusst spielte Perry seine Gitarrenparts noch weitgehend ein, bevor er an Nachfolger Jimmy Crespo übergab.
In Anbetracht der widrigen Umstände tönten ›No Surprize‹, ›Chiquita‹, ›Cheese Cake‹, ›Bone To Bone (Coney Island White Fish Boy)‹ und ›Three Mile Smile‹ dennoch erstaunlich frisch. Weitere Überzeugungsarbeit leisteten der famose Blues ›Reefer Head Woman‹, die großorchestrierte Gefühlsballade ›Mia‹ sowie geschmackvolle Cover von The Yardbirds’ ›Think About It‹ und ›Remember (Walking In The Sand)‹ von The Shangri-Las. Erst 1982 ließen Aerosmith mit ROCK IN A HARD PLACE wieder von sich hören. Nachdem auch Urmitglied Brad Whitford die Segel gestrichen hatte, agierte Stehaufmännchen Tyler nunmehr mit Jimmy Crespo und Rick Dufay als Doppel-Gitarren-Front – und das noch nicht einmal schlecht: ›Jailbait‹, ›Bolivian Raggamuffin‹, ›Rock In A Hard Place (Cheshire Cat)‹ und ›Jig Is Up‹ rocken erstaunlich vehement. Psychedelischen Folk mit indischer Tabla servierte ›Prelude To Joanie /Joanie’s Butterfly‹. Arthur Hamiltons Jazz-Klassiker ›Cry Me A River‹ wurde stilecht in Zeitlupe gecovert, ›Push Comes To Shove‹ verstand sich als Hommage an den Big Band Swing der 30er und 40er Jahre.