Wer hätte das gedacht? Die Scorpions rocken tatsächlich so gut und erdig wie seit über 20 Jahren nicht mehr!
Eine lange Karriere mit vielen Höhe- und nur wenigen Tiefpunkten neigt sich also ihrem Ende entgegen, nun soll endgültig Schluss sein. Nur noch dieses eine Album, dazu eine zweijährige Abschiedstournee rund um die Welt – Freunde, es ist Zeit, wehmütig mit den Taschentüchern zu winken! Die Scorpions sind, so können Historiker bereits heute konstatieren, in Ehren alt geworden. Mit Ausnahme des schrecklichen Albums EYE II EYE haben Klaus Meine, Rudolf Schenker und Matthias Jabs ihr Niveau kaum einmal unterschritten.
Die Frage nun: Was beschert uns Deutschlands einstiger Rock-Exportschlager Nummer 1 auf seinem Abschiedswerk? Auf jeden Fall gute Unterhaltung, dazu alle typischen Trademarks der Band und tatsächlich einige Songs, die man in dieser Güte nicht unbedingt mehr erwartet hatte. Zwar sticht nicht jeder Stachel wirklich tief. Die Schmonzette ›Lorelei‹ etwa schrammt haarscharf am Schnulzenabgrund vorbei, ›Spirit Of Rock‹ und der bei Led Zeppelin (›Rock’n’ Roll‹) abgekupferte Titeltrack erreichen nur Konfektionsgröße.
Doch demgegenüber stehen einige zweifellos rassige Tracks (›Only The Good Die Young‹, ›Turn You On‹, ›Raised On Rock‹). Zudem zeigt die Band in ›Rock Zone‹ den abgehalfterten Mötley Crüe, wie Rock’n’Roll heute noch funktioniert – und beweist im ruhigen ›Sly‹, dass sie immer noch die weltbesten Hardrock-Balladen schreiben kann. Man hat unwillkürlich das Gefühl, als ob sich die Scorpions auf ihrem finalen Album aller Fesseln entledigen wollten und so befreit rocken, wie sie es sich seit über 20 Jahren nicht mehr getraut haben.
Haben die Hannoveraner also wirklich noch einmal einen Klassiker gelandet? Ich lege mich fest: Es ist zumindest ihr bestes Werk seit SAVADGE AMUSEMENT von 1988. Der abschließende Track heißt übrigens ›The Best Is Yet To Come‹, zu Deutsch: Das Beste kommt noch. Die Gerüchteküche sei hiermit eröffnet!