Der Kanadier hat nicht nur goldene Finger und eine Platinstimme, er möchte mit seiner Musik bewegen. Mit seinem neuen Album STEAMROLLER möchte Philip Sayce seinen Hörern einen kleinen Diskurs in Sachen Musikgeschichte geben.
Es war der Todestag von Etta James, an dem Philip Sayce einige Interviews gab. Und es dauerte nicht lange, bis er diese Gespräche zum (zugegeben traurigen) Anlass nahm, sich über die Musikhistorie im Allgemeinen und Authentizität im Speziellen zu unterhalten. Sayce, seines Zeichens nicht nur Blues Rock-Gitarrist/Sänger, sondern auch eines der größten Talente seines Genres, sieht in Etta James sowie in einigen wenigen weiteren Figuren der Geschichte den Inbegriff von Aufrichtigkeit. „Nimm Etta, Steve Ray Vaughan, Jimi Hendrix, Stevie Wonder, sie alle haben sich nie einen feuchten Kehricht darum geschert, ob ihre Musik kommerziell erfolgreich ist“, sagt der Kanadier, in dessen Fingern Gold fließt und in dessen Stimme sich Platin oder noch feinere Legierungen befinden. „Jeder Künstler muss sich darüber klarwerden, was er in seinem Leben bewegen möchte. Für mich ist es wichtig, das in Töne umzusetzen, was in mir brodelt. Ich sehe mich als eine Art Lehrer, der seinen Schülern den Zusammenhang der Musik von vor 45 Jahren mit der unserer Zeit aufzeigt. Mein Ziel ist es, der beste Lehrer zu werden, den man sich vorstellen kann.“
Sein aktuelles Schulbuch nennt er STEAMROLLER, ein mit zehn tollen Blues Rock-Nummern ausgestattetes Pamphlet der besonderen Art. Denn der Kanadier ist ein Jahrhunderttalent, eines wie Lenny Kravitz, um in der gleichen Musikgattung zu bleiben. Wie auch Kravitz ist Sayce Gitarrist, Sänger, Komponist und Frauenschwarm in Personalunion. Wenn er auf der Bühne steht, steigen beim weiblichen Publikum Puls und Atmung. Einige seiner Lieder eignen sich, auch wenn sie noch so schroff angelegt sind, für Radio und Konzertbühnen gleichermaßen. Sayce weiß, dass er dieses Talent hat und fürchtet sich davor: „Natürlich würde ich mich über große Erfolge freuen, aber als Künstler darf man so etwas niemals im Hinterkopf haben, denn dann wird man manipulierbar. Erfolg, Geld, Bilanzen, das alles sind Begriffe, die für Plattenfirmen wichtig sind, aber nicht für mich. Für mich zählt der künstlerische Anspruch.“
Und der läuft diametral zu dem, was die amerikanische Gesellschaft heutzutage fordert. „Weißt du: Ich habe allzu oft Plattenfirmen sagen hören ,Wirklich toll, deine Musik! Aber könntest du sie ändern? Ein wenig schleifen, so dass man sie auch im Fernsehen spielen kann?‘ Meine Antwort: ,Nein, kann ich nicht, vor allem will ich es nicht!‘ Es gibt doch sowieso schon viel zu viel Fast Food, nicht nur in kulinarischer Hinsicht. Schau dir das amerikanische Fernsehen an: eine Soap Opera nach der nächsten, nur künstlerischer Ausschuss. Meine Musik soll etwas anderes sein, ein Statement, eine Bewegung, ein Aufruf: ,Hey Leute, es gibt Besseres als nur dieses niveaulose Medien-Bombardement‘.“
Sayce ist in einer Mission unterwegs, sie nennt sich STEAMROLLER und klingt trotz des hohen Anspruchs aufregend und zugänglich zugleich. Egal wie schroff seine Riffs angelegt sind, ob er seine Stimme durch einen Verzerrer jagt oder die Drums bis zur Besinnungslosigkeit prügeln lässt, immer bleiben es Songs, die berühren. Und die hemmungslos mit dem abrechnen, was Sayce an Widrigkeiten entgegenschlägt. „Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, an dem ich ›The Bull‹ schrieb. Ich hatte vormittags einen ärgerlichen Anruf von einem Verantwortlichen der Musikindustrie. Ich kochte vor Wut, fuhr ins Studio und erzählte meinem Produzenten Dave Cobb davon. Er meinte nur: ,Lass uns einen Song darüber schreiben.‘ Und genau das taten wir, entsprechend erregt klingt das Stück. Ich sage darin: Wer mit dem Bullen kämpft, der wird seine Hörner zu spüren bekommen.“
Soviel Wut, Idealismus und Aufbruchstimmung hat es in der Rockmusik zuletzt in den frühen Siebzigern gegeben – eine Ära, auf die sich Sayce bewusst bezieht. „Es war Zeit, dass dieses Lebensgefühl zurückkehrt“, sagt er. „Denn in Amerika und Europa gibt es genug Probleme. Dies ist nicht die Zeit für Partys und Kokain. Dies ist die Zeit für raue Musik, denn Musik sollte unbedingt den Zeitgeist widerspiegeln.“ STEAMROLLER wird diesem Anspruch gerecht und sicherlich dennoch Erfolg haben. Trotz oder gerade wegen seiner Unerbittlichkeit. Sayce: „Melissa Etheridge sagte einmal zu mir: ,Ändere dich nicht, sei immer du selbst, dann werden die Menschen zu dir kommen und nicht umgekehrt‘.“