Wolfgang Niedecken, Frontmann und Sänger der kölschen und gesamtdeutschen Musikinstitution BAP, feiert derzeit mit einem Greatest-Hits-Album, das er bescheiden DIE BELIEBTESTEN LIEDER getauft hat, und einer ausgiebigen Tournee das 40-jährige Jubiläum seiner Band. Anlass genug für CLASSIC ROCK, mit ihm zurückzublicken, aber auch ganz brisante Aktualitäten zu besprechen.
Wolfgang, mit unserem „letzten Wort“ wollen wir Musikern ihre Ansichten über alle möglichen Themenbereiche entlocken. Bei dir ist das nicht gerade einfach, erfährt die Öffentlichkeit doch ohnehin sehr viel über dich. Warum bist du nicht ganz so verschlossen wie manch anderer Künstler?
Na ja, ich kenne schon die Stelle, ab der es keinen mehr etwas angeht. Ich wäre niemals die Plaudertausche, die irgendjemandem erzählt, welche Probleme ich gerade mit meinen Kindern oder meiner Frau habe. Von meiner Privatsphäre lasse ich nur so viel raus, wie ich denke, dass es nicht peinlich ist. Klar wollen die Leute Emotionen, aber wenn du diese Karte einmal gezogen hast, dann bekommst du den Geist nicht mehr in die Flasche.
Denkst du, dass es schädlich für die Karriere sein kann, sich bewusst im Boulevard zu platzieren? Stichwort „Dschungelcamp“.
Ja, ganz am Ende steht das „Dschungelcamp“. Wenn diese Leute ihr Privates gezielt einsetzen, dann ist das wirklich das Allerletzte, was ihnen noch übriggeblieben ist. Mir tun die Leute leid, mir tun die wirklich leid. (verstummt nachdenklich)
Dann geht man lieber in eine TV-Show, in der es um Musik geht, so wie du jetzt bei „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“?
Ja! Aber jetzt habe ich gerade über den Zusammenhang dazu nachgedacht! Ich wurde ja schon für die erste Staffel angefragt. Aber damals dachte ich, das wäre so etwas wie das „Dschungelcamp“, bei dem irgendwelche Musiker in Südafrika sind, zusammen Musik machen und wie bei „Big Brother“ beobachtet werden. Da habe ich direkt abgewunken: „Nä, brauch’ ich nich’!“ Später machte es bei uns dann die Runde: „Das musst de mal angucken, das ist gar nich’ so schlecht!“ Und da dachte ich mir: „Ja doch, kann man machen.“ Als ich nun noch einmal gefragt wurde, habe ich zugesagt. Ich bin nur sichergegangen, dass ich keinen Schlager singen muss. (schmunzelt)
Welcher „Schlager-Star“ hätte denn auf keinen Fall dabei sein dürfen?
Ach, ich rede nicht gerne über sowas. Die müssen ja auch ihre Familien ernähren. Da bin ich fast altersmilde an der Stelle.
Schlager war also nie eine deiner großen Lieben, der Rock’n’Roll um so mehr. Wann trat er in dein Leben?
Ein Kumpel von mir hatte eine Single zweimal. Die Platte hatte ein grünes Label, darauf stand „Odeon“, auf der einen Seite ›Thank You Girl‹, auf der anderen ›From Me To You‹. Die hat er mir irgendwann gegen ein Taschenmesser eingetauscht und die habe ich dann immer auf dem Plattenspieler meiner Mutter gehört. Damals hatte ich noch nicht mal entdeckt, dass das die Beatles waren, ich wusste nur: „Odeon“, das ist geil! Erst, als ich noch eine solche „Odeon“-Platte hatte, habe ich bemerkt, dass da noch etwas steht. Dann habe ich weiter nachgeforscht und las einen Artikel über die Beatles in der „Bravo“. Ab da spielte ich, ich war vielleicht 13, mit meinen Freunden Beatles, so wie andere Kinder Winnetou spielten. Später dann fing ich an, mir die ersten Akkorde auf der Gitarre zeigen zu lassen und irgendwann haben wir uns sogar eine Nummer rausgehört und tatsächlich gespielt: ›Money‹. Das war Wahnsinn! Es war irre zu erkennen: „Das geht! Das kommt aus mir!“
Etwas später kamen dann die Stones in dein Leben, als du ein Konzert von ihnen besucht hast. Was hätte der 16-jährige Wolfgang gesagt, wenn er erfahren hätte, dass er sich einmal die Bühne mit ihnen teilen würde?
Der kleine Wolfgang hätte das natürlich alles nicht geglaubt. Das habe ich ja selbst bis kurz davor nicht getan. Mit den Stones spielten wir 1982, als wir sowieso nicht fassen konnten, dass wir auf einmal bekannt geworden waren. Wir hatten nur ein bisschen herumgejammt in diesem Wiegehäuschen einer Kiesgrube. Zu unserem ersten Auftritt und auch unserem ersten Album musste man uns überreden. Drei Jahre später lernte ich die Stones kennen. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Ich dachte, jeden Moment weckt mich jemand auf und sagt: „Hör ma’, kannste mal den Müll runterbringen?“ (lacht)
Schon bald nach dem Durchbruch hast du begonnen, deine Bekanntheit für den guten Zweck zu nutzen. Woher kommt der Drang dich zu engagieren, bist du in einem besonders politischen Umfeld aufgewachsen?
Soweit ich mich zurückerinnern kann, war ich immer ein politisch interessierter Mensch. Irgendwann musste ich mich von der Meinung meines Vaters entfernen. Er war ein ganz konservativer, gläubiger CDU-Wähler, während des Krieges NSDAP-Mitglied, aber wie soll man sagen, er war ein braver Mann, kein Arschloch. Doch beispielsweise zum Thema Vietnamkrieg gingen unsere Ansichten total auseinander. Wir waren eben die ersten, die das in Frage gestellt haben, was ihre Väter gemacht hatten. In den Wiederaufbaujahren hat man das nicht gemacht und das kann ich auch verstehen. Wir hatten dazu die Gelegenheit und das haben wir dann auch ausgiebig getan.
Macht es dich wütend, wenn im Jahr 2016 Menschen ganz überrascht sind, dass einiges auf unserer Welt falsch läuft?
Bis vor kurzem konnten wir diese Themen einfach wegzappen. Doch das geht jetzt nicht mehr. Sowohl die Menschen, die aus Kriegen fliehen, wie auch Menschen, die seit langer Zeit in Afrika Korruption und Unrecht ertragen müssen, kommen jetzt. Durch die Globalisierung und das Internet ist die Welt für sie einzusehen, und sie wissen heute, wie gut es den Menschen in Hamburg, München und Köln geht. Sie wollen nicht mehr in derartigen Kleptokratien leben. Sie wollen ihr Glück machen und das kann man ihnen nicht verdenken. Selbstverständlich können wir nicht alle aufnehmen, aber wir könnten einmal anfangen, sie zu verstehen. Man muss versuchen, mit Anstand mit der Situation zurechtzukommen. Patentrezepte gibt es dafür nicht.
Ein weiterer Punkt, der so manchen zurzeit schockiert, ist das Erstarken rechter Strömungen bei uns und in vielen anderen Ländern.
Ich hatte 1982 ›Kristallnaach‹ auf dem Album, weil mir damals schon bewusst war, dass uns das erhalten bleibt. Diese manipulierbare Masse, die politisch ungebildet ist, sich aber auch keine Mühe gibt, das zu ändern. Sie wollen einfache Lösungen und die Skrupellosen geben sie ihnen. Das ist der Nachteil einer Demokratie. Sie funktioniert nur, wenn die Leute wissen, worüber sie abstimmen. Sieh dir Trump an. Er weiß, dass es so nicht funktionieren wird, aber er betrügt die Leute. Ich habe Angst, dass die den auch noch wählen. Hitler hat sich übrigens auch nicht einfach die Macht genommen. Er wurde gewählt.