Auf TAKE ME TO THE LAND OF HELL präsentiert sich John Lennons Witwe Yoko Ono unglaublich agil. Mit ihrer neu besetzten Plastic Ono Band spielt die inzwischen Fünfundachzigjährige eine lebhaft frische Musik zwischen Rock und Avantgarde, die viele junge Bands alt aussehen lässt. Diese Präsenz bestätigte sich dann auch im Interview.
Text: Olaf Maikopf
Warum heißt ihr neues Album TAKE ME TO THE LAND OF HELL?
Die Hölle ist ein Konzept, das wir für uns selbst geschaffen haben. Aber wenn wir wollen, können wir mit Liebe und Vertrauen auch alles zu etwas Schönem verändern. Ich möchte Menschen mit Leidenschaft und Liebe füreinander sehen, stattdessen sehe ich nur berechnende Menschen. Möglicherweise sparen sie ihre Leidenschaft für Geld und Ruhm auf. Das kommt, weil sie dem Herzen nicht genug Wichtigkeit in ihrem Leben einräumen. Denken sie daran, ihr Herz verdient es, eine reine Leidenschaft für einen anderen Menschen zu empfinden. John und ich waren damals von der Welt überrumpelt, aber mit unserer Liebe standen wir fest zueinander. Unsere Liebe wuchs weiter, mitten im Land der Sturmhölle, die viele Menschen für uns erschaffen hatten.
Ihr künstlerisches Oeuvre ist riesig, Sie sind in vielen Bereichen erfolgreich tätig und wurden mit Preisen überhäuft. Musik und Gesang waren immer auch ein Teil davon. Was interessiert Sie im Jahr 2013, im Alter von 80 Jahren, noch an Pop- und Rockmusik?
Musik und Poesie waren schon immer zwei Dinge, mit denen ich mich ausgedrückt habe, seit ich etwa vier Jahre alt war. Sie gehören zu mir wie das Atmen. Musik ist wahrscheinlich die einzige Schwinngung, die wir erschaffen, die von der Natur akzeptiert ist. Wir atmen Musik. In der Tat, ich glaube, es gibt viele Bäume und Tiere, die zu unserer Musik tanzen, auch konzeptionell. Musik ist gut für die Gesundheit aller Lebewesen.
Hat Ihre derzeitige große Energie vielleicht auch mit dem Blick auf das Alter und ein nicht endloses Leben zu tun? Lässt Aktivität den Menschen länger leben?
Auf jeden Fall! Aktivität ist die körperliche und geistige Übung. Ich fühle mich heute stärker und freier in meiner Arbeit als je zuvor. In einer nicht allzu fernen Zukunft werden wir vielleicht alle ein endloses Leben haben können – wenn wir es wählen.
Was ist Ihre erste Erinnerung an Musik?
Ich weiß, dass ich schon bevor meine Mutter mich im Alter von vier Jahren auf der Musik- schule Jiyu-Gakuen anmeldete, Musik im Kopf hatte. Es war eine ziemlich fortschrittliche Schule in Tokio. Sie sagte: „Wenn du Musik so gern magst, geh da hin.“ Dort lernten wir Harmonie, Noten und sogar etwas über westliche Musik. Eine sehr gute Ausbildung. Aber ich wollte nie die Stücke anderer singen, dafür war ich schon als Teenager zu ehrgeizig. Ich versuchte lieber, etwas Eigenes, Einzigartiges zu kreieren, das den Klang der Welt erweitert.
Kennen sie sich auch mit traditioneller japanischer Musik und europäischer Klassik aus?
Ich habe europäische Klassik durch meinen Vater kennengelernt. Er war ihr sehr zugetan und sogar ein großartiger Pianist. Aber sein Vater wollte, dass er Banker wird, und darum musste er es aufgeben. Meine Mutter jedoch bevorzugte die japanische Musik. Sie hat gesungen und war eine sehr traditionsbewusste Musikerin, konnte auch viele japanische Instrumente spielen. Somit hatte ich in meiner Kindheit beide Einflüsse.
Hören Sie noch Klassik?
Ich liebe klassische Musik, komme irgendwie nicht davon los. Als ich die Musik zu TAKE ME TO THE LAND OF HELL schrieb, dachte ich viel an deutsche Klassik, speziell Schubert. Mit seinen Liedern fingen damals meine Gesangsstunden an.
Sie kommen aus einem wohlhabenden Haus. Was waren ihre Eltern für Menschen?
Ich erlebte meine Mutter als eine sehr beschäftigte Person, die sich kaum um meine Erziehung kümmerte. Dafür gab es Hausangestellte. Darum war unser Verhältnis eher angespannt. Aber vielleicht genau deshalb wollte ich ihr als Kind immer gefallen. Später wollte ich dann die Art von Frau sein, die meinem Vater gefallen würde. Er meinte, Frauen müssen klug sein.
TAKE ME TO THE LAND OF HELL kulminiert Ideen, die Sie während der letzten zwei Jahre auch in Zusammenarbeit mit ihrem Sohn Sean entwickelten. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Ich bin aufgeregt, weil ich glaube, dass es mein bisher bestes Album ist. Ich bin so dankbar, dass die Arbeit daran ein wirklich gutes Resultat brachte. Ich wollte keine alten Sounds, die in der Vergangenheit ruhen, dafür befasste ich mich lieber mit neuen Ideen und frischen Klängen. Denn ich halte nichts davon, etwas Geringeres als das Beste zu kreieren. Was sollte sonst der Sinn und Zweck sein, etwas an die Öffentlichkeit zu bringen?
Auf dem Album singen Sie zu mitreißen- dem Avant-Pop, zu Soundexperimenten, Electro und Rockriffs eigene Texte über Idealismus, die Verhältnisse im heutigen New York, Vergänglichkeit, das Tanzen und über Gefühle. Gibt es ein Konzept?
Es geht um Ernsthaftigkeit, egal in welcher Situation man sich befindet. Es handelt auch von intensiver Leidenschaft zu einer anderen Person. Ich gehe dabei in Zeiten zurück, wo wir unsere Herzen öffneten. Heute öffnen wir Menschen unsere Herzen nicht mehr. Das glaube ich jedenfalls!
Vor langer Zeit wurde Ihre Kunst und Musik verhöhnt. Aber aus der einst ungeliebten Yoko Ono ist längst ein gefeierter Star geworden. Wie haben Sie das erreicht?
Ich bin einfach immer ich selbst. Es ist sehr praktisch, wenn man nicht versucht, jemand anderes zu sein, sondern zu sich steht. Dann fließt auch die Energie. Immer wenn ich eine kreative Arbeit beginne, erhalte ich dadurch die benötigte Energie. Wir alle brauchen Herausforderungen! Wenn wir die nicht haben, wird uns langweilig und wir werden Couch Potatoes. Es ist großartig, dass wir uns Aufgaben stellen können. Sie halten uns jung, gesund, aktiv. Und egal was ich tue, ich genieße alles, auch weil mir bewusst ist, dass ich der Welt immer noch etwas gebe.
Bereits im Eröffnungssong ›Moonbeams‹ singen Sie, wohin Ihre Reise geht: auf den Dancefloor eines kosmischen Clubs.
Tanzen ist ein Teil von mir und meinem Leben. Tanzen, Lachen und etwas Rhythmisches kreieren, das ist wichtig. Gute Musik ist der Jungbrunnen für uns alle. Dagegegen ist ein Marschrhythmus etwas sehr Trauriges. Denn wer marschiert, der kann auch erschossen werden.