Weiter geht es bei unseren wahren 100 besten Alben der 70er mit den Plätzen 40 bis 21, unter anderem mit George Harrison, Judas Priest, Motörhead und Tom Petty.
40 SONGS FROM THE WOOD
Jethro Tull
CHRYSALIS, 1977
Es mag für immer im Schatten der beiden Überwerke AQUALUNG und THICK AS A BRICK stehen, doch dies war Ian Andersons wunderbar ungeschminkter Salut an das Leben in der englischen Provinz. Im selben Monat veröffentlicht, in dem Sid Vicious bei den Sex Pistols einstieg, klingt die ganze Platte, als würde Anderson Vivienne Westwoods Laden „SEX“ mit einem Bulldozer plattmachen. Dargeboten auf Flöten, Mandolinen und einer Orgel, besitzen diese fröhlichen Oden an das Landleben, heidnische Rituale und Freiluft-Kopulationen mit „hochwohlgeborenen Jägermädchen“ eine melodische Unmittelbarkeit, die vielen der früheren und verehrteren Jethro-Tull-Alben abgeht.
Mark Blake
Zeitzeugen:
„Jethro Tull haben ihr altes mittelalterliches Image überarbeitet. Leider klingt das Ganze nun wie die Hintergrundmusik zur Fernsehserie ‚Robin Hood‘.“
Sounds
39 TOM PETTY AND THE HEARTBREAKERS
Tom Petty And The Heartbreakers
SHELTER, 1976
Tom Petty mag lange blonde Haare gehabt haben, aber sein Debüt baute auf New-Wave-Werte: kurz und bündig demonstrierte Musikalität und melodische Präzision nach Jahren der Jams und Boogies. ›Anything That‘s Rock‘N‘Roll‹ war eine erneute Absichtserklärung der Grundprinzipien. ›Rockin‘ Around (With You)‹ kochte über vor lauter Energie, Popharmonien und Country-Flair. ›Fooled Again (I Don‘t Like It)‹ kam an die langsam schwelende Intensität von Bruce Springsteen heran. Das Highlight ›American Girl‹ schließlich hatte den freigeistigen Spirit der Byrds in ihrem Zenit, gepaart mit dem zeitgenössischen Sturm und Drang des Punk. Ein Star war geboren.
Paul Lester
Zeitzeugen:
„Schlicht und einfach das beste Mainstream-Rockdebüt einer amerikanischen Band in diesem Jahr.“
Sounds
38 INFINITY
Journey
CBS, 1978
Nach drei Jazz-Rock-Alben bogen Journey in eine komplett neue Richtung ab. Mit Frontmann Steve Perry entschieden sie sich für den Melodic Rock, der sie direkt in Konkurrenz zu Boston und Foreigner brachte. Und es sollte sich auszahlen. INFINITY quoll fast über vor radiofreundlichen Hits wie ›Wheel In The Sky‹ und ›Lights‹ und wurde zu einem Bestseller in den USA. Roy Thomas Bakers kompetente Produktion tat ihr Übriges, um Journey ihren ganz eigenen Sound zu verleihen. Ein Erfolg, der zur richtigen Zeit kam, wie Gitarrist Neal Schon erklärt: „Wir waren alle am Verhungern. Es wurde Zeit, Geld damit zu verdienen, oder ich hätte als Schuhverkäufer arbeiten müssen.“
Malcolm Dome
Zeitzeugen:
„Guter Rock‘n‘Roll ist schon immer Risiken eingegangen. Journey haben sich ihnen mit einem ganz neuen Sound gestellt.“
Circus
37 MOTÖRHEAD
Motörhead
CHISWICK, 1977
Eine gewisse Märchenhaftigkeit umweht das Debüt, das den Defibrillator an Motörheads schnell verfallende Leiche ansetzte, nachdem United Artists beschlossen hatte, dessen erste Inkarnation – später als ON PAROLE bekannt geworden – auf Eis zu legen. Ted Carroll, Chef von Chiswick Records, stimmte zu, die meisten Songs so billig wie möglich zu überarbeiten. Speedy Keen von Thunderclap Newman sorgte für eine rudimentäre Produktion, der es nicht gelang, die schiere Qualität des Materials zu verstecken, von ihrer donnernden Darbietung
ganz zu schweigen.
Dave Ling
Zeitzeugen:
„Unerträglich laut und heftig. Motörhead haben der dunkleren Seite des Heavy Metal eine ganz neue Dimension hinzugefügt – ein bisschen wie Steppenwolf-meets-Sabbath und darüber hinaus.“
Trouser Press
36 MOTT
Mott The Hoople
CBS, 1973
Auch wenn es die Band auseinander gehen ließ (Mick Ralphs verabschiedete sich kurz nach der Veröffentlichung Richtung Bad Company), ist MOTT vielleicht das definitive Hoople-Album. Es entstand auf einer Welle längst überfälligen Erfolgs und konnte sowohl mit euphorischen Hits als auch introspektiven, autobiografischen Balladen dienen. Zudem bewies es, dass Ian Hunter beschwingte Instant-Klassiker wie ›All The Way From Memphis‹ und ›Honaloochie Boogie‹ schreiben und dir dann das Herz mit der Sanftheit von ›I Wish I Was Your Mother‹ brechen konnte. Glamourös UND dreckig, standen diese Jungs in Flammen.
Chris Roberts
Zeitzeugen:
„MOTT ist das Album, das ALL THE YOUNG DUDES hätte sein sollen … arrogant, angriffslustig … sie haben sich verbrannt, aber sind immer noch bei Verstand und machen die beste Musik ihrer Laufbahn.“
Let It Rock“
35 RED
King Crimson
ISLAND, 1974
Nachdem er fünf Jahre lang die Vorlage für den Breitwandsound des Prog geliefert hatte, steuerte Robert Fripp seine Band in eine dunklere Richtung, als Bill Bruford Yes verließ, um sich Bassist John Wetton in der heftigsten Rhythmussektion des Rock anzuschließen (die Fripp mit einer „fliegenden Mauer“ verglich). Das Power-Trio-Line-up von RED schmiedete hämmernde, monolithische Riffs, etwa auf dem brutal fiesen Titeltrack und dem Ruhe-vor-dem-Sturm-Song ›Starless‹. Für die Fans war das alles zu düster, weswegen RED als erstes Crimson-Album die britischen Top 30 verfehlte. Fripp löste die Band daraufhin für fünf Jahre auf, während RED seinen eigenen Kult erschuf, dem auch Kurt Cobain anhängen sollte.
Kris Needs
Zeitzeugen:
„Großspurig, kraftvoll, provokant und überraschend lyrisch … diese Platte tut das für die Fusion aus Rock und Klassik, was John McLaughlins DEVOTION einst für den Jazz-Rock tat.“
Village Voice
34 L.A.M.F.
Heartbreakers
TRUCK, 1977
Als die Heartbreakers von Johnny Thunders (Ex-New York Dolls) 1976 in London landeten, transformierten sie die Punkszene. So klang und sah echte attitude aus. Nicht alle, die sie sahen, konnten auch so wie sie spielen – einige begnügten sich einfach mit der Heroinsucht. Nach reichlich Problemen mit der Produktion erschien ihr Debüt LIKE A MOTHER FUCKER mit einiger Verspätung, fehlerhaft und konfus. Doch das war egal. Ihre Fanbase, die sich das Ganze auf billigen Dansette-Plattenspielern reinzog, bemerkte es nicht mal. L.A.M.F. ist der Soundtrack zu guten Drogen und schlechten Entscheidungen. Unendlich inspirierend, ist es ein nachhaltiger Triumph absoluter jugendlicher Verkommenheit.
Ian Fortnum
Zeitzeugen:
„Das Cover sagt alles: Outlaws aus der großen Stadt, kompromisslos, angeschlagen, aber nicht kleinzukriegen – der ganze Habitus. Musik, zu der man abstürzt, nicht intellektuell, komplex oder dezent.“
Sounds
33 STUPIDITY
Dr. Feelgood
UNITED ARTISTS, 1976
Die rotzige Kürze der dritten LP der Feelgoods war das perfekte Gegengift zu all der schwabbeligen Selbstgefälligkeit des kalifornischen Softrock. Die knackige Symbiose aus Lee Brilleauxs harten Vocals und der angespannten Knarzigkeit von Wilko Johnsons Gitarrenläufen war außerdem das erste Live-ALbum, das je an der Spitze der britischen Charts einstieg. „Es war der Gipfel der Revolution gegen die High-Heel- und Plateauschuh-Brigade“, sagte Brilleaux. „Wir zeigten denen den Stinkefinger und sagten: So geht eine Live-Band an die Arbeit.“
Rob Hughes
Zeitzeugen:
„Wenn es so etwas wie schwere Körperverletzung in musikalischer Form gibt, sollte STUPIDITY die Feelgoods für lange Zeit ins Kittchen bringen.“
Melody Maker
32 PILEDRIVER
Status Quo
VERTIGO, 1972
Titel und Cover von Status Quos Fünfter sprachen Bände. Gitarrist Rick Parfitt hatte ihr den Namen verliehen: „Unsere Musik war wie eine Handramme [engl. piledriver].“ Das Artwork war ebenso symbolisch – eine Aufnahme der Band auf der Bühne, Parfitt, Frontman Francis Rossi und Bassist Alan Lancaster eng zusammenstehend, mit gesenkten Häuptern und wehenden Haaren. Nach ihren Anfängen als Pop-Dandies in den 60ern definierte PILEDRIVER mit Songs wie dem dampfwalzigen ›Big Fat Mama‹ oder der Kiffer-Ode ›Paper Plane‹ sie als räudige Heavy-Boogie-Maschine neu. Nicht zu vergessen die pulsierende Version des Stücks, das ihre Besessenheit vom Zwölf-Takt-Shuffle losgetreten hatte: ›Roadhouse Blues‹ von den Doors.
Paul Elliott
Zeitzeugen:
„Eine fast komplette Absage an jegliche musikalische Subtilität … repetitiv, total vorhersehbar – weswegen die Musik von Status Quo so unmittelbar befriedigend ist.“
Let It Rock
31 ALL THINGS MUST PASS
George Harrison
APPLE, 1970
Frei vom Druck und der Politik der Beatles startete George Harrison seine Solokarriere mit einem glorreichen Dreifach-Album. In seiner Ecke: Eric Clapton, Ringo Starr, Peter Frampton und ein junger Phil Collins. Das Ergebnis hatte den aufregenden Klang von jeder Menge Talent, das plötzlich entfesselt wird, gehört wohl zur besten Musik, die er je erschuf und kann mit Fug und Recht als das beste Soloalbum aller Beatles bezeichnet werden. Als Reflexion sowohl Georges spiritueller Überzeugungen als auch des Endes der berühmtesten und großartigsten Band aller Zeiten war der Titel perfekt gewählt: ALL THINGS MUST PASS. 28 Songs von unglaublicher Tiefe und Einsicht, gespielt mit maximaler Grazie von genialen Musikern und gesungen von Harrison in Tönen, die ein neues kreatives Selbstbewusstsein mit echter Emotion und Verletzlichkeit verbanden. Der Ex-Beatle brachte es anders auf den Punkt: „Ich habe ALL THINGS MUST PASS immer als jemanden betrachtet, der jahrelang Verstopfung hatte und dann endlich Durchfall bekommt“. Auch ein Weg, ein monumentales Kunstwerk zu beschreiben.
Matthias Jost
Zeitzeugen:
„Ein Rausch von Frömmigkeit, Opferbereitschaft und Freude, dessen schiere Größe und Ambition es zum ‚Krieg und Frieden‘ des Rock‘n‘Roll machen.“
Rolling Stone
30 REAL LIFE
Magazine
VIRGIN, 1978
Diese Platte brachte den „NME“ dazu, Magazine-Sänger Howard Devoto als „wichtigsten lebenden Mann“ zu bezeichnen. Er hatte eben diese messianische Aura, während die Musik über die passende Gravitas und Masse verfügte, auch wenn normalerweise das dritte Album THE CORRECT USE OF SOAP die Lorbeeren bekommt. REAL LIFE hingegen markierte den Schritt vom Punk zum Post-Punk, den Moment also, in dem die Szene ihren Blick von Wohnblöcken auf komplexere Themen richtete und anfing, zu experimentieren. Mit seinen frostigen Keyboards und seiner misstönigen Musikalität positionierte dieses Werk Magazine aber eher als verirrte Prog-Band oder sogar späte Nachzügler von Roxy Music.
Paul Lester
Zeitzeugen:
„Magazine schieben hier ein für alle Mal jeglichen Vergleichen mit den Buzzcocks den Riegel vor. Ein kommerzielles, hochwertiges Rockalbum von täuschendem Tiefgang.“
Sounds