Debbie Harry: Blonde Ambitionen. „Eine Frau in der Rockmusik zu sein, war sehr Punk“, sagt die Sängerin von Blondie. Nach mehr als 40 Jahren im Geschäft ist sie noch immer ein Vorbild – und unterstützt junge weibliche Talente.
Debbie Harry wurde zur selben Zeit groß wie The Slits, die Raincoats oder X-Ray Spex, doch heute arbeitet sie mit neuen Stars wie Sia und Charli XCX auf POLLINATOR, dem elften Blondie-Album, zusammen. Hellwach wie eh und je erzählt sie mit ihren 77 Jahren von ihrer Vergangenheit und Gegenwart.
Fühlte sich der Punk wie eine befreiende Zeit an, um eine Frau in der Rockmusik zu sein?
Ich hatte eigentlich gar nicht die Zeit, viel darüber nachzudenken. Ich musste mich damit abfinden, dass ich diskriminiert wurde, denn Mädchen in Rockbands waren in diesem Maße noch nicht vollkommen akzeptiert. Aber in gewisser Weise war es gleichzeitig sehr Rock’n’Roll und sehr Punk, dass man das als Mädchen machte. Absolut Punk.
Gab es vor dem Punk Vorbilder, die dich dazu inspirierten, es ihnen gleichzutun? Joan Baez, Janis Joplin, Joni Mitchell, Joan Jett…
Sie alle. Ich hörte alles und jeden. Als echtes Babe und echte Ikonoklastin war wohl Janis Joplin die, die mir am meisten zugesprochen hat. Aber in musikalischer Hinsicht war ich auch sehr von den R&B-Girl-Groups beeinflusst. Das war eine Kombination von Dingen, nicht nur ein bestimmtes Element. Ich würde es hassen, so engstirnig zu sein.
Du hast deinerseits Pop-Ladys wie Madonna und Lady Gaga beeinflusst, ebenso Rockerinnen wie Courtney Love und Hayley Paramore.
[Bescheiden] Sie hatten ja keine große Auswahl, also hatte ich da wohl Glück.
Hast du dich auf dem Höhepunkt der Blondiemania mächtig gefühlt?
Wir hatten eine sehr gute, dramatische, sehr schnelle, furchtlose Laufbahn. Im Wesentlichen wurden wir aus einer Kanone geschossen, und als wir dann bei [dem Label] Chrysalis landeten, war es nur noch Album-Tour-Album-Tour-Single-Single-Single-Single. Sieben Jahre lang nonstop. Das war mit ein Grund, dass Blondie 1981 explodierten, oder implodierten. In diesen sieben Jahren arbeiteten wir wie verrückt. Das war sehr stressig, und man hat viel Druck auf uns ausgeübt. Das ist schon lustig, denn heute wartet man mindestens zwei, drei Jahre zwischen den Alben.
Blondie sind eine von wenigen Bands aus dieser Zeit, die auch vier Jahrzehnte später noch Top-5-Alben landen. Worauf führst du diese Langlebigkeit zurück?
Ich möchte nur ungern sagen, dass es Glück ist, denn es war mehr als das. Aber wer weiß, warum das alles so funktioniert hat? Das tat es aber, und wir waren smart genug, um Chancen zu ergreifen. Manchmal bieten sie sich einem und man sieht weg. Rückblickend sagt man dann: „Mann, das hätte klappen können.“ Wir hatten das Glück, bereit dafür zu sein. Es gab riesige Probleme – rechtliche, vertragliche –, die sich uns in den Weg stellten, aber wir fanden zum Glück die richtigen Leute zur richtigen Zeit.
Blondie brachten die kunstvolle US-New-Yorker Avantgarde nach Europa. Das war wie ein Besuch von Außerirdischen.
Ha! Nun, das ist doch gut. Her mit den Aliens! [Reißt sich wieder zusammen und spricht wieder über Blondies Langlebigkeit] Ich weiß es nicht. Die Geschmäcker haben sich gewissermaßen ausgeweitet. Das Publikum ist heute viel besser informiert und smarter, wir haben Zugriff auf so viel Musik. Ich denke, viele dieser alten Definitionen über das Altern und Altersgruppen und was für Musik die Leute hören… das hat abgenommen.
Wie anders ist das Leben auf Tour für Blondie heute im Vergleich zu den Hochzeiten der 70er und 80er?
Ha! Nun, ich denke, ich werde nicht mehr so viel herumhüpfen wie damals. Aber es gibt Momente, in denen ich mich sehr inspiriert fühle. Das macht mir sehr viel Spaß. Ich denke sehr oft darüber nach, wie viel Glück ich habe. So frustrierend es manchmal auch werden kann, wenn wir auf die Bühne gehen und spielen, ist es letztlich immer noch, na ja, magisch. Dafür muss ich immer dankbar sein.
Chrissie Hynde sagte mal: „Männer in Bands sind Pussies.“ Stimmst du dem zu?
[Lacht] Na ja…Ich weiß nicht, wie sie das meint. Vielleicht ist das auch gut so.
Hast du genauso viel mit Sia und Charli XCX gemeinsam wie mit Patti Smith? Du scheinst mühelos zwischen den Äras zu navigieren.
Ein Stück Musik ist für mich ein Stück Musik. Es steht für sich selbst. Es impliziert nicht sehr viel. Wenn es mir gefällt, ist der ganze Rest egal. Wenn ich also ein Stück von Charli XCX oder Sia bekomme, denke ich: „Wow, das ist toll.“ Ich erfahre erst später, von wem es ist.
Sind jüngere Musiker nervös, wenn sie dich treffen?
Das kommt auf die Person an. Ich bin da genauso. Wenn ich Leute treffe, die ich bewundere und deren Fan ich bin, fehlen mir manchmal die Worte. Ich denke, das passiert uns wohl allen.
Bei wem verschlug es dir die Sprache?
David Bowie [auf Iggy Pops THE IDIOT-Tour 1977 mit Blondie als Vorgruppe] machte mich wohl etwas sprachlos. Aber bei Schauspielern passiert mir das öfter als bei Musikern.
1977 waren Blondie mit Television auf Tour, während die Talking Heads mit den Ramones als Doppel-Headliner unterwegs waren. Hätte das nicht umgekehrt sein sollen?
Da hast du wohl in gewisser Weise Recht. Aber das war eins der Dinge an der New Yorker CBGB-Szene. In mancherlei Hinsicht war sie sehr homogen, weil all diese radikal verschiedenartigen Bands aus diesem kleinen Kosmos und dieser kurzen Phase kamen. Das ist schon ziemlich bemerkenswert, wenn man darüber nachdenkt.