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Aerosmith: Pump It Up!

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Aerosmith: Pump It Up!

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Letztere Nummer war jedoch noch mal ein ganz anderes Kaliber. Ursprünglich nach einem Freund von Tyler ›Danny’s Got A Gun‹ betitelt, wurde es auf dem Album von einem zehnsekündigen Intro namens ›Water Song‹ eingeleitet. Dies war die Arbeit des kanadischen Experimental-MultiInstrumentalisten Randy Raine-Reusch, der hier abwechselnd eine Glasmundharmonika, einen Windgong und indianische Schwirrgeräte spielte und somit eine eindringliche Atmosphäre aufbaute, aus der Tylers Keyboard und sein geisterhafter Gesang sanft emporstiegen, ebenso wie Hamiltons unheimlicher, schwammfingriger Bass. „Ich hatte den Titel und diesen beseelten Vibe schon lange, bevor ich genau wusste, worum es in dem Song gehen sollte“, sagte Tyler. Letztlich dauerte es fast ein Jahr, bis er den Text fertigstellen konnte, teilweise inspiriert von einem Artikel im „TIME“-Magazin über ein Mädchen, das seinen sexuell missbrauchenden Vater getötet hatte, teilweise von seiner Entschlossenheit, etwas zu sagen über das damals tief begrabene Thema Inzest und Kindesmisshandlung. Eines Themas, dessen er sich bei Gruppentherapiesitzungen bei seinem Entzug schmerzhaft bewusst geworden war. „So viele Kinder waren von ihren Eltern missbraucht worden und es machte mich wütend, dass niemand diese Kinder würdigte, die von Mama und Papa vergewaltigt worden waren… Zu diesem Song und ›Dream On‹ bekamen wir mehr Reaktionen als zu irgendwelchen anderen Songs.“


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Vor ›Janie’s Got A Gun‹ hatten Aerosmith sich nie mit ernsten Themen auseinandergesetzt, doch vor allem Tyler wollte eine Art Wiedergutmachung für Nummern wie ›Angel‹, die er als radiofreundlichen Ausverkauf sah. Wie Joe Perry zugab: „Es war ein Riesenhit für uns und viele Menschen mögen es, aber ich weiß, dass es Steven schwerfällt, es zu singen.“ Tyler hatte auch ein Problem damit, seine Songwriting-Tantiemen für ›Rag Doll‹ mit Holly Knight für ihren Beitrag zu dem Stück teilen zu müssen – der sich einzig und allein darauf beschränkte, einen Titelwechsel von ›Rag Time‹ zu ›Rag Doll‹ vorzuschlagen. „Sie bekommt nur dafür die Hälfte meiner fucking Tantiemen?“, hatte er bei Gef­fen-Boss John Kalodner getobt. Dass er etwas so Starkes wie ›Janie’s Got A Gun‹ abgeliefert hatte, half dem Sänger aber wenigstens zu einem gewissen Grad, damit fertigzuwerden. „Steven kam ins Studio und spielte bei den Proben ›Janie’s Got A Gun‹. Wir standen alle einfach nur da“, erinnerte sich Tom Hamilton später. „Das war wie ein Besuch von den Göttern. Da passierte etwas wirklich Überwältigendes in diesem Raum.“

Im Text hieß es ursprünglich „He raped a little bitty baby“, doch Tyler ließ sich letztendlich dazu überreden, die Passage in „He jacked a little bitty baby“ zu ändern, damit der Song – den er als den wichtigsten betrachtete, den er je geschrieben hatte – auch in einem breiteren Kontext im Radio und Fernsehen laufen konnte. Unvermeidlich für jene Zeit vor dem Internet, löste der Song dennoch eine gewisse „Besorgnis“ in der Plattenfirma und „Kontroverse“ in den linksgerichteteren Bereichen der trägen Medien aus, mit dem Vorwurf, der Text würde zu Selbstjustiz aufrufen. Trotzdem ging das Video auf MTV in die Heavy Rotation und erreichte Platz 4 in den US-Single-Charts – wenngleich in einer leicht veränderten Form, in der die Zeile „and put a bullet in his brain“ durch „and left him in the pouring rain“ ersetzt wurde. Auf den folgenden Tourneen jedoch kehrte Tyler zu den Originalpassagen zurück, sowohl der über das kleine Baby, das vergewaltigt wird, als auch der über die Kugel im Hirn des Vaters. Nimm das, Konzern-Amerika! Und nun zu diesen Tantiemen…

Das Palaver um Textdetails konnte nichts daran ändern, dass ›Janie’s Got A Gun‹ und dadurch das komplette Album PUMP das Image von Aerosmith in Amerika erfolgreich neu kalibrierte. Sie konnten immer noch packenden Gossenrock wie ›Young Lust‹ oder ›F.I.N.E.‹ (alias ›Fucked Up, Insecure, Neurotic And Emotional‹) abfeuern und bewiesen auf Stücken wie ›Monkey On My Back‹, dass sie immer noch wie eine telepathisch verbundene Band spielen konnten, wenn sich Perrys klapperschlangenartige Slide-Gitarre um Tylers heisere Preisgebungen wickeln konnte, ein Prediger in seiner Kanzel. Dies war nicht nur eine Band, die hart und heavy rocken konnte. Nein, dies war ein richtiges Monster, das den echten Swing hatte. Und auf Tracks wie der blutig-rohen Ballade ›What It Takes‹ und dem tief beseelten ›The Other Side‹ waren wir schon so weit jenseits dessen, was wir mal als Powerballaden bezeichneten, dass wir tatsächlich schon auf Zehenspitzen ins Edelpop-Terrain der Beat­les wanderten. Als die es in den 60ern absteckten, wuchsen Aerosmith gerade auf mit einem transzendentalen Transistorradio, das ihnen an den immer noch leicht zu beeindruckenden Ohren klebte.


Es gab immer noch Momente, in denen die Band einfach nur das Standardprogramm abspulte – weder ›Don’t Get Mad, Get Even‹ noch ›My Girl‹ musste man wirklich mehr als einmal hören –, doch größtenteils löste PUMP das Versprechen seines Titels mit Bravour ein. Mit dem Ergebnis, dass man Aero­smith nicht mehr auf eine Stufe mit Mötley Crüe, Poison und Bon Jovi stellte oder als Relikte aus den 70ern abtat. Nun waren sie die „big daddies“ des Rock der späten 80er und selbst Guns N’ Roses gingen vor ihnen in die Knie. Slash wurde nie müde, seine Geschichte zu erzählen, wie er zu Aero­smiths Musik entjungfert wurde, und zum letzten Mal spielten sie ihre eigene unbeholfene Version von ›Mama Kin‹ als Vorgruppe von Aerosmith. Als ›Janie’s Got A Gun‹ dann 1990 mit dem Grammy in der Kategorie „Best Rock Performance By A Duo Or Group With Vocals“ ausgezeichnet wurde, steuerte PUMP schon auf mehr als zehn Millionen Verkäufe weltweit zu. Es wurde zum größten Album ihrer Karriere und führte endlich auch zu den ersten Auftritten auf dieser Seite des Atlantiks seit den 70ern. Ich kann mich noch an ihre vier Shows in London im November 1989 erinnern – zwei im Hammersmith Odeon und zwei in der Wembley Arena. Da war ich erstaunt, wieviel besser, souveräner und packender sie waren als nur neun Monate zuvor am Höhepunkt ihrer US-Tournee, wo Guns N’ Roses sie jeden Abend zu einer Art Duell herausforderten. Als ich zugesehen hatte, wie Tyler und Perry mit strahlenden Gesichtern am Bühenrand bei Slashs Solo zusahen, fühlte es sich an wie die Übergabe des Staffelholzes.


Doch als sie dann das Hammer­smith Odeon in Schutt und Asche legten, war klar, dass sie auf einem viel höheren Niveau des Rockbewusstseins operierten als je zuvor. So grandios es auch war, zu erleben, wie sie das neuere Material wie ›Dude‹, ›Elevator‹, ›Janie‹ oder ›F.I.N.E.‹ abfeuerten, war das wirklich Beeindruckende an der Show doch, wie sie tief in die Mottenkiste griffen und absolut überragende Interpretationen von alten Klassikern wie ›Rats In The Cellar‹, ›Draw The Line‹, ›Sweet Emotion‹ und ›Walk This Way‹ zum Besten gaben. Ich meine, Alter! Sie mussten es nicht tun, aber sie taten es.
Bei einem Empfang nach der Show unterhielt ich mich kurz mit Perry und schwafelte aufgeregt darüber, dass PUMP ihr bestes Album überhaupt sei, wie gut die Songs darauf zu den besten aus ihrem Backkatalog passten und wie wunderbar das Leben auf dieser Erde sei, vor allem jetzt, wo ich diese zehn Bier intus hatte. Oder so. „Es ist gut für uns gelaufen“, stimmte er zu, kaute immer noch Kaugummi und weigerte sich, zu lächeln, das Grau seiner Haare zu einer Dandy-Strähne stilisiert. „Das Album hat bewiesen, dass man uns nicht in eine Schublade stecken kann. Ich hasse es, wenn ich in einen Plattenladen gehe und unsere Alben in der Heavy-Metal-Abteilung sehe. Was soll das?“ Er verdrehte die Augen. „Aber ich hasse es auch, wenn Leute sagen, wir würden Balladen nur veröffentlichen, damit wir Hits landen. Ich meine, warum sollte man überhaupt Singles machen, wenn diese nicht gespielt werden? Die Leute sagen: ‚Aber ihr seid Künstler, euch sollte so ein Scheiß nicht kümmern‘. Ich sage: Ich bin ein Künstler – aber ich bin auch ein Entertainer. Ich habe mich nicht für diesen Job entschieden, um auf einem Barhocker zu sitzen und vor fünf Menschen zu spielen. Ich mag den Erfolg.“


Und gerade da, als würde er das Gesagte untermauern, kam Steven Tyler vorbeigehüpft, ein Mann, für den „Erfolg“ offensichtlich noch mehr bedeutete. „Ich brauche sowieso kein Geld. Die Leute geben mir einfach Zeug. Das ist die Wahrheit. Ich habe nie Bargeld dabei, sondern zeige einfach nur auf Sachen im Laden und bekomme sie dann.“ Er sah mich an, als würde er durch ein Mikroskop blicken. „Weißt du, warum wir das Album PUMP genannt haben?“ Äh, weil ihr „pumped“ seid (heiß)? „Weil wir heiß sind!“ Er warf den Kopf zurück und lachte wie ein Wolf, der nach seinem Mahl im Mondlich heult. „Was kann es für einen größeren Erfolg geben?“ Bei einem Telefonat ein paar Monate später, als PUMP Aero­smith endlich zu richtigen Weltstars gemacht hatte, fragte ich Tyler, ob der Erfolg in diesem Ausmaß vielleicht nicht zu spät gekommen war, um ihn wirklich genießen zu können.Ein kehliges Lachen. „Nein, Mann! Hätten wir solchen Erfolg in den 70ern gehabt, wären wir jetzt nicht hier. Das hätten wir niemals überlebt. Jetzt fühlt es sich mehr an wie damals, als wir gerade anfingen. PUMP ist super für uns gelaufen und hat uns zum ersten Mal wirklich der ganzen Welt in den Rachen geschoben. Aber wir müssen immer noch jeden Abend da raus gehen und uns beweisen.“


Und wie kommen sie nach der Show wieder runter ohne die einstigen Standardhilfsmittel Alk und Dope? „Wir spielen! Das ist alles, was wir heute tun, einfach Musik spielen – für uns, für andere. Es ist egal, ob uns Leute auf eine bestimmte Art sehen. In meinem Kopf war ich schon immer ein Rock­star. Und PUMP ist nur der Anfang davon, wo wir als Nächstes hingehen. Wir sind jetzt in den 90ern, all die Regeln ändern sich.“ Ein paar Wochen später spielten Aerosmith in Donington, was damals noch das Festival Monsters Of Rock war. Jimmy Page hatte mir gesagt, dass er nur wegen ihnen hinfahren würde. Wie fühlte sich Steven durch diese Aussage? Noch ein langes, kehliges Wolfslachen. „Nun, ich denke so darüber: Jimmy Page wird zu unserer Show kommen und sehen, wie wir ›Train Kept-A-Rollin‹ spielen, ein Stück, dass ich zuerst von ihm bei den Yardbirds gehört hatte, was uns wiederum dazu bewegte, Aerosmith zu gründen. Wie werde ich mich also diesen Abend über fühlen? Na ja…pumped! Was kann ich sonst sagen?“ Ich pumpte Tyler adieu und legte die Pumpe auf. Dann schrieb ich die pumpende Story. Und fühlte mich pumped. Oder F.I.N.E. Das weiß ich leider nicht mehr so genau.

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