Faith No More
ANGEL DUST
Music On Vinyl/Cargo
Engelsstaub im Getriebe: Koffein, Kindergarten und Midlife Crisis.
Maßgeblichen Anteil an der weltweiten Ausbreitung des Crossover-Virus hat das 1981 in San Francisco gegründete Quintett. Vom Urkeim in kleinen schwitzigen Clubs bis zur Pandemie in gigantische Arenen deklinierten Faith No More jede mögliche Stufe. Als finanziell rentabel erweist sich das gewagte Konzept aus Metal, Funk, Rock, Rap und Experiment aber erst, als 1989 für Album Nummer drei, visionär THE REAL THING betitelt, statt Chuck Mosley Mike Patton am Mikrofonständer steht, um parallel zu signifikanten Vokalexzessen auch noch exzentrische Faxen als Frontmann zu inszenieren. Platin in den USA kassiert der Fünfer dafür. Und macht auch auf dem Nachfolger ANGEL DUST 1992 prinzipiell nichts verkehrt – außer, dass es im Heimatland diesmal nur für Gold reicht. Mit „Engelsstaub“ jedenfalls gelingt es Faith No More vor allem in Übersee, ihre respektable Reputation zu vertiefen: Bis heute bleibt Longplayer Nummer vier das bestverkaufte Werk außerhalb der USA. Ad acta legt die mit Bassist Billy Gould, Schlagzeuger Mike Bordin, Keyboarder Roddy Bottum und dem letztmalig zur Gitarre greifenden Jim Martin besetzte Truppe alsbald das Image wild-wütender Aggro-Kids – auch wenn sich ein Song wie ›Be Aggressive‹ mit in AIDS-Zeiten heikel besungenen Sexualpraktiken („I Swallow“) im Repertoire tummelt.
Stattdessen empfiehlt sie sich mit Launigem wie ›Caffeine‹, ›Kindergarten‹ und ›Midlife Crisis‹ als clever hintersinnige Hofnarren des Alternative Rock. ›A Small Victory‹ und das vom gleichnamigen Kinokultfilm inspirierte ›Midnight Cowboy‹ lassen sich gar als stubenreiner Pop identifizieren. Erst in der CD-Neuauflage hinzugefügt wurde die unglaublich lässige Version von Lionel Richies ›Easy‹, ein weltweiter Hit, der auch Papa. Mama, Oma, Opa, Onkel und Tanten gefällt, fortan als Markenzeichen fungiert und an dem Faith No More seither ungerechterweise gemessen werden. Doch ausgerechnet die „unglaubliche Leichtigkeit des Seins“ fehlt auf der Vinyl-Edition im Doppelformat.
9
Blind Faith
BLIND FAITH
Music On Vinyl/Cargo
Tu, was du willst: einziges Werk der kurzlebigen Blind Faith.
Eliten unter sich: Als Ausgleich zu ihren Verpflichtungen bei Cream und Traffic vergnügen sich Eric Clapton und Steve Winwood im Sommer 1968 gerne bei gelegentlichen Jams. Statt finden die Begegnungen in Claptons Landhaus in Surrey. Ein zwei Jahre zuvor auf Betreiben von Elektra-Chef Jac Holzman anvisiertes Projekt namens Powerhouse der beiden war schon in Ansätzen gescheitert. Anfang 1969 nach Auflösung von Cream und Traffic nimmt der zweite Anlauf Gestalt an. Doch die als künstlerischer wie geschäftlicher Befreiungsschlag geplanten, mit Schlagzeuger Ginger Baker und Multiinstrumentalist Ric Grech komplettierten Blind Faith sind binnen Monaten ebenfalls Geschichte. Im Langzeitgedächtnis haften geblieben ist die „Supergroup“ allerdings nicht nur durch die Gewinnmaximierung der gewieften Manager Robert Stigwood und Chris Blackwell, des ersten Joint Ventures der Rockgeschichte. Denn das Quartett leistete 1969 mit seinem selbstbetitelten und von Jimmy Miller (u.a. Rolling Stones) kristallklar produzierten Debüt im kontroversen Cover von Bob Seidemann exzellente Überzeugungsarbeit: Stark jazzinfiziert geriet der Auftakt mit ›Had To Cry Today‹, gefolgt vom verspielten Akustikfolk von ›Can’t Find My Way Home‹. Deutlich vom ursprünglichen Original unterscheidet sich das Buddy-Holly-Cover ›Well All Right‹. Der Absicht, ein britisches Gegenstück zu The Bands MUSIC FROM BIG PINK zu kreieren, kommt die einzige Komposition Claptons wohl am nächsten: ›Presence Of The Lord‹. Einmal mehr am Jazz orientiert sich ›Sea Of Joy‹, ›Do What You Like‹ schließlich, Ginger Bakers 15-minütige Hommage an Kollege Graham Bonds Faible für den Satanisten Aleister Crowley, tönt wie ein Echo von Dave Brubecks ›Take Five‹. Wie schon in der Neuauflage der Deluxe Edition CD von 2001 finden sich auf der doppelten Vinylausgabe fünf Archivfunde rund um die Entstehungszeit von BLIND FAITH: Darunter die Electric Version von ›Can’t Find My Way Home‹, ›Time Winds‹ und der knapp 16-minütige ›Acoustic Jam‹.
10
Donovan
MELLOW YELLOW MONO EDITION /
WEAR YOUR LOVE LIKE HEAVEN MONO EDITION / THE HURDY GURDY
MAN MONO EDITION
Sundazed
Donovans Metamorphose: vom rustikalen Ostermarschierer zum samtenen.
Von den Medien als „britischer Bob Dylan“ apostrophiert, hievt der Schotte Donovan Leitch 1965/66 akustische Ostermarschiererhymnen wie ›Colours‹, ›Catch The Wind‹ und ›The Universal Soldier‹ in die Charts. Nach alter Woody-Guthrie-Tradition steht auf seinem Gitarrenkoffer „This Machine Kills!“. Wenig später vollzieht der gerade 20-Jährige unter Anleitung des südafrikanischen Popproduzenten Mickie Most in London eine künstlerische Metamorphose, wechselt vom Label Pye zu Epic, darf aber aus vertraglichen Gründen bis 1970 in Großbritannien kein Album veröffentlichen. Anstatt provokanter Pazifismusoden stilisiert sich Donovan als blumenumkränzter ›Sunshine Superman‹ im seidenen Kaftan, hautengen Samthosen und flippiger Pelzweste. MELLOW YELLOW, viertes Album in zwei Jahren, lenkt 1967 mit Arrangements von John Paul Jones (wenig später bei Led Zeppelin) den fernöstlichen Sitar-Trip des LP-Vorgängers SUNSHINE SUPERMAN zurück auf die britische Insel. Akustischer Celtic-Folk (›Writer In The Sun‹, ›Sand & Foam‹), deftig Verjazztes (›The Observation‹, ›Bleak City Woman‹) und mit Streicher veredelter Barock-Pop (›Hampstead Incident‹, ›Sunny South Kensington‹) sorgen für Abwechslung. Eine Hommage (›House Of Jansch‹) an sein großes Vorbild, Akustikgitarrenvirtuose Bert Jansch, darf nicht fehlen. Noch tiefer vor ins Hippie-Epizentrum dringt WEAR YOUR LOVE LIKE HEAVEN, ursprünglich erster Teil eines als Doppelalbum vertriebenen Konzeptwerks namens A GIFT FROM A FLOWER TO A GARDEN: Stark inspiriert von der Transzendentalen Meditation des Maharishi Magesh Yogi, funktionieren die zehn Songs im kleinen Jazz-Combo-Modus, besitzen aber im Gegensatz zu den Vorgängern weniger signifikante Melodien. Als Kleinodien des britischen Acid-Pop leisten ›Mad John’s Escape‹, ›Skip-Along Sam‹, ›Someone Singing‹ und das von keinem Geringeren als William Shakespeare getextete ›Under The Greenwood Tree‹ trotzdem Überzeugungsarbeit. Kreativ frisch aufgetankt kehrt Donovan 1968 vom mehrmonatigen Aufenthalt mit den Beatles aus Indien zurück: HURDY GURDY MAN reflektiert nicht nur Psychedelisches, sondern operiert auch in Art-Rock-Gefilden. Alan Parker dominiert mit seiner auf Blues-Rock geeichten Gitarre den famosen Titelsong, der sich, wie auch das liebliche ›Jennifer Juniper‹, wenig später in den Singlecharts tummelt. Auf ›Peregrine‹, ›The River Song‹ und ›Tangier‹ dröhnt es abermals hypnotisch zwischen Orient und Fernost, ›West Indian Lady‹ empfiehlt sich als Calypso.
MELLOW YELLOW MONO EDITION:
8
WEAR YOUR LOVE LIKE HEAVEN MONO EDITION:
6
THE HURDY GURDY MAN MONO EDITION:
9
Free
FIRE AND WATER
Music On Vinyl/Cargo
Wie Feuer und Wasser: Durchbruch beiderseits des Atlantiks dank ›All Right Now‹.
Mit einem Durchschnittsalter von gerade mal 17 Jahren zählen die 1968 in London gegründeten und von Mentor Alexis Korner intensiv geförderten Free sicherlich zu den erstaunlichsten Errungenschaften rund um die zweite Division der British Blues Invasion. Auf zwei Vorgängeralben, dem Debüt TONS OF SOBS und dem Nachfolger FREE (beide 1969), zeigt die mit Sänger Paul Rodgers, Gitarrist Paul Kossoff, Bassist Andy Fraser und Schlagzeuger Simon Kirke besetzte Formation für ihr jugendliches Alter schlicht begnadete Virtuosität. Doch nach zwei Alben treten Free ein wenig auf der Stelle. Guter Rat kommt von den beiden Koproduzenten John Kelly und Roy Thomas Baker (wenig später Klanghexenmeister bei Queen), die gemeinsam im Gespann mit Free die Klangregler steuern: „Wie wäre es, anstatt weiterhin die Faszination für Mississippi Delta und Chicago Blues puristisch fortzusetzen, wenn sich Einflüsse aus Soul und Hard Rock intensivieren würden?“. Gesagt, getan! Exemplarisch festgehalten und zusammengefasst ist diese stilistische Metamorphose von FIRE AND WATER in der verkürzt editierten Singleauskopplung ›All Right Now‹ – dem Überhit des Jahres 1970, der in den Jahren 1973, 1978, 1982 und 1991 jeweils erfolgreich wiederveröffentlicht wurde und zu einem der Rockklassiker schlechthin avancierte.
Ironischerweise ähneln Free im Titelsong oder in den balladeskeren Momenten auf ›Oh I Wept‹ und ›Heavy Load‹ schon erstaunlich dem ohnehin nicht allzu weit entfernten Konzept der Nachfolgegruppe Bad Company. In einschlägigen Diskotheken funktioniert parallel zur langen Fassung von ›All Right Now‹ auch noch das subtile Funk-Epos ›Mr Big‹. Doch vor allem profitiert FIRE AND WATER von glasklarer, dreidimensionaler Produktion. 43 Jahre später versetzen Kossoffs brillante, auf mehrere Aufnahmespuren konservierte Sechssaiten-exkursionen, Rodgers signifikante Vokalexpertise sowie die präzise Rhythmussektion von Kirke und Fraser nachgewachsene Hörergeneration noch immer in Erstaunen.
10
Lee Hazlewood
TROUBLE IS A LONESOME TOWN
Light In The Attic
Lee Hazlewoods fabelhaftes Debüt von 1963 mit ausführlichem Begleitheft.
Vielfalt lautet die Losung: Lee Hazlewood auf die Berufsbezeichnung Produzent festzulegen hieße, seine zahllosen anderen Talente sträflichst zu vernachlässigen. Nach Anerkennung als Mentor, Studiokoryphäe und Komponist von Gitarrenvirtuose Duane Eddy und The Shacklefords demonstriert Hazlewood auf seinem lange schon vergriffenen Solodebüt von 1963 weitere Talentfacetten. Doch auch das ist nur die halbe Wahrheit: Unter dem Pseudonym Mark Robinson hatte der Hüne mit dem signifikantem Bariton schon zuvor als Vokalist debütiert. TROUBLE IS A LONESOME TOWN, unter Sammlern eine gesuchte Rarität, deren gut erhaltene Exemplare astronomische Summen erzielen, darf sich aber das Attribut an die Brust heften, erstes Werk unter eigenem Namen zu sein. Ein Opus, das noch nichts mit „Sommerwein“, „Wanderstiefeln“ und „Samtmorgen“ zu tun hat. Als kitschige Lagerfeuerromantik mit Cowboy-Touch ließen sich die zehn Originalsongs abtun. Doch die Abenteuergeschichten, die Hazlewood auf den spartanisch arrangierten Oden ›Long Black Train‹, ›Son Of A Gun‹ und ›The Railroad‹ erzählt, ziehen eine direkte rote Linie von den Pionieren Woody Guthrie und Hank Williams zu Nachfolgern-im-Geiste wie Waylon Jennings und Steve Earl. Aufgefüllt wird das Doppelalbum mit zum Teil unveröffentlichten Aufnahmen von 1955/56, darunter ›It’s An Actuality‹, ›I Guess It’s Love‹ und ›Fort Worth‹. Ferner finden sich auch noch jene Songvignetten, die Hazlewood als Mark Robinson einspielte: ›Pretty Jane‹, ›Want Me‹, ›Can’t Let Her See Me Cry‹ und › I’ve Made Enough Mistakes Today‹. Unbedingt hörenswert ist auch die dramatische Amnestiehymne ›The Girl On Death Row‹ und das skeptische Bekenntnis ›Words Mean Nothing‹. Als Bonbon obendrauf gibt es in sechs Kapiteln die vom Meister höchstpersönlich in unnachahmlichen Timbre gelesene „Lee Hazlewood Autobiography“.
10
Kings Of Leon
COME AROUND SUNDOWN
Music On Vinyl/Cargo
Warten auf den mechanischen Bullen: Quo vadis Caleb, Nathan, Jared und Matthew?
„This could be the end“, raunt Caleb Followill im Auftaktsong zum fünften Werk COME AROUND SUNDOWN – und vielleicht meint er ja tatsächlich, was er singt? Wer jedenfalls Konzerte der beiden letzten Tourneen besucht und auch mal genauer hingeschaut hat, weiß: Der Vokalist, Gitarrist und Damenschwarm, auf den zuhause Modelgattin Lily Aldridge wartet, dürfte ein Suchtproblem zumindest mit Hochprozentigem haben. Zumal es ja auch jenes Debakel 2011 in Dallas gab, als es zumindest für den Augenblick so aussah, als hätte das letzte Stündlein der Kings Of Leon geschlagen. Doch Calebs abrupter Bühnenabgang steht in bester Tradition von Axl Rose – so etwas ist ja heutzutage kaum der Rede wert, da der Exzess längst gesellschaftlich akzeptiert ist und vor allem untrennbar zum Berufsbild eines Rock’n’Rollers zählt. Auch COME AROUND SUNDOWN liefert keine schlüssige Kernaussage, wie es weitergehen wird mit dem Familienclan – sowohl künstlerisch als Band wie auch als menschliche Individuen. Da muss der geneigte Fan auf das für Ende September 2013 geplante aktuelle Werk MECHANICAL BULL warten. COME AROUND SUNDOWN jedenfalls, das 2010 den eklektischen Diskurs des Multiplatinvorgängerwerks ONLY BY THE NIGHT fortsetzte, geht mit hymnisch Griffigem wie ›Radioactive‹, ›The End‹ und ›Beach Side‹ in die Tiefe, anstatt sich neue Horizonte zu suchen. In Deutschland platzierte sich das nun auch als Vinyl-Doppel im Klappcover erhältliche Album mit hübschen Retronummern wie ›Back Down South‹ und ›Mary‹ als erster Tonträger der King Of Leons auf der begehrten Pole Position. Weltweit indes ließen sich die Absatzzahlen des Vorgängers nicht wiederholen.
8
Lynyrd Skynyrd
SECOND HELPING / NUTHIN’ FANCY
Quality Records, Analogue Productions / MCA
200 Gramm Qualitätspressungen zweier Klassiker im ausklappbaren Deluxe-Cover.
Glück muss der Mensch haben: Al Kooper, Gründungsmitglied von Blood, Sweat & Tears, Solointerpret, Komponist, Dylan-Intimus, Multiinstru-mentalist, Freigeist und Produzent, entdeckt 1972 zufällig eine Band in Atlanta und nimmt sie für sein junges Label Sounds Of The South unter Vertrag: Aus den Lokalmatadoren von Jacksonville, Florida namens Leonard Skinner – benannt nach einem verhasstem Lehrer an der Highschool – wird wenig später Lynyrd Skynyrd. Koopers Produktion des Debüts mit den Hits ›Free Bird‹ und ›Gimme Three Steps‹ lässt schon erahnen: Da steckt noch mehr Potenzial drin. Auch 1974 beim zweiten Longplayer SECOND HELPING sitzt Kooper mit seiner Expertise an den Klangreglern. Auf sein Anraten wird der Eröffnungssong ›Sweet Home Alabama‹, ein im direkten Vergleich mit den restlichen sieben Songs unglaublich eingängiger Rockohrwurm, der recht nassforsch auf Neil Youngs Songs ›Alabama‹ und ›Southern Man‹ antwortet, als Singleauskopplung ausgewählt – und etabliert das Septett um Frontmann Ronnie van Zant binnen Monaten weltweit. Doch SECOND HELPING repräsentiert wesentlich mehr, kommt doch zum ersten Mal das dynamische Gitarrentrio Gary Rossington auf Gibson Les Paul, Allen Collins auf Gibson Firebird und Ed King auf Fender Stratocaster voll zum Einsatz. Melancholischer Blues im Zeitlupenstil liefert ›I Need You‹. Ironisch ihr Label auf die Schippe nimmt die Südstaatentruppe im hart gerockten wie mit famosen E-Piano ausgestatteten ›Workin’ For The MCA‹. Rustikal erdig mit Slide-Gitarre funktioniert ›The Ballad Of Curtis Lowe‹. J.J. Cale gefallen haben dürfte der flotte Shuffle ›Swamp Music‹ – zumal sich auch noch Cales Komposition ›Call Me The Breeze‹ zum Ausklang findet. Prinzipiell im gleichen Modus weiter geht es 1975 mit Kooper und seinen trinkfesten Halbstarken auch auf NUTHIN’ FANCY: ›Saturday Night Special‹, ›On The Hunt‹ und ›Whiskey Rock-A-Roller‹ rocken und rollen deftig. ›Railroad Song‹ baut sich um eine unwiderstehliche Bluesmundharmonika auf. ›I’m A Country Boy‹ beteuert trotzig einmal mehr die Verwandtschaft zu Free. Hinter den sensationellen US-Verkauferfolgen der beiden Vorgänger mit jeweils Doppelplatin bleibt das bis dato nur mit Einfachplatin ausgezeichnete NUTHIN’ FANCY auch in Sachen Kreativität ein wenig zurück.
SECOND HELPING:
10
NUTHIN’ FANCY:
7
Iggy Pop
INSTINCT
Music On Vinyl/Cargo
Ein Rocktier mit Instinkt: Iggy Pops fabelhaftes Metal-Werk von 1988.
Wie man im Rockbusiness trotz zumeist unerheblicher Verkaufs-zahlen und, zumindest in jungen Jahren, unglaublichem Appetit auf radikale Selbstzerstörung stolze 66 Jahre alt wird, macht nonchalant mit einem Augenzwinkern Iggy Pop vor. Auch in seiner erklecklichen Diskografie demonstriert Mr. Pop alias James Osterberg Eloquenz: Zwar zeichnet sich Pop durch künstlerische Sprunghaftigkeit aus, doch im Gegensatz zum zeitweiligen Kumpanen David Bowie, der vor allem in den 80er Jahren weit unter seinem Niveau produzierte, hat der in einem Trailerpark in Ann Arbor aufgewachsene Vokalist, Komponist und Performer keinerlei Luschen hinterlasen. Seiner zweiten Zusammenarbeit mit Bowie auf dem kommerziell ausgerichteten BLAH BLAH BLAH (1986) lässt der zeitweilige Solist aber auch Wiederfrontmann von The Stooges 1988 das mit dem ehemaligen Sex Pistol Steve Jones zumindest in Teilen co-komponierte INSTINCT folgen: Jones darf richtig hartmetallisch in die Saiten greifen bei den glücklicherweise von Produzent Bill Laswell nicht am pompös blechernen Achtzigerzeitgeist ausgerichteten zehn Tracks, die wie eine Fortsetzung der ersten drei Stooges-Alben anmuten. Voll auf die Zwölf geben Iggy und Kohorten in jedem Song und sind sich gewiss: Mit ›Tuff Baby‹, ›Squarehead‹ und noch superberem Titelsong findet sich ein klassisches Haudrauf-Triptychon, das in den vergangenen 25 Jahren nichts von seinen animalischen Reizen eingebüßt hat. Schon der Einstand ›Cold Metal‹ demonstriert, wo es die nächsten 44 Minuten lang geht: Archaischer, hartmetallischer Riffrock, garniert mit Iggys unnachahmlichem und jederzeit sofort erkennbarem Timbre sowie griffiger Überlebensprosa.
9
Uriah Heep
SALISBURY
Music On Vinyl/Cargo
Dame in Schwarz: Uriah Heep spielen sich in die Herzen des deutschen Publikums.
Wer um 1970 affin mit Black Sabbath, Deep Purple und Led Zeppelin war, der konnte sich zumeist auch für Uriah Heep erwärmen. Doch im Gegensatz zum heute noch weltweit wohlgelittenen Triumvirat, hat das nach einer Figur aus Charles Dickens’ Romanklassiker „David Copperfield“ benannte Londoner Quintett vom einstigen Nimbus so einiges eingebüßt. Als 1971 das zweite Werk SALISBURY die Runde in einschlägigen Fanzirkeln machte, war das Erstaunen groß: Wer sich im Vorjahr schon am Debüt VERY ’EAVY… VERY ’UMBLE und vor allem am progressiven Diskothekenrenner ›Gypsy‹ delektiert hatte, lauschte mit ungläubigem Blick dem knapp 17-minütigen Titelsong, einer mit 24-köpfigem Orchester nach allen Regeln der Klassikkunst inszenierten Suite. Klar, da hatten Uriah Heep mal eben im Kollegenkreis nach rechts und links geschaut, um sich Deep Purples CONCERTO FOR GROUP AND ORCHESTRA und Pink Floyds ATOM HEART MOTHER zum Vorbild zu nehmen. Üppige Bläserarrangements liefern sich mit Ken Hensleys verjazzten Hammond-Orgel-Passagen und irrwitzigen Soloeskapaden von Gitarrist Mick Box deftige Verfolgungsjagden. Zwischendurch ertönt eine einsame Querflöte, während der ausgezeichnete Vokalist David Byron in ebenso ungeahnte Höhen vorzudringen versteht wie Ozzy Osbourne, Ian Gillan und Robert Plant. Dabei war den Fans doch eher nach dieser satten Mixtur aus Heavy Blues Metal und Art Rock, wie sie etwa die Eröffnungshymne ›Bird Of Prey‹ oder ›Time To Live‹ transportierten. Akzeptanz erzielte auch das sphärisch-balladeske ›The Park‹. Eine ganze Spur zu kommerziell geraten schien indes die grazile ›High Priestess‹ zu sein. In die düster-melancholische ›Lady In Black‹ hingegen zeigte sich vor allem das hiesige Publikum regelrecht vernarrt – in verkürzter Edition damals immerhin ein erstaunlicher Platz 5 in den deutschen Singlecharts. Erweitert um eine zweite Vinylscheibe sowie sieben Archivnovitäten (u.a. ›Simon The Bullet Freak‹, ›Here Am I‹) liegt SALISBURY in der ursprünglichen Vertigo-Version mit ausklappbarem Cover vor.
8
Frank Zappa
FREAK OUT! / OVER-NITE SENSATION
Barking Pumpkin Records
Zwei auf einen Streich: Album Nummer eins und 17.
Man stelle sich das mal vor: Den Kulturschock, den erst Elvis Presley, dann die Beatles auslösten, hatte die nach wie vor konservativ aufgestellte westliche Welt 1966 einigermaßen verdaut – da stand schon die nächste Generation vor der Tür: Mothers Of Invention nennt sich der von Frank Zappa angeführte, wüste Haufen aus Los Angeles mit dem Schlachtruf FREAK OUT! im Imperativ. So betitelt Chefideologe Zappa das nach Bob Dylans BLONDE ON BLONDE zweite Doppelalbum der Rockhistorie. Unter Produktionsägide von Tom Wilson rüttelt FREAK OUT!, angefüllt mit Collagen, Parodien und jeder Menge Gesellschaftskritik, nicht nur die etablierte angloamerikanische Musikszene wach. ›Who Are The Brain Police?‹, fragen The Mothers Of Invention, Beat, Rock, Blues, Jazz, Doo Wop und R&B dienen als Puzzleteile für harsche Kritik am American Way Of Life. Gegen tradierte Hörgewohnheiten gehen auch die drei letzten Songs in Überlänge an: ›Trouble Every Day‹, ›Help I’m A Rock (Suite In Three Movements)‹ und › The Return Of The Son Of Monster Magnet (Unfinished Ballet in Two Tableaux)‹. Als im September 1973 mit OVER-NITE SENSATION Zappas 17. Album in gerade mal sieben Jahren erscheint, ist von der ursprünglichen Besetzung keiner mehr übrig – dafür aber singen The Ikettes inklusive Tina Turner als nicht genannter Chor mit. Wie auf den vorangegangenen Alben WAKA/JAWAKA und THE GRAND WAZOO loten Zappa und seine kompetent besetzten Mothers weitschweifig verkopften Rock und Jazz Fusion aus: Der Auftakt ›Camarillo Brillo‹ tönt erstaunlicherweise wie die noch gar nicht existenten Dire Straits. Vor Gehirnwäsche per Fernsehen warnt das lässig in Zeitlupe gerappte ›I’m The Slime‹, ›Dirty Love‹ porträtiert eine Dame mit erotischem Verhältnis zu ihrem Pudel. Auch ›Dinah-Moe Humm‹, eine Satire auf die seinerzeit im US-TV unglaublich populäre Talkshowgastgeberin Dinah Shore, spielt explizit auf sexuelle Aktivitäten an. Noch absurder gestaltet sich der Inhalt von ›Montana‹. Lautet doch die Botschaft: Zieht nach Montana, um Zahnseide zu züchten und damit reich zu werden. Extrapunkte verdienen beide Artworks: Psychedelisch verspielt geriert sich die Fotografie von FREAK OUT!. Wie ein surreales Gemälde von Salvador Dali gestaltet sich das von OVER-NITE SENSATION.
FREAK OUT!:
10
OVER-NITE SENSATION:
10