Vor allem Mike Love wurde damals zum Gegenspieler seines empfindsamen Mitmusikers. Er war der Meinung, die neue Richtung sei nicht das, was die Leute von den Beach Boys erwarteten. Stand Brian Wilson für die melancholische Seite der Band, so war er eher der virile, leichtlebige Typ. Love verglich ihr Verhältnis in künstlerischer Hinsicht einmal mit dem von John Lennon und Paul McCartney.
Nun war Love für die Beach Boys ziemlich sicher nicht ganz so entscheidend wie McCartney für die Beatles, dass er und Wilson sich ergänzt hätten, darauf legt er allerdings großen Wert: „Brian ist musikalisch unglaublich begabt, er konnte sich ans Klavier setzen und diese Harmonien, Akkordfolgen und Melodien erschaffen. Niemand war besser darin. Ich war wichtig für ihn, weil ich Literatur, Lyrics und Dichtung liebte und etwas von eingängigen Hooks verstand. (Singt die Refrains von ›Get Around‹, ›Good Vibrations‹ und ›Kokomo‹ an). Das sind die Dinge, mit denen ich ankam, um die Musik zu vervollständigen, mit der Brian ankam.“ Der bestätigt das übrigens, und fügt hinzu: „Mike und ich hörten viel Rhythm & Blues und Rock’n’Roll, durch Chuck Berry lernten wir, wie man Songs schreibt.“
Für PET SOUNDS jedenfalls griff Wilson Mitte der 60er, was die Lyrics betrifft, auf die Dienste von Werbetexter Tony Asher zurück. Love musste das natürlich als Affront begreifen. Dasselbe widerfuhr ihm beim geplanten Nachfolge-Überwerk SMILE, an dem ein von Drogen und psychischen Problemen zerrütteter Wilson letztlich scheitern sollte. Die Worte zu den unfertigen Stücken hatte der Musiker und Texter Van Dyke Parks geschrieben.
Die harmonische Phase in der Laufbahn der für ihre Gesangsharmonien bekannten Gruppe war endgültig vorbei. Drummer Dennis Wilson freundete sich kurzzeitig mit Charles Manson an, der vom Ruhm der Beach Boys angezogen wurde, die beiden wohnten 1968 sogar unter einem Dach. Wie Jardine vor einigen Jahren im US-Fernsehen sagte, wollte Manson sich schließlich an Dennis’ Kinder ranwanzen, ab da sei es vorbei gewesen, denn: „Du legtest dich besser nicht mit Dennis Wilson an.“ Das galt offenbar selbst für einen Typen wie Manson.
Zugleich lief ein Riss durch die Band: „Einige von uns vertieften sich in Meditation, darunter ich, andere trafen andere Lifestyle-Entscheidungen.“ Was Love, der auch heute noch regelmäßig meditiert, mit „anderen Lifestyle-Entscheidungen“ meint, sind: Drogen. Die Wilson-Brüder, nicht zuletzt Brian, waren fleißige Konsumenten. Von LSD über Kokain hin zu Heroin war alles dabei. Brian Wilson ist heute der Meinung, er hätte seine großen Stücke ohne gewisse Stimulanzien so nicht hinbekommen, Love dagegen ist überzeugt, dass sein Cousin dazu in der Lage war, obwohl er Drogen nahm.
So oder so. Eine Zusammengehörigkeit wie zu den Anfangstagen herrschte nie mehr bei den Beach Boys. Von seiner Sucht kam Brian letztendlich los, dafür trieben ihn die 70er und 80er in eine ganz andere Abhängigkeit: die zu seinem Psychotherapeuten Eugene Landy. Landy schirmte ihn vor Freunden, Familie und Mitmusikern ab, verlangte Hunderttausende Dollar pro Jahr für die Behandlung und ging so weit, die Vormundschaft für seinen Patienten zu fordern.
Erst Anfang der 90er konnte sich Wilson endgültig von Landy lösen, nicht zuletzt dank seiner späteren Ehefrau Melinda Ledbetter, so wurde es im Spielfilm „Love & Mercy“ von 2014 dargestellt und so bestätigte es der Musiker in seinen Memoiren zwei Jahre später. In den 90ern dann verklagte Love seinen früheren Bandkollegen mehrmals und erfolgreich. Es ging um Autorencredits für mehrere Songs der Beach Boys.
Was also bleibt von dieser vielleicht größten aller amerikanischen Bands heute? Epochale Songs, einige wilde Geschichten aus der Vergangenheit und ansonsten viel Streiterei und Verbitterung? Für Love ist es die ursprüngliche Idee, die noch immer zählt, er blickt gerne auf die Anfangstage zurück. „Es ging uns nicht darum, berühmt und reich zu werden, worauf es ankam, war, zusammenzukommen und gemeinsam Harmonien zu singen. Wir liebten die Everly Brothers, Doo Wop, R&B, Rock’n’Roll und die Four Freshmen. Es ging um die Liebe zur Musik und zu Harmonien, sie sind die zentralen Zutaten in den meisten der Beach-Boys-Songs. Sie erschaffen ein wärmendes Gefühl und treffen dich ins Herz. Die Positivität ist das, was unsere Musik ausmacht, sie ist ein Weg von deinen Problemen, von all den negativen Dingen wegzukommen.“
So sieht das auch Jardine, wenn er zurückdenkt: „Die 60er, mein Gott, die waren großartig. Zugleich war nicht alles leicht damals. Die US-Soldaten in Vietnam hörten unsere positive, hoffnungsvolle Musik. Sie war insgesamt eine positive Kraft in einer schweren Dekade, in der es ja auch die Bürgerrechtsprobleme gab.“
Und die Songs der Beach Boys seien – mit Blick auf die neuen Versionen auf dem Orchester-Album – gerade in der heutigen Zeit wichtig, in den Tagen von Trump, Brexit, Rassismus und Terror mithin. „Es ist schöne Musik, die Welt braucht das jetzt. Sie braucht einen positiven Moment, denn unsere Politik ist so verrückt, die Dinge sind so negativ gerade.“ Ist das Eskapismus? Auf gewisse Weise sicher. Aber die Beach Boys waren nie eine politische, gar eine Protestband.
Es ging darum, eine Vision zu schaffen davon, wie die Dinge sein könnten. Es ging um die Suche nach dem perfekten Klang, nach dem perfekten Pop-Moment, um Liebe, jugendlichen Übermut, aber auch um Melancholie und Gefühle von Unsicherheit und Deplatziertheit. Am Ende aber stand immer das Positive, so sieht es Jardine, und auch das kann ja durchaus eine weltverändernde Kraft haben: „Unsere Stücke sind erhebend. Was Brian Wilson komponiert hat, zumindest einiges davon, gehört zur einflussreichsten Musik der Welt. Es baut dich auf.“
Ganz zum Schluss: Wie verstehen sich die drei Original-Beach-Boys denn eigentlich heute, ist eine zukünftige Zusammenarbeit möglich? Mal nachgefragt. Bei Wilson schaltet sich direkt eine Assistentin ins Gespräch ein, man solle doch ja bitte nur Fragen zur Musik und zum neuen Album stellen. Love verweist auf die eigenen Projekte jedes einzelnen, wie gesagt. Nur aus Al Jardine ist was rauszubekommen: „Man weiß nie“, sagt der. „Vielleicht eine Tour mit Orchester, das könnte gehen, und wir singen unsere Parts.“
Nun ja, so richtig konkret klingt das nicht. Aber vielleicht muss man sich auch einfach freuen, dass die drei mit gut jenseits der 70 noch auf der Bühne stehen – Brian Wilson und Al Jardine mit ihrer „Pet Sounds“-Konzertreise im August ja auch wieder in Deutschland. Es könnte eine der letzten Möglichkeiten sein, das ganz direkt zu erleben, was Wilson als Vermächtnis der Beach Boys betrachtet: „Ich wollte den Menschen Harmonien geben, die sie genießen können.“
Wer sich das Video ansieht, kann sich selber sein Urteil bilden:
google-Aufruf : Beach Boys accept award Rock and Roll Hall of Fame inductions 1988
Ich finde das Gebaren eines Herrn, der den Namen „Liebe“ trägt, menschlich sehr bedenklich.
Dank an Herrn Numberger für diesen fundierten Artikel !
Nachtrag : Auf dem Video (Beach Boys accept award Rock and Roll Hall of Fame inductions 1988) ist allein schon die Sequenz zwischen Minute 1.30 und 2.00 ausreichend, um sich eine Meinung zu bilden.
Cool…..so good!!! The best Music!!!