Kurz danach, also kurz vor CHARMED LIFE, ist Steve Stevens ausgestiegen. Hast du dadurch ein bisschen was von deinem Mojo, von deiner Qualität verloren?
Ohne Frage. Und das ganz einfach, weil Steve da sehr viel beigesteuert hat. Ich meine, ich hatte auch ohne ihn viel Spaß bei den Aufnahmen zu CHARMED LIFE. Es war also nicht das Ende der Welt. Aber er macht einfach Dinge, die kein anderer hinkriegt. Wie zum Beispiel das Intro zu ›Rebel Yell‹. Was er da alleine spielt, kriegen sonst nur zwei oder drei Gitarren gleichzeitig hin, was alles sagt. Ich brauchte also mehr Personal, um ihn zu ersetzen. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich auch die Kameradschaft zwischen uns vermisst. Insofern war ich froh, als wir uns irgendwann zusammengesetzt und ausgesprochen haben. Seitdem ist alles wie früher, und ich möchte ihn nicht missen.
Ganz im Gegensatz zum CYBERPUNK-Album von 1993, dem größten Flop deiner Karriere?
(lacht) Das war wirklich ein Griff ins Klo… Wobei es ursprünglich aber nur ein Soundtrack-Album werden sollte. Nämlich zu einem Film von Brett Leonard, den er nach „Virtuosity“ angehen wollte. Es sollte die Fortsetzung von „Lawnmower Man“ (zu Deutsch: „Der Ra-senmähermann“) werden – unter dem Titel „Mind Fire“. Er hatte bereits das Skript dafür, das ich gelesen habe und auch wirklich toll fand. Es war eine Weiterführung des ersten Teils, nur 30 Jahre später. Dr. Angelo war immer noch die Titelfigur und sollte erneut von Pierce Brosnan gespielt werden. Wobei das Ganze jedoch weniger ein Horrorstreifen als eine Liebesgeschichte gewesen wäre – eine, die sich im Cyberspace abspielt. Insofern wäre CYBERPUNK der perfekte Soundtrack gewesen. Doch letztlich hat sich das Filmstudio dagegen entschieden, Brett zu finanzieren, und er konnte ihn nicht drehen. Was wiederum bedeutete, dass das Album, an dem ich gearbeitet hatte, kein Soundtrack mehr war, sondern völlig für sich stand. Was den gesamten Fokus verändert hat. Trotzdem fand ich es letztlich gar nicht so schlimm. Es war okay und definitiv eigenständig.
Trotzdem hat es deine Karriere zum Stillstand gebracht.
Irgendwie schon. Ich meine, es schien niemand akzeptieren zu wollen, dass ich die Produzenten, die Musiker und die Richtung gewechselt hatte. Wobei ich allerdings sagen muss, dass ich über kurz oder lang ohnehin den großen Crash erlebt hätte. Eben weil die Drogengeschichte aus dem Ruder lief und für immer mehr Probleme sorgte – gerade während der Sessions zu diesem Album. Da ist so viel Mist passiert, dass es selbst mir dämmerte, dass ich nicht so weitermachen konnte.
Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn du damals – wie geplant – die Hauptrolle in „Terminator 2“ übernommen hättest?
Aber natürlich! Es hätte perfekt zu CYBERPUNK gepasst und meine Vision vielleicht etwas verständlicher gemacht. Es ist eine Schande, dass das damals nicht geklappt hat. Aber mein Bein war durch den Motorradunfall so in Mitleidenschaft gezogen, dass ich nicht ohne Krücken gehen, geschweige denn rennen konnte. Und das einzige, was James Cameron, der Regisseur, von mir verlangte, war halt, dass ich den einen oder anderen Sprint hinlege. Aber ich hatte eine schlimme Gehbehinderung, was das unmöglich machte. Ich bin wirklich nur rumgehumpelt – was mich als „Terminator“ terminiert hat. (lacht)
Das Album wurde damals mit einem Bildschirmschoner auf Floppy Disk sowie deiner privaten e-Mail-Adresse ausgeliefert. Was für Mails hast du bekommen? War damals überhaupt schon jemand im Netz unterwegs?
Es waren wirklich schon ein paar Leute im Internet, aber eben nicht viele. Also nicht zu vergleichen mit heute. Es waren die Anfangstage, als man noch „http“ ausschreiben musste, weil das eben kein automatisierter Vorgang war wie heute. Und weshalb das bisweilen ziemlich schwierig für mich war. Denn ich habe mich oft mit einem Joint vor den Computer gesetzt, und war dann so high, dass ich schon mal einen Punkt oder einen Schrägstrich ausgelassen habe – und nie ins Netz gekommen bin. Aber da waren damals tatsächlich schon Leute unterwegs. Die meisten davon Journalisten, die dieses neue Medium erkunden wollten – Journalisten und Schriftsteller. Wie ein Typ namens Mark Frauenfelder, mit dem ich oft gechattet habe und der das Artwork zu CYBERPUNK entworfen hat. Nur: Das Ganze war damals noch nicht besonders nutzerfreundlich. Es war nichts automatisiert, und es ging alles sehr, sehr schleppend vonstatten. Zudem musstest du ein Zauberer auf der Tastatur sein – was ich definitiv nicht war. Aber es war toll, den Computer auf diese Weise zu erlernen. Und ich fand das so faszinierend, dass ich mich entschloss, dieses Album mit modernster Studiotechnik aufzunehmen.
Sprich: mit Pro-Tools?
Ja, das war der Grund, warum ich so auf die Technik fixiert war. Denn ich fand sie aufregend und spannend. Ich hatte zwischendurch mit Trevor Rabin von Yes gearbeitet, der ein offizieller Pro-Tools-Tester war. Sprich: Er hat das System für die Firma ausprobiert und hatte eines der ersten Rigs in seinem Studio. Er hat mir dann alles gezeigt und meinte: „Das ist die Zukunft des Aufnehmens. Sie wird alles andere ersetzen.“ Was dafür sorgte, dass ich mir wirklich Gedanken darüber ge-macht habe. Eben, was das für uns alle bedeutet und wie das die Musik bzw. die Studioarbeit verändern könnte. Das fand ich so aufregend, dass ich mich entschied, es mit dieser neuen, futuristischen Technik zu versuchen. Wobei es mir nicht so sehr darum ging, unbedingt einer der ersten zu sein, der sie für ein volles Album einsetzt, sondern ich habe darin einfach ein großes Abenteuer und einen großen Spaß gewittert. Allein wegen der vielen Möglichkeiten, da auf die Nase zu fallen (lacht) und wegen der Gedankensprünge bei der Produktion. Eben dieses Lösen vom Alten und Bewährten, das Verstehen von etwas Neuem und der damit verbundene Sprung ins kalte Wasser – für mich war das Punkrock.
Warst du deiner Zeit demnach voraus oder warst du einfach völlig verrückt?
Ein bisschen von beidem. Also, komplett verrückt war ich auf jeden Fall und meiner Zeit voraus ebenfalls. Was doch ein schöner Gedanke ist. Ich hielt mich damals für einen Teil der modernen Generation, ich war stolz darauf, dass ich nicht stehen geblieben und eingerostet war, sondern wieder an vorderster Front gekämpft habe. Und ich kam mir eben vor wie ein Cyperpunk – ich war ein Punk im Cyberspace, was eine sehr romantische Vorstellung ist. Das Lustige daran ist nur, dass ich keinen blassen Schimmer von Computern habe. Also wirklich gar keinen. Aber ich habe darin die Zukunft erblickt. Mir war klar, wie wichtig das mal für meine Kinder werden könnte und dass sie sich eines Tages wahrscheinlich völlig frei darin bewegen. Eben in einer Welt, in der die virtuelle Realität super-real ist.
Warum hat es dann eigentlich geschlagene zwölf Jahre bis zum nächsten Album DEVIL’S PLAY-GROUND gedauert?
Weil wir eine Reihe von Fehlstarts hatten. Darunter ein Album mit Produzent Glen Ballard, das wir zu zwei Dritteln fertig hatten. Da fehlte also wirklich nicht mehr viel. Doch dann entschied sich die Plattenfirma, das Projekt völlig überraschend zu stoppen, weil sie damals – 1998/99 – nicht mehr die Mittel dazu hatte. Was symptomatisch für die Situation der Musikindustrie war und ist: Es wurde eben jeder Cent zweimal umgedreht und gestrichen und gespart, wo es nur ging. Dieser Entwicklung sind wir zum Opfer gefallen, was wirklich wehtat. Der einzige Song, den wir von den damaligen Sessions gerettet haben, ist übrigens ›Bitter Pill‹. Und das in einer überarbeiteten Fassung, die mir viel besser gefällt als das Original. Aber um noch mal auf die Fehlstarts zurückzukommen: Es gab einige. Und obwohl wir DEVIL’S PLAYGROUND letztlich mit unserem Wunschproduzenten Keith Forsey aufgenommen und auch veröffentlich haben, hat sich die Situation mit der schwierigen Finanzierung nicht wirklich verändert.
Weshalb sich der Nachfolger, besagtes KINGS & QUEENS OF THE UNDERGROUND, weitere neun Jahre hingezogen hat?
In der Tat. Die heutige Musikindustrie ist nicht besonders stabil, sondern größtenteils komplett in sich zusammengebrochen. Weshalb ich das neue Album auch alleine finanziere. Und ich hätte mir wirklich gewünscht, dass es nicht wieder so lange gedauert hätte. Nur: Nach DEVIL’S PLAY-GROUND bin ich erst mal in unterschiedliche musikalische Richtungen gegangen, um herauszufinden, was ich als nächstes machen will. Und das war kein einfacher Prozess, sondern er hat eine Weile gedauert.
Und wie lange hast du an dem Buch geschrieben?
Ungefähr ein Jahr.
Mit einem Ghostwriter?
Nein, alleine. Und das war mir wichtig, denn ich wollte es so persönlich wie möglich halten. Ich wollte, dass es ein ähnlich künstlerischer Prozess wird wie das Aufnehmen eines Albums – und natürlich ein Riesenspaß. Ganz abgesehen davon: Wer könnte denn meine Ge-schichte besser erzählen, als ich? Ich war ja schließlich dabei, und ich erinnere mich noch an überraschend viel. Keine Ahnung, warum, aber es ist tatsächlich so. (lacht)
Ist dir eigentlich bewusst, dass du auf aktuellen Live-Fotos ein bisschen wie Willem Dafoe aussiehst? Du könntest glatt als Body Double durchgehen…
(lacht) Das sind die Schrecken des Älterwerdens. Oh, mein Gott!
Hast du schon mal an plastische Chirurgie gedacht bzw. hast du vielleicht sogar etwas machen lassen?
Noch nicht. Und ganz ehrlich: Ich habe es auch nicht vor, sondern ich stehe zu meinem Alter. Wobei ich aber auch nicht finde, dass ich es nötig hätte. Was das betrifft, habe ich wirklich Glück gehabt. Nur: Auf einigen der Live-Fotos, die überall kursieren, sehe ich grausam aus. Was kein Wunder ist: Die verwenden da das schlechteste Licht und lassen dich ganz bewusst aussehen, als wärest du neun Millionen Jahre alt. Weshalb ich diese Bilder hasse und ernsthaft überlege, ob ich Aufnahmen aus dem Konzertgraben verbieten lassen soll. Denn wenn die Fotografen so schräg unter dir stehen, ist das der ungünstigste Winkel, den es gibt – zumindest für mich. Er lässt dich wirklich viel älter aussehen als du bist.
Du scheinst ohnehin in guter körperlicher Verfassung zu sein. Wie hältst du dich fit, und ist stramm auf die 60 zuzugehen eine beängstigende oder eine angenehme Erfahrung?
Es ist eine durchaus angenehme Erfahrung – allein deshalb, weil ich ja nie damit gerechnet hätte, so alt zu werden. Also das stand nie zur Diskussion, und ich habe ja auch alles getan, um das zu verhindern. Nur leider nicht erfolgreich. (lacht) Wobei ich immer viel trainiert habe. Denn das ist der Deal, den ich mit mir selbst geschlossen habe, als ich Ende 1987 nach Los Angeles gezogen bin. Nämlich dass ich alle Drogen dieser Welt nehmen kann, solange ich mich in Form halte und der äußere Eindruck stimmt. (lacht) Ich weiß, dass sich das bescheuert anhört, aber ich habe mich daran gehalten. Und es gehört einfach zu meiner Musik, mich körperlich fit zu halten. Nur so kann ich den Songs gerecht werden und ihnen die Energie geben, die sie brauchen. Denn sie sind extrem energetisch, und du musst schon topfit sein, um sie so hinzukriegen, wie sie gespielt werden müssen. Von daher habe ich immer auf mich geachtet. Also so viel Schaden ich mir zugefügt habe, so sehr habe ich mich auch um mich gekümmert. Glaubt es oder nicht.
Aber „I hope I die before I get old“, aus ›My Generation‹, ist nicht mehr aktuell?
Nicht wirklich. Wobei es da aber eher darum ging, nicht mental alt zu werden. Also egal, was passiert. Und das bin ich nie geworden. Ich bin immer noch ein Teenager – im Körper eines 58-Jährigen…
Schaust du dir The Who auf ihrer Abschiedstournee im Dezember an?
Nichts lieber als das! Und ich hätte auch nichts dagegen, sie bei ein paar Gigs zu begleiten. Das wäre das Größte, ein absoluter Traum. Ich werde alles daran setzen, dass es dazu kommt.
Vielen Dank für das Gespräch.
War mir ein Vergnügen, Mann.