…hat Robert Clark Seger schon über 50 Jahre im Musikbusiness hinter sich und persönlich wie beruflich allerlei Höhen und Tiefen erlebt. Jede Dekade seiner Karriere war von anderen Musikstilen geprägt,
doch der bescheidene Jedermann mit der markant erdigen Stimme kam nie von seinem Weg ab und beschreitet ihn bis heute unbeirrbar. „Old Time Rock’n’Roll“ ist sein Markenzeichen, Steckenpferd – und Vermächtnis. An den wohlverdienten Ruhestand denkt er noch lange nicht, aber ein Rückblick auf den außergewöhnlichen Werdegang dieses Urgesteins sei angesichts der Veröffentlichung des Doppelalbums ULTIMATE HITS: ROCK AND ROLL NEVER FORGETS erlaubt.
Gibt es so etwas wie einen unscheinbaren Superstar? Wenn ja, dann kann Bob Seger diesen Titel auf jeden Fall für sich beanspruchen. Nicht weniger als 50 Millionen Platten hat er weltweit verkauft, die meisten Menschen haben seinen Namen zumindest schon irgendwo mal gehört, seine Lieder sind wohl in ausnahmslos jedem Land der Welt schon zu hören gewesen (selbst Nordkoreaner dürfen schließlich manches politisch unverfängliche Kulturprodukt des kapitalistischen Klassenfeinds konsumieren), – und den-noch scheinen nur die wenigsten Zeitgenossen außerhalb Nordamerikas zu wissen, wie sie diesen Mann einordnen sollen. Bezeichnend, dass Millionen seine Hits sofort mitsummen können, ohne jedoch zu wissen, wer sie verfasst hat. Ob der Alltime-Klassiker ›Old Time Rock’n’Roll‹ oder der 80’s-Hit ›Shakedown‹ – diese Lieder waren eben einfach schon immer irgendwie da. Grundgestein der Rockmusik, unvergänglich, unantastbar. Der Weg dahin war jedoch lang und beschwerlich.
—- Ein lautes Hallo —-
Die fünfziger Jahre gelten als goldene Ära der US-Geschichte, die Boom-Dekade schlechthin, in der die ganze Nation mit Enthusiasmus und grenzenloser Zuversicht nach vorne blickte, in die Hände spuckte und kräftig anpackte. Detroit wird zum entscheidenden Motor des Aufbruchs, hier entstehen millionenfach die ausladenden, chromstarrenden Straßenkreuzer, die den neuen, genüsslich und demonstrativ zur Schau gestellten Wohlstand stolz in alle Ecken des Kontinents tragen.
Hier wächst auch Bob auf, dessen Vater bei der allmächtigen Ford Motor Company arbeitet, doch die zweite Hälfte des Jahrzehnts ist für ihn alles andere als rosig: Die Eltern trennen sich 1956, die alleinerziehende Mutter bringt die Familie nur mit Mühe und Not über die Runden – das bequeme Vorstadtleben ist Vergangenheit.
Für Bob Seger möglicherweise der Ansporn, bereits in der High School zur Gitarre zu greifen und dieses abrupte Ende seines persönlichen amerikanischen Traums zu besingen. 1961, gerade mal 15 Jahre alt, nimmt er mit seiner ersten Formation The Decibels das Demo ›The Lonely One‹ auf – es ist der Startschuss für Bob Segers bemerkenswerte Laufbahn. Allerdings kein sehr vielversprechender: Ein einziges Mal läuft das Lied bei einer örtlichen Radiosta-tion – und die Decibels sind schon bald darauf Geschichte. Auch die nächste Station beschwört Lautstärke, als Seger bei einer Gruppe namens Town Criers einsteigt, doch es sollte bis 1966 dauern, bis nach einem gleichsam kurzen Zwischenspiel bei Doug Brown & The Omens erstmals eine Platte unter seinem Namen erscheint. Als Bob Seger & The Last Heard veröffentlicht er EAST SIDE STORY, das zumindest in seiner Heimatstadt einige Wellen schlägt und ein kleiner Hit wird. Ein Wegweiser für die nächsten Jahre, aber auch ein klassischer Fall von „zu früh ge-freut“, denn als die vierte Single ›Heavy Music‹ kurz davor steht, landesweit ins Rollen zu kommen, geht die Plattenfirma Cameo-Parkway sang- und klanglos pleite.
—- Früh übt sich … in Geduld —-
Die Suche nach einem neuen Plattenvertrag verläuft durchaus vielversprechend. Das legendäre Motown-Label macht ein Angebot – für einen Musiker aus Detroit ein absoluter Ritterschlag. Dennoch lehnt Seger ab und geht zu Capitol Records, der Firma, die er am geeignetsten für seine Musik hält – und bei der er bis heute unter Vertrag steht. Ein neuer Anlauf unter dem Namen The Bob Seger System erfolgt 1968, das Ergebnis ist durchwachsen. Zählt Seger in Michigan bald zu den angesagten local heroes, kann er auf nationaler Ebene nur in einer Handvoll Staaten punkten. Bis ›Ramblin’ Gamblin’ Man‹, die zweite Single, erscheint und die ganzen USA erobert. Bis auf Platz 17 klettert der Bluesrock-Stampfer – die Tür zu Ruhm und Ehre scheint endlich offen zu stehen.
Schnell fällt sie jedoch wieder ins Schloss. Ein Mann namens Tom Neme stößt zur Band und wird sowohl als Songwriter als auch Frontmann federführend für das nächste Album NOAH – ein Richtungswechsel, der vom Publikum nicht verstanden und entsprechend quittiert wird: NOAH entpuppt sich als kapitaler Flop, Seger kehrt der Musikindustrie darauf hin den Rücken und fängt ein Studium an. Zum Glück nur eine vorübergehende Auszeit, denn schon 1970 er-scheint MONGREL, diesmal zum Glück wieder ohne Neme. Wieder wird es in Detroit sehr positiv auf-, national aber so gut wie gar nicht wahrgenommen.
The Bob Seger System sind somit Geschichte, doch Bob lässt sich nicht mehr entmutigen und tritt erstmals als Solokünstler ins Rampenlicht. 1971 erscheint BRAND NEW MORNING, komplett akustisch, doch auch ein neuer Morgen kann einsam sein: Das Album schmiert ab, und Seger verabschiedet sich vorübergehend von Capitol Records. Ein weiteres Gruppenprojekt, My Band, folgt, das von kaum mehr Erfolg gekrönt ist, aber immerhin den Beginn einer le-benslangen Kreativpartnerschaft mit Saxofonist Alto Reed einläutet. Ende 1973 ist Seger schon wieder auf der Suche nach neuen Mitstreitern.
— Eine Kugel trifft ins Schwarze —
Wer den Namen Bob Seger hört, denkt im Kopf unweigerlich „… & The Silver Bullet Band“ weiter, denn diese Konstellation, die 1974 ins Leben gerufen wird, markiert das Ende vom Anfang – einer Dekade, in der JFK, Vietnam, Woodstock, die Beatles und die Mondlandung die Welt in Atem hielten, während für Bob Seger kaum Revolutionäres in die Annalen einzutragen war. Nach heutigen Maßstäben wäre es unvorstellbar, dass ein Künstler so lange Aufbauarbeit betreiben kann, ohne dass der Knoten platzt. Wer nicht spätestens mit dem zweiten Album durchstartet, ist weg vom Fenster.
Doch die sechziger und siebziger Jahre sind eine andere Zeit, Musiker dürfen noch wachsen. Geduld, die sich langsam auszuzahlen scheint. Mit dem Album SEVEN und der Single ›Get Out Of Denver‹ findet Bob nach dürren Jahren wieder den Weg in die niederen Regionen der US-Charts zurück. Mit seiner Rückkehr zu Capitol Records 1975 stehen die Zeichen schließlich endgültig auf Durchbruch. BEAUTIFUL LOSER erscheint und enthält mit ›Katmandu‹ einen Klassiker, der es fast schon bis in die heiligen Top 40 schafft.
Der Hype wächst, in Detroit füllt Seger mittlerweile die größten Hallen. Ebenso unvorstellbar heutzutage: Es ist ausgerechnet ein Live-Album einer dieser Shows, das endgültig zum Sprungbrett in die Oberliga wird. Im Herbst 1975 spielen Bob Seger & The Silver Bullet Band in der riesigen Cobo Arena, die Aufnahme er-scheint im April 1976 als LIVE BULLET und wird mit euphorischen Kritiken nur so überhäuft. Späte Genugtuung, denn als enthusiastisch dargebotene Best Of-Revue seines bisherigen Schaffens ist diese Platte der perfekte Katalysator für über ein Jahrzehnt Beharrlichkeit, die sich nun endlich auszahlt. Noch immer gibt es aber Teile des Landes, die nichts von ihm gehört zu haben scheinen. Während im Juni 1976 80.000 Menschen zu einem Open-Air in der Nähe von Detroit erscheinen, sind, je nach Quelle, tags darauf nicht mal 1000 bzw. drei Tage zuvor gerade mal 50 Zuschauer in Chicago anwesend…
15 Jahre nach Bob Segers erster Aufnahme ist es soweit: Die Welt liegt ihm zu Füßen. Das Album, das die letzte Raketenstufe zündet und ihn in den Orbit schießt, heißt NIGHT MOVES und soll keineswegs eine Anspielung auf die unaufhaltsam heraufbrodelnde Disco-Bewegung sein. Vielmehr beschreibt der Titeltrack in fast rührend nostalgischer Naivität, wie man sich einst mit unbeholfener Rücksitzakrobatik seine ersten Sporen beim anderen Geschlecht verdiente. Auch im Post-Hippie-Zeitalter wird diese unverblümte Verherrlichung jugendlicher Sexualität nicht nur wohlwollend kommentiert, doch die Single des Titelstücks wird der erste Top 10-Hit des Detroiters und klettert bis auf Platz 4. Befürchtungen, es könne sich wieder um eine Eintagsfliege mit begrenzter Halbwertszeit handeln, werden schnell zerschlagen, denn auch die nachfolgenden Singles ›Mainstreet‹ und ›Rock And Roll Never Forgets‹ mausern sich zu ausgemachten Hits, während das Album ebenfalls die Top 10 erobert und zum Millionenseller avanciert. Und nicht nur das: Im Zuge dieser explosionsartig gewachsenen Popularität schießen nun auch die Verkaufszahlen von BEAUTIFUL LOSER und LIVE BULLET in die Höhe.
Der Stein rollt endlich, und er nimmt noch weiter Fahrt auf. Nach einer ausgedehnten Tour zu NIGHT MOVES folgt 1978 STRANGER IN TOWN. Platz 4 der Albumcharts belegt eindrucksvoll, dass Seger endgültig in den Rock-Olymp aufgestiegen ist, die Singles ›Still The Same‹, ›Hollywood Nights‹, ›We’ve Got Tonight‹ und ›Old Time Rock’n’Roll‹ erobern die Radiowellen rund um den Globus. Vor allem letztere Nummer wurde zum Langzeitklassiker, der nicht nur durch Tom Cruises unvergessliche Unterwäsche-Tanzszene im Film „Lockere Geschäfte“ unsterblich wurde. Ein ikonischer Filmmoment, der seither oftmals parodiert wurde, doch auch als Kontrapunkt zum nun unkontrolliert grassierenden Disco-Fieber wurde das Lied zur Hymne, das offenbar die zweitmeistgespielte Jukebox-Single aller Zeiten ist. Tantiemen kassiert Seger dafür allerdings keine, denn der Song stammt nicht aus seiner Feder, und für seinen neuverfassten Text ließ er sich nie als Urheber eintragen…
Eine kolossale finanzielle Fehlentscheidung, die ihn aber kaum in Armut stürzt, denn 1980 erreicht der unaufhaltsame Aufstieg des Bob Seger endlich seinen verdienten Höhepunkt: Das Album AGAINST THE WIND klettert bis ganz an die Spitze der amerikanischen Albumcharts. Weder Punk noch Disco noch ABBA konnten ihm ernsthaft im Weg stehen, und der Durchmarsch wird gekrönt von zwei weiteren Top 10-Singles (›Fire Lake‹ und das Titelstück) und zwei Grammys. Fast 20 Jahre nach seinen ersten Gehversuchen ist Bob Seger der größte Star des Landes.
—- Mond vs. Moonwalk —-
Auch die frühen achtziger Jahre sind gut zu Bob Seger, er behauptet sich souverän als Publikumsmagnet. 1981 kommt ein weiteres Live-Album auf den Markt, NINE TONIGHT, das vor allem Material der vorangegangenen drei Hitalben umfasst und wiederum ungeahnte Verkaufszahlen für ein solches Produkt verbucht und mit einer Coverversion von Eugene Williams’ ›Tryin’ To Live My Life Without You‹ sogar eine Single-Auskopplung in die Top 5 katapultiert.
Nach dem grandiosen Erfolg von AGAINST THE WIND wartet die Welt aber ungeduldig auf neues Material, das schließlich 1982 in Form von THE DISTANCE erscheint. Kritiker lobten das Album für seine größere Klangvielfalt, wieder gelang der Einstieg in die Top 5. Bei den Singles bahnt sich gar Segers erster Nr. 1-Hit an, doch 1982 gibt es einen Star, der alle anderen überschattet: Michael Jackson. Vier Wochen lang sitzt ›Shame On The Moon‹ dessen Überhit ›Billie Jean‹ auf Platz 2 im Nacken, doch der Moonwalker erweist sich als unbezwingbar. Unverkennbare Zeichen der Zeit im Musikgeschäft? Mit dem phänomenalen Erfolg von ›Thriller‹, dem gleichzeitig in die Stratosphäre katapultierten Prince und der kurz bevorstehenden Flutwelle elektronischer Wave-Pop-Hymnen britischer Prägung kann man zu jener Zeit je-denfalls ahnen, dass eine Wachablösung unmittelbar bevorsteht. Haben die alten Rock-Recken nun also doch ausgedient? THE DISTANCE jedenfalls erzielt nach anfänglich hohen Chartplatzierungen unterm Strich die niedrigsten Verkaufszahlen eines Bob Seger-Albums seit BEAU-TIFUL LOSER.
—- Einfach mal durchatmen —-
Die folgenden Jahre wird es ziemlich ruhig um Seger, der nach über 20 Jahren harter Arbeit endlich mal auf seinen Lorbeeren ruhen und das Erreichte genießen kann. Weltweit hat sich die musikalische Landschaft allerdings gravierend verändert: Bands wie Duran Duran, Simple Minds, Depeche Mode oder die Eurythmics führen weltweit die Charts an, selbst einstige Underground-Helden wie The Cure werden massentauglich. Bob zieht sich fast gänzlich aus dem Rampenlicht zurück und tritt in diesen Jahren lediglich mit zwei Soundtrack-Beiträgen (1984 ›Understanding‹ aus dem Film „Die Aufsässigen“ und 1986 ›Living Inside My Heart‹ aus dem Film „Nochmal so wie letzte Nacht“) in Erscheinung.
1986 schließlich kehrt er mit LIKE A ROCK zurück. Ein weiteres Top 5-Album, dessen Titeltrack außerdem zur Werbehymne avanciert, und das mit ernstem Hintergrund: Nicht nur in der Musikwelt, auch in der Autobranche nämlich weht ein rauerer Wind für die alte Garde. Die einstige Boomtown Detroit leidet unter den übermächtigen Japanern, die seit Mitte der Siebziger den Weltmarkt überrollen. Amerikanische Fabriken müssen schließen, Massenarbeitslosigkeit wird zum Alltag, Motor City läuft nicht mehr rund und der Absturz der einzig relevanten Industrie seiner Heimat besorgt Seger. Um General Motors, dem größten Arbeitgeber des Bundesstaats Michigan, ein bisschen unter die Arme zu greifen, stellt er das Titelstück für einen Werbespot zur Verfügung, der den Chevrolet C/K-Pickup anpreist. Passend zum Slogan „Built like a rock“, wird das Lied zur Hymne für Patrioten und brennt sich als Dauerohrwurm in die amerikanische Psyche ein, der über zehn Jahre die Werbeblöcke von Alaska bis Florida begleiten sollte.
Auch Seger selbst denkt offenbar im stillen Kämmerlein darüber nach, die Arbeit niederzulegen. Seine neunmonatige „American Storm“-Tournee soll seine letzte werden. Eine Ankündigung, die für einen Run auf Tickets ohnegleichen sorgt: Für 105 Konzerte werden 1,5 Millionen Karten verkauft. Getreu dem Motto „quit when you’re winning“ gelingt 1987 außerdem ein Volltreffer, der Seger bis dato verwehrt geblieben war: Mit ›Shakedown‹ aus dem „Beverly Hills Cop 2“-Soundtrack schafft er erstmals den Sprung an die Spitze der Single-Charts, auch international landet er seinen bis dato größten Hit und wird sogar mit einer Oscar-Nominierung geehrt.
HipHop, Synthiepop, R&B, Glam-Metal… Wusste sich Seger in den Achtzigern noch ge-gen jeden modischen Trend zu stemmen, sieht es in den Neunzigern tatsächlich so aus, als sei der gute alte Rock’n’Roll zum Auslaufmodell verkommen. In Europa nimmt die elektronische Revolution Fahrt auf und schwappt ansatzweise auch nach Nordamerika über, während von dort die letzte große Jugendkultur des Jahrtausends um sich greift: Der Grunge ist an-gekommen, Nirvana, Pearl Jam, Soundgarden und Alice In Chains räumen weltweit ab, missmutiger Rock ohne jeglichen Humor dominiert die Bühnen der Welt, gefolgt von noch fatalistischeren NuMetal-Recken wie Korn. Gute Laune ist verpönt, Weltschmerz wird zum einzig guten Ton, und wer nicht mindestens einen Selbstmordversuch im Lebenslauf stehen hat, gilt als Weichei.
Vor diesem Hintergrund scheint Bob Segers Stern nun endgültig zu verblassen. Kann er mit THE FIRE INSIDE 1991 noch einmal die Top 10 entern und eine Platinscheibe verbuchen, wird IT’S A MYSTERY von 1995 bereits schmählich ignoriert. Nicht mal in die Top 20 schafft es das Album, das gerade mal mit Ach und Krach noch eine Goldauszeichnung erreicht. Aus den Single-Charts hat Seger sich nach seinem Superhit ›Shakedown‹ wieder völlig verabschiedet – seine Platten werden nur noch von Die-hards gekauft, im aktuellen Musikgeschehen ist er nicht mehr relevant. Ein Status, der trotzdem lukrativ bleibt: Seine Rückkehr auf die Konzertbühnen des Landes 1996 wird zum Triumphzug vor ausverkauften Hallen, seine 1994 erschienenen GREATEST HITS werden zum meistverkauften Album seiner gesamten Karriere.
—- Zeitlos glücklich —-
Das neue Jahrtausend startet Seger in stürmischen Gewässern. Nicht etwa in metaphorischer Hinsicht, denn Familienglück und ein prall gefülltes Konto sorgen für größte Zufriedenheit, sondern im sprichwörtlichen Sinne des Wortes, denn die einzigen öffentlichkeitswirksamen Auftritte zu Beginn der 00er Jahre absolviert Seger als Sportsegler, der zwei Jahre in Folge das renommierte Bootsrennen auf dem Lake Huron gewinnt.
2004 darf er wieder als Musiker für Aufmerksamkeit sorgen, als er – von Kid Rock mit einer flammenden Laudatio bedacht – in die „Rock and Roll Hall of Fame” aufgenommen wird – eine Ehre, die nur jenen Künstlern zuteil wird, die seit mindestens 25 Jahren die Welt beschallen. Ein behutsamer Schubs zurück zu neuer Schaffenskraft, denn 2005 ist Seger erstmals seit 1995 wieder auf einem neuen Stück zu hören: ›Landing In London‹ der Radiorock-Durchstarter 3 Doors Down.
2006 dann ein Paukenschlag: Mit FACE THE PROMISE erscheint Segers erstes Album seit elf Jahren – und belegt, dass er zwischenzeitlich alles andere als in Vergessenheit geraten ist. Mühelos erreicht das Werk Platin und hält sich monatelang in den Charts. Die Tour wird noch enthusiastischer aufgenommen als seine letzte, viele Konzerte sind binnen weniger Minuten ausverkauft.
Eine letzte Ehrenrunde? Keineswegs, denn Seger scheint nun wieder auf den Geschmack gekommen zu sein. 2011 tourt er erneut durch die USA und hat schon weitere Auftritte für dieses Jahr angekündigt. Vor allem aber verkündete er bei einer Pressekonferenz, er werde bis Ende März an neuer Musik schreiben, die dann im Herbst als neues Album erscheinen soll!
— Ehrlich währt am längsten —
Wie hat es dieser Mann nun geschafft, zu einer lebenden Legende zu werden? Anders als viele andere Stars seiner Generation hat er nie durch irgendetwas anderes als seine Musik Schlagzeilen gemacht. Er trat keine Revolution der Jugendkultur los wie die Beatles oder Rolling Stones. Er wurde auch nicht zum Sinnbild philosophisch-psychedelischer Abenteuerlust wie Pink Floyd oder Grateful Dead. Er setzte nie auf aufwändige Bühnenshows oder Kostümzauber wie Elton John. Er definierte keine neuen Maßstäbe an einem Instrument wie Jimi Hendrix. Er machte nie durch Skandale auf sich aufmerksam, gab keine kontroversen politisch-gesellschaftlichen Ansichten zu Protokoll, versank nie in der Drogen- oder Alkoholhölle oder kam sonst irgendwie mit dem Gesetz in Konflikt.
Stattdessen machte er einfach und unbeirrbar sein Ding. Er spielte guten alten Rock’n’Roll zu einem Zeitpunkt, als ihn keiner hören wollte. Er spielte guten alten Rock’n’Roll, als ihn plötzlich Millionen wieder hören wollten. Er spielt ihn bis heute und trifft dabei immer genau den richtigen Ton und den richtigen Nerv. Ehrliche, einfache Geschichten erzählend, das Herz am rechten Fleck, das Verständnis für die Probleme des kleinen Mannes auch nach Jahrzehnten des Wohlstands intakt, schreibt er seine Lieder nach eigener Aussage heute noch nach genau demselben Prinzip wie schon vor 50 Jahren: Er legt einfach mal drauflos und schaut dann, was dabei herauskommt. Entwaffnend simpel, entwaffnend effektiv, entwaffnend sympathisch. Denn eines verstand er immer und versteht es bis heute: Musik ist dein bester Freund. Und echte Freundschaften währen nun mal lebenslänglich.