Außenseiter unter Außenseitern.
Harry Gelb: immer auf der Suche, nie sesshaft! Auf der Suche nach was? Naja, nach dem kleinen Loch in den Kulturbetrieb, durch das es zu schlüpfen gilt. Doch dies gestaltet sich schwierig. Für eine Underground-Zeitschrift schreibt er zu echt untergrundmäßig, für den Film, an dessen Drehbuch er mitschreibt, ist die Zeit noch nicht reif und für seinen Roman findet er keinen Verleger. Doch statt in Panik zu geraten, macht sich Harry auf den Weg in die nächste Kneipe und schlängelt sich, das Herz mit Bier und Schnaps gestärkt, an den großen Hindernissen vorbei. Denn: Nur die Idioten stellen sich dem Kampf des Lebens. Irgendwann erscheint dann doch sein Roman, der „Stamboul Blues“, voller Fehler und bei einem kleinen Verlag. Eine erste Lesung lässt ebenfalls nicht lange auf sich warten.
Gelockt von der erotischen Stimme einer Frau am Telefon fährt Harry aufs Land, wo sich herausstellt, dass nur die Stimme erotisch war – und die Lesung vor der CDU-Jugend stattfindet. Nach einigen Bieren in der Cafeteria eines Kaufhauses wird der restliche Abend, wie zu erwarten war: desolat. Geld bringt die schriftstellerische Tätigkeit auch keins ein. Um sich Wohnung und Bier leisten zu können, besorgt er sich Nebenjobs bei Banken, am Flughafen oder bei einer Wachfirma, die er jedoch meist schnell wieder hinschmeißt. Die größten Erfolge verzeichnet Fausers Antiheld beim weiblichen Geschlecht. Zu Anfang finden hübsche Frauen etwas (Potenzial, Freiheit, wer weiß) an ihm, am Ende sehen sie in seiner Seele dann aber wohl doch bloß den 50-jährigen Biertrinker.
Den Reiz, zwischen gestrandeten Figuren in einer Kneipe zu sitzen und sich eine große Zukunft auszumalen, versteht man nur, wenn man selber schon einige Abende so verbracht hat, wie der Autor selbst. Denn im Gegensatz zum Kulturbetrieb, den Rechten, den Linken, den Anarchisten, den Studenten, den Kommunen, kurz: den ganzen durchstrukturierten Vereinen, findet man hier die Leute, die ebenfalls nicht wissen, wo’s im Leben lang geht. Und wer will das schon: wissen, wo’s im Leben lang geht?
„Rohstoff“ (1984) ist stark autobiografisch beeinflusst. Fauser beschreibt die 60er- und 70er-Jahre der Bundesrepublik, wie er sie erlebt hat. Zugleich gründet er einen Gegenkanon zum Literatur-Establishment (Grass, Böll usw.) und ebnet den Weg für spätere deutsche Popliteraten wie Rainald Goetz oder Benjamin von Stuckrad-Barre.
Text: Vincent Numberger
Rohstoff (1984)
Von Jörg Fauser