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David Bowie – Ziggy in Amerika

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David Bowie – Ziggy in Amerika

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Bowie schrieb das Stück, basierend auf einer fiktionalisierten Version seines neuen Kumpels Iggy Pop – der sich auch zum Liebesspiel in der Suite des Plaza gesellt hatte –, um Cyrinda zwischen den Koks-Sessions zu amüsieren. Aladdin Sane war „in the house“. Die Pharmaka waren gut. Watch that man.

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Doch „New York’s a go-go and everything tastes nice“ (›The Jean Genie‹) und ein prestigeträchtiges Konzert in der Carnegie Hall wurde von Andy Warhol, Lou Reed, den Dolls, Todd Rundgren und Anthony „Psycho“ Perkins besucht. Warhol saß mit versteinerter Miene da, als das Stück ›Hunky Dory‹, das ihn beim Namen nennt, angesagt wurde. Lou Reed war dagegen gestorben und in den Himmel gekommen, als die Spiders seine 60s-Epen ›White Light/White Heat‹ und ›Waiting For The Man‹ spielten. Bei der Aftershow wackelte Superbitch Wayne County – der einen mit Gabel und Löffel verspeisen konnte – in seinen Stilettos mit Warhols Begleiterin Cherry Vanilla über die Tanzfläche. Angie und Cyrinda tanzten zusammen, befingerten sich und gaben einander Zungenküsse. Die RCA-Bosse sahen fassungslos zu und wünschten sich, sie hätten ihre Ehefrauen nicht mitgebracht. Die Champagnerblasen stiegen einem in die Nase, und nicht nur die. Am nächsten Tag saß Bowie in seiner Suite und durchlebte den Abend noch mal. ›Watch That Man‹ war geboren.

Während der Tour musste Manager Tony Defries Bowie daran erinnern, dass er nicht nur in Amerika war, um Spaß zu haben. RCA machten Druck, weil sie ein neues Album wollten. Hinter seinem Rücken als „Deep Freeze“ bekannt, sah Defries sich selbst als englischen Gentleman mit glasklarem Akzent. Er war ein gnadenloser Motherfucker. „Ich mochte Defries nie“, sagt Trevor Bolder heute. „Niemals. Nie. Ich vertraute ihm nicht. Bowie tat das offensichtlich, obwohl er später herausfand, dass das ein Fehler war. Er trug immer einen Pelzmantel und hatte eine riesige Zigarre. Er war ein Rechtsanwalt, der mit Allen Klein gearbeitet hatte.“

Anfang Oktober kehrte die Band nach New York zurück und buchte die RCA-Studios in der Avenue Of The Americas, um ›The Jean Genie‹ mit Bowie und Ronson als Produzenten aufzunehmen, nicht dem üblichen Konsolenmeister Ken Scott. Scott hatte damit kein größeres Problem: „Es ist als großer Hit angelegt. Es ist ganz nett, aber keins meiner Lieblingsstücke.“

Am nächsten Tag in Chicago wurde es erstmals live gespielt. Bowie beschrieb das Lied als „leichtverdauliches Riff-Ding, das zu Cyrindas Belustigung geschrieben wurde, ein ansonsten wortloser Stampfer; letztlich wurde es aber zum Panoptikum des imaginären Amerikas… basierend auf einer Person im Stil von Iggy. Der Titel war natürlich ein unbeholfenes Wortspiel auf Jean Genet.“ Dieser pseudointellektuelle Bezug fügte dem Stück nichts hinzu, das – wie Fräulein Foxe – bald zu Bowies neuem Lieblingsspielzeug wurde.

Am 21. November wurde der Song möglicherweise im RCA-Studio B in Nashville in Mono geremixt. Laut Scott ist es äußerst schwer, die Ereignisse dieser Zeit korrekt zu datieren, aber dieser Mix war als Single vorgesehen. Drei Tage später wurde es auch dazu und stieg später bis auf Platz 2 der britischen Charts, aufgehalten nur von Little Johnny Osmonds widerlichem ›Long Haired Lover From Liverpool‹ und dann The Sweets Glam-Stampf-Sirene ›Blockbuster‹, die ›The Jean Genie‹ erstaunlich ähnlich war. Nicky Chinn, Co-Autor von ›Blockbuster‹, traf Bowie kurz darauf. „Er sah mich total kalt an und sagte: ‚Arschloch!’“, erinnerte sich Chinn. „Dann umarmte und küsste er mich.“

Suzi Fussey (später Suzi Ronson) war über die gesamte Ziggy/Aladdin-Sane-Zeit Bowies Friseurin, Visagistin und persönliche Ankleiderin. Er veränderte auch ihr Leben. „Ich arbeitete in einem Salon in Beckenham“, sagt sie. „Ich war drauf und dran, den Banker um die Ecke zu heiraten, aber ich wollte raus in die Welt. Und Mann, bin ich raus in die Welt gekommen! Vor Bowie und den Spiders hatte ich noch nie Schwarze oder Schwule getroffen, geschweige denn Leute mit einem Yorkshire-Akzent wie die Jungs aus Hull. Als ich das erste Mal sah, wie zwei Männer sich küssten, war ich schockiert! Auf Tour versuchte David immer, die härtesten Leder-und-Jockstrap-Clubs in der Stadt zu finden und zwang die Spiders, ihn zu begleiten. Mick, Trevor und Woody saßen mit dem Rücken zur Wand, zitternd, mit den Händen über den Augen, und murmelten, ‚Oh fuck!‘ Bowie nahm alle in diese Läden mit, aber er war nie so schwul, wie er sagte. Er provozierte einfach gerne. Auf Tour waren auch viele Mädchen dabei. Eine meiner Aufgaben war es, bei den Konzerten die Mädchen für die Band aufzutreiben, sie in den Bus zu verfrachten und zum Hotel zu bringen. Das funktionierte ganz einfach. Die Jungs sagten, ‚Siehst du die da? Versuch, sie zu bekommen.‘ Und ich stand auf der Bühne, warf ein Handtuch auf die Auserwählten und sah, wer danach griff. Sie wussten, was es bedeutete. Manchmal machte ich es falsch, dann hatten wir plötzlich ein große Fette, aber sie beschwerten sich nicht. Nicht viel. Das war ein harter Job“, lacht Suzi. „Und sehr kompliziert aus Altersgründen. Da waren 16-Jährige, die unbedingt mit in die Garderobe wollten, aber man musste da vorsichtig wegen der örtlichen Gesetze sein. Das konnte schon mal riskant werden. Ich versorgte all die Jungs, und in Kansas passt du da besser auf oder es ist die Hölle los.“

Wenn alles zu hektisch wurde, war Suzi die Verbindung der Band zur Außenwelt. „Ich zog los und kaufte Lamé-Unterwäsche und Federboas, und ich kümmerte mich um die Klamotten. Zwei Auftritte pro Abend, der ganze Schweiß… das Material löste sich auf.“

Während die Tour durch Amerika zog, schrieb Bowie fleißig hinten im Bus mit Ronson in Griffweite, beide mit Gitarren im Arm, falls die Muse sie küsste. Fussey erinnert sich: „Angie war bei der ersten Tour nicht oft dabei. Dave arbeitete und sie war so laut. Sie konnte dich zu Tode reden. Der Rest von uns war wie eine große Gang, die durch Amerika fuhr, und es war noch nicht zu krass geworden. Das änderte sich später.“

Die Band spielte im sittenstrengen Salt Lake City, von gewissem Interesse für Ronno, da er als Mormone aufgewachsen war, aber die Dekadenz kehrte umso heftiger zurück, als der 46-köpfige Trupp in Los Angeles ankam und im Beverly Hills Hotel eine Rechnung über 100.000 Dollar anhäufte. In L.A. begann Bowie nach einem Spaziergang auf dem Hollywood Boulevard, ›Cracked Actor‹ zu schreiben. In Anlehnung an Velvet Undergrounds episches ›New Age‹ auf LOADED, geschrieben über Shelley Winters („Can I have your autograph?/He said to the fat blonde actress“ – „Kann ich dein Autogramm haben?, sagte er zu der fetten blonden Schauspielerin“), beschrieb Bowies Stück einen 50-jährigen, abgehalfterten Homosexuellen, der S&M-Sex mit einem Stricher hat, den er an der Ecke Sunset und Vine aufgegabelt hat. Einen verkommeneren Text hatte er noch nie geschrieben, weswegen ›Cracked Actor‹ oft als alter Lustmolch interpretiert wird, der sich an einem Jungen vergeht. Tatsächlich ist es aber genau umgekehrt.

In Kalifornien spielte die Band im Santa Monica Civic – vom Radio als hochwertiger Bootleg aufgenommen und 2008 auch offiziell veröffentlicht. Bowie traf sich mit Iggy Pop und begann, einen weiteren Song ihm zu Ehren zu schreiben, ›Panic In Detroit‹, während Ig ihm reißerischen Tratsch kredenzte über die Stooges, die Anarcho-Rocker MC5 und seinen Bruder im Geiste, John Sinclair von den White Panthers, die nun zur National People’s Gang wurden. Bowie verpackte darin eine Andeutung auf einen alten Freund, dem er in Detroit zufällig begegnet war und der ihm eine kryptische Nachricht hinterlassen hatte: „Let me collect dust“ (lass mich Staub fangen). Bowie erinnerte sich: „Ich weiß, warum ich mich mit dieser Figur assoziierte. Es war jemand, mit dem ich in die Schule gegangen war, der dann zu einem der ganz großen Drogen-Dealer in Südamerika wurde. Er flog für eine meiner Shows ein und stellte sich wieder vor. Und ich sagte, ‚Das glaube ich nicht. Ist das aus dir geworden?‘.“

High auf Drogen mischten Bowie und Iggy des Letzteren RAW POWER in den Western-Sound-Recorders-Studios an einem Tag neu ab. Bowie erinnert sich: „Von 24 Spuren waren nur drei belegt. Ich sagte, ‚Jim, da gibt es nichts zu mischen…’“

In San Francisco wurde das Video zu ›The Jean Genie‹ mit dem vertrauten englischen Fotografen Mick Rock gedreht – es zeigte Bowie und Cyrinda Foxe, wie sie durchs Mars Hotel tollten, eine Absteige, die mit The Grateful Dead in Verbindung gebracht wurde. Grace Slicks Ex-Mann Jerry Slick war der Kameramann.

Die Band nahm den Zug nach Seattle, dann Phoenix. Auf dieser Reise schrieb Bowie ›Drive-In Saturday‹, eine futuristische, postapokalyptische Sci-Fi-Version des US-Rock’n’Roll der 50er, die Carl Jung, Sylvain Sylvain (Bowie schrieb dessen Namen falsch und verwendete ihn als Markenname für ein Prä-Viagra-Potenzmittel: „He’s crashing out with Sylvian/The Bureau Supply for ageing men“), das Model Twiggy („Twig the Wonder Kid“) und Mick Jagger erwähnte und sich erstaunlich hellseherisch darin erwies, eine Zeit vorherzusagen, in der Video-Pornografie Mainstream sein würde.

Bei einem Konzert in Cleveland saß Bowie auf einem Hocker und spielte ›Drive-In‹ akustisch. Er erklärte: „Es handelt von einer Zukunft, in der die Menschen vergessen haben, wie man Liebe macht, also sehen sie sich Videos aus diesem Jahrhundert an, die sie aufgehoben haben. Das spielt sich nach einer Katastrophe irgendeiner Art ab, und manche leben auf der Straße, andere unter Kuppeln, und sie leihen Sachen von einander und versuchen, zu lernen, wie sie weitermachen können.“

Ken Scott wurde im Dezember nach Amerika bestellt. „Als die Tour vorbei war, kehrte die Band nach New York zurück und wir nahmen Bowies Versionen von ›All The Young Dudes‹, ›Drive-In Saturday‹ und ›The Prettiest Star‹ auf“, sagt er. Das letzte Stück war ein Remake der Single von 1970, geschrieben für und über Angie. Marc Bolan spielte darauf Gitarre. Sie fand 800 Käufer. „Wir versuchten ein paar andere Stücke, die nie fertiggestellt wurden, aber kamen nicht sehr weit. Weiß Gott, warum er ›All The Young Dudes‹ machte – es war unwahrscheinlich, dass es aufs Album kommen würde, aber das war typisch für Bowie. Er hatte seine Gründe. Er hatte für HUNKY DORY ›It Ain’t Easy‹ aufgenommen, es sich dann aber anders überlegt und es für ZIGGY aufgehoben. Das war alles Teil seines Mysteriums, und das konnte sehr geheimnisvoll sein. Es gab z.B. zwei Versionen von ›John, I’m Only Dancing‹. Eine, die er mit mir im Trident aufgenommen hatte, und dann nahm er offenbar die Band in die Olympic Studios mit und wiederholte die komplette Session. Keine Ahnung, warum.“

Scott bemerkte: „Bowies Selbstvertrauen war explodiert. Unser aller Ohren und Vorstellungen hatten sich verändert und wir suchten nach anderen Dingen. Das Schlagzeug klang viel mehr ‚live‘ als vorher. Davids Arrangements waren viel aufwendiger als bei ZIGGY. Dann kam Mike Garson dazu. Es hatte schon vorher akustisches Klavier gegeben, das Ronno oder Bowie gespielt hatten, aber sie sind nicht gerade die besten Keyboarder der Welt, und da machte Mike einen großen Unterschied. Auf ZIGGY war alles sehr spärlich – es gab zwei Synthie-Passagen, mehr nicht. Auf ALADDIN SANE waren viel mehr Keyboards, Mellotrone, ein Moog-Synthesizer und ein akustisches Klavier.“ Damals sagte Scott: „Einige ALADDIN SANE-Tracks wurden in New York aufgenommen, aber größtenteils bei Trident. Und in den RCA-Studios in New York hatte er einfach plötzlich den Drang verspürt, aufzunehmen. Er hatte diese Vorstellung, einen amerikanischen Sound zu erzeugen.“

40 Jahre später fügt er hinzu: „Es gefiel ihm, alle immer im Unklaren zu lassen. Als wir ›Drive-In‹ aufnahmen, kannte Ronno den Song, aber Trevor und Woody hatten definitiv keine Ahnung. Er bevorzugte es, die Rhythmussektion so zu behandeln, und mochte es nicht, zu lang im Studio zu sein. Er war sehr schnell sehr gelangweilt. Jeder hatte Angst davor, dass er sagen würde, ‚Okay, wir haben das jetzt dreimal versucht und es nicht geschafft, also müssen wir was anderes machen.’“

Scott (der 1964 mit 16 schon bei den Beatles als „Knöpchendrücker“ auf der zweiten Seite von A HARD DAY’S NIGHT angefangen hatte) wurde von Bowie einst als „mein George Martin“ bezeichnet und war insofern in einer guten Position, die Stimmung des Sängers zu beurteilen. „Es herrschte großer Druck, denn Plattenfirmen verlangten damals alle sechs Monate ein Album. ALADDIN SANE musste also in etwa drei Wochen aufgenommen und abgemischt werden. Bei der Arbeit war er immer absolut professionell. Als ich das erste Mal mit ihm zusammenarbeitete, dachte ich nie, dass er ein Superstar werden würde. Im Vorfeld von HUNKY DORY, meiner ersten Produktion, fühlte ich mich sehr wohl, denn ich glaubte, ich könnte jede Menge Fehler machen, weil niemand sie je zu hören bekommen würde. Dann, als wir die Lieder auswählten, die wir für das Album aufnehmen sollten, wurde es mir klar – fuck, er ist ja doch total talentiert.“

Im Fahrwasser des Erfolgs von ZIGGY schossen auch drei von Bowies früheren Alben wieder hoch in die britischen Charts. Innerhalb von zwölf Monaten verkaufte er über eine Million Alben und noch mehr Singles. Amerika war, sagt Scott, eine unbekannte Größe. „Es würde schwer werden, ihn dort zu verkaufen. Bei ALADDIN SANE gab es keine Garantie. Es hätte sehr leicht floppen können. Viele Leute hassten es, dass er das bisexuelle Androgyn-Ding so forcierte. In Amerika hatten sie vor diesem Image Angst.“

Am 10. Dezember kehrten Dave und Angie auf dem Schiff Ellinis der königlichen griechischen Post (Royal Hellenic Mail) nach London zurück, wo er das Titelstück ›Aladdin Sane (1913 – 1938 – 197?)‹ schrieb. Auf dem Album stand unter dem Titel der Name R.H.M.S. „Ellinis“. Inspiriert von seiner Schiffslektüre, Evelyn Waughs „Lust und Laster“, in dem Leute in Bowies Alter sich zügellosem Hedonismus hingaben, während Zivilisationen am Rande des Kriegs zerfielen („Schlachtrufe und Champagner“), betrachtet der Sänger sich selbst. „Leute wie Lou Reed und ich sagen wahrscheinlich das Ende einer Ära voraus“, sinnierte er. „Jede Gesellschaft, die es zulässt, dass Menschen wie ich durchdrehen, ist wohl so ziemlich verloren. Falls wir die Speerspitze von irgendetwas sind, dann nicht notwendigerweise von etwas Gutem.“

Nach seiner Rückkehr bot Bowie Mott The Hoople das Stück ›Drive-In Saturday‹ an, aber sie waren verwirrt von „all diesen seltsamen Tempowechseln“. Overend Watts war nicht überzeugt und sagte, Bowie solle es für sich behalten. Da Bowie der Ansicht war, er habe Mott mit ›All The Young Dudes‹ gerettet, war er verärgert. Später behauptete er, er habe sich deswegen die Augenbrauen rasiert. Das erscheint unwahrscheinlich, denn Suzi Fussey erinnert sich: „Angie hatte das schon getan, also ahmte er sie einfach nach. Er rasierte sie in Phoenix und wir malten den goldenen Kreis auf seine Stirn. Ich weiß noch, wie er von der Bühne rannte und schrie, ‚Oh, meine Augen! Meine Augen!‘, denn ohne Brauen liefen all der Glitter und das Make-up hinein und er konnte nichts mehr sehen.“

Es könnte noch einen weiteren Grund geben, warum Mott The Hoople das Stück ablehnten. Während Bowie ihnen im Büro ihres Managements mit überkreuzten Beinen und etwas nervös ›Dudes‹ vorgespielt hatte, kam er diesmal, wie Ian Hunter sagt, „mit einer Gefolgschaft und war etwas seltsam geworden. Seine Kleidung war auffälliger und er fing an, sein Image bis zum Äußersten auszuleben.“

Vor Weihnachten spielten Bowie und die Spiders zwei Abende im Rainbow Theatre und stellten den Pianisten Mike Garson vor. Was für ein Unterschied! Garsons Ankunft hatte enorme Auswirkungen auf den Klang von ALADDIN SANE und die letztendliche Auflösung der Band. Garson, geboren in Brooklyn, war Ronson erstmals aufgefallen, als er ihn auf Annette Peacocks 1972er RCA-Album I’M THE ONE spielen hörte, einem experimentellen Meisterwerk, auf dem sich die Crème de la Crème der New Yorker New Wave-Avantgarde eingefunden hatte. Bowies Interesse war geweckt, und er und Ronno beschlossen, dass die Spiders etwas mehr Pepp brauchten. Garson wurde zum Vorspielen in New York eingeladen. „Ich spielte Mick acht Takte von ›Changes‹ vor und er sagte, ‚Du bist engagiert‘. Ich wurde für acht Wochen eingestellt, aber blieb drei Jahre. Das hatte ich Ronson zu verdanken, denn er sagte mir, ‚Es ist schön und gut, ein bezahlter Session-Musiker zu sein, aber wenn du bei David länger dabei sein willst, musst du dich unverzichtbar machen‘.“

Garson nahm sich den Rat zu Herzen. „Bowie und ich verstanden uns blendend, weil er mein gebrochenes Hochschul-Jazz-Piano liebte und ihm gefiel, dass ich nach Kreativität suchte. Am Anfang war es nicht leicht, weil die Rhythmussektion so aufeinander eingespielt war. Sie trugen wilde Klamotten, Gold und Silber, blondes Haar – das sah für mich ganz schön schwul aus. Aber ich war ein hungernder Jazzer und da ich mich beim Spielen gerne herausfordere, lachte ich einfach darüber und machte meinen Job.“

Bezeichnenderweise war Bowie auch vertieft in die ultraprogressiven Van der Graaf-Generator-Alben, die bei Trident produziert wurden – H TO HE, WHO AM THE ONLY ONE und PAWN HEARTS – und beide vor Saxofonen und Synthies strotzten.

Die Homecoming-Shows im Rainbow Theatre waren das reine Chaos. Bowiemania war nun Realität. Mick Rock, der aus dem Bühnengraben Fotos schoss, sah „zwei Mädchen, die ich Agonie und Ekstase nannte: Eines war völlig am Ende, das andere hatte einen Orgasmus“. Es öffnete Garson die Augen. „Plötzlich spiele ich mit diesen Typen und es ist Beatlemania! Und da ging es definitiv um Sex’n’drugs’n’Rock’n’Roll. Es war eine Freakshow. Mir war das egal. Jazzer auf Heroin oder Rocker auf Kokain – ich hatte damit nichts am Hut. Ich blieb in Form, denn ich wollte nicht im Entzug landen. Ich weiß, dass Trevor und Woody mich nicht mochten, weil ich Bowies Denken veränderte. Ich fand ihn offen und großzügig, was andere vielleicht nicht so sahen. Weißt du, manche Leute haben eben lieber Recht, als glücklich zu sein.“

1973 kehrte die Band in den Keller von Trident zurück, um ALADDIN SANE fertigzustellen. Scott: „Alles war okay mit Garson in der Band. Er spielt hervorragend auf dem Titelstück und er spornte die anderen an. Bowie hatte ihn dazu geholt, ihm gesagt, er solle sein Cecil-Taylor-Avantgarde-Zeug spielen, und er zeigte es ihnen so richtig auf Tridents berühmtem handgefertigten Bechstein-Piano – demselben Instrument, das man auf ›Hey Jude‹ und ›Life On Mars?‹ hören kann, was Rick Wakeman bis heute als eines seiner größten Stücke bezeichnet.“

Während die Sessions Form annahmen, war Bowie überzeugt, seinen Heiligen Gral gefunden zu haben. „Plötzlich schienen meine Lieder nicht mehr fehl am Platz zu sein. All die Situationen, die wir erlebten, wurden entsprechend aufgeschrieben, ebenso wie all die Bemerkungen, die ich gehört hatte, echte Amerikanismen, die mir aufgefallen waren. Allein schon das Aussehen bestimmter Orte wie Detroit inspirierte mich, denn es war so eine raue Stadt und sah fast aus wie die Art von Orten, über die ich schrieb. Ich dachte, oh Gott, diese Orte gibt es wirklich und Leute leben dort! Ob Stanley Kubrick diese Stadt wohl gesehen hat? Das lässt seine Art von Welt wie in ‚Clockwork Orange‘ ziemlich alt aussehen!“

An der 16-Spur-Konsole des Studios fügte Scott seine Magie hinzu: „Für ›Cracked Actor‹ ließ ich Bowies Mundharmonika über Ronnos Marshall-Verstärker laufen, weil sie vorher so winzig geklungen hatte. Jetzt klang sie echt fies und echt super“, erinnert sich der Produzent.

Scott bestand auch darauf, die Vocals auf ›Watch That Man‹ tief in den Hintergrund zu mischen, trotz RCAs Enttäuschung ob des Resultats – wahrscheinlich, weil es so klingt, als sei Bowie in einem anderen Raum als die anderen. Vielleicht war das aber genau die Idee. „Ich habe es wahrscheinlich übertrieben, aber damals erschien es mir richtig. Das war das einzige Problem, das wir je mit einem Bowie-Mix hatten.“

›Watch That Man‹ war der perfekte Opener. Es erzählte die Geschichte einer wilden Party, die Shakey (ein sarkastischer Seitenhieb auf einen RCA-Boss) gab, und exzessiver Koks-und-Sex-Orgien mit den Dolls in New York, die über ganze Nächte gingen. Die großartigen Backing-Vocals von Linda Lewis und Juanita „Honey“ Franklin förderten die verdrogte Klaustrophobie noch.

Der perfekte Abschluss dieses Amerika-Aufenthalts war ›Lady Grinning Soul‹, der Titelsong eines imaginären James-Bond-Films, angeblich zu Ehren von Bowies neuester Eroberung Claudia Lennear verfasst – die auch das Thema von ›Brown Sugar‹ (oder ›Black Pussy‹, wie Jagger es ursprünglich genannt hatte) der Stones war. Bowie war besessen von seiner Komposition wie von nichts sonst, überwachte das Abmischen und stellte sicher, dass Scott seine Vocals richtig abstimmte.

„›Lady Grinning Soul‹ brachte in meinem Spiel den Romantiker hervor, inspiriert von Komponisten wie Franz Liszt und Chopin“, so Garson. „Das verband ich mit Elementen von Liberace und Roger Williams, Musikstilen, die immer abfällig betrachtet wurden, weil sie so Mainstream waren. Ich spielte hier sehr un-dissonant, während ALADDIN SANE so dissonant ist, wie es nur sein kann.“

Garson war auch ein wichtiger Teil von ›Time‹, einem Brechtschen Diskurs über den Tod, teilweise geschrieben in New Orleans, mit Reverenzen an die Figur des Zeremonienmeisters, der im kurz zuvor veröffentlichten Bob Fosse-Film „Cabaret“ von Joel Grey gespielt wurde. Bowie zeichnete einen Sensenmann, der „biegsam ist wie eine Hure und wichsend auf den Boden fällt.“

Während er immer mehr Kokain nahm, begann Bowie auch, seine eigene Sterblichkeit zu studieren. Er war im Studio 26 geworden und starrte eine Liste von Rockopfern an, die unlängst von Billy „Doll“ Murcia ergänzt worden war, der hier in diesem Stück verewigt wurde: „Time – in Quaaludes and red wine/Demanding Billy Dolls and other friends of mine“ („Zeit – in Quaaludes und Rotwein/Fordert sie Billy Dolls und andere meiner Freunde“). Dave und Angies NY-Doll-Freund war im vorigen November in London an einer Überdosis Heroin und Barbituraten gestorben, wenige Tage, nachdem die Dolls für The Faces im Wembley Empire Pool eröffnet hatten. Murcia wurde ohnmächtig bei einer Party, wo die Versuche anderer Junkies, ihn mit schwarzem Kaffee wiederzubeleben, lediglich zu seinem Ersticken führten. Er war 21.

›Time‹ war noch ein musikalischer Triumph. Gitarrist Ronson zitierte einen Auszug aus Beethovens Neunter – die vor den Konzerten der Band gespielt wurde –, während Bowies Freund Geoff MacCormack ihn auf den Choral-Ausblendungen perfekt imitierte. Garson: „›Time‹ ist meine zweitliebste Performance. Es hat eine Art New-Orleans-Jazz-Tempo – etwas neben der Spur. Bowie zog mich als Produzent raus. Auf meinem Lieblingsstück, ›Aladdin Sane‹, spielte ich ihm meinen besessensten Blues und er sagte, ’nee, will ich nicht‘. Ich spielte ihm meinen besten Latin. ‚Nee, ich weiß schon, dass du das kannst. Spiel was von dem seltsamen Zeug‘. Ich vertraute seiner Intuition, denn jeder meiner anderen Versuche wäre den meisten Leuten gut genug gewesen.“

Am 17. Januar trat Bowie in der Fernsehsendung „Russell Harty Plus“ auf und stellte seinen Crashkurs für das Partyvolk vor, ›Drive-In Saturday‹. Es würde die nächste Single des Albums werden. Im Gespräch mit Harty schien Bowie etwas berauscht zu sein, doch Scott besteht darauf, das Bowie „im Studio immer okay war. Die Leute glauben mir das nicht, aber bei den Alben, an denen ich gearbeitet habe, sah ich nie irgendwelche Anzeichen von Drogen. Alle waren nüchtern – vielleicht ein paar Bier für Ronno. Oh, und Nikotin. Ganz viel Nikotin.“ Bolder bestätigt: „Ich sah Bowie nie Drogen nehmen“. Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass der Sänger dabei sehr diskret war. Was bei Kumpels wie Iggy okay war, war vor leichter zu beeindruckenden Zeitgenossen fehl am Platz. Kurz darauf gab Bowie zu: „Ich mag schnelle Drogen. Ich mag keine Drogen, die mich langsamer machen“.

Als letzte Tracks wurden das überarbeitete ›The Prettiest Star‹, ›The Jean Genie‹ im Stereo-Mix und eine Coverversion von ›Let’s Spend The Night Together‹ der Rolling Stones aufgenommen. Bowies Fassung dieser 1967er Proto-Hippie-freie-Liebe-Single seiner Helden – ein Vorgänger des PIN UPS-Projekts – klang deutlich bedrohlicher. Garson und die Spiders glänzten wieder mit gebrochenen Soli und harten Rhythmen, die perfekt zur lüsternen Interpretation des Stücks passten. Dies war kein Liebeslied, es war ein Ficklied. Wahrscheinlich wollte Bowie damit Jagger und seinen Jungs einen Fehdehandschuh hinwerfen: „Ich habe eure Frauen, ich schnappe mir euer Publikum – und als nächstes will ich eure ‚Größte Rock’n’Roll-Band der Welt‘-Krone.“

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