Das Interview mit Angus Young und Brian Johnson
Es gibt so Momente im Leben, da bleibt die Welt plötzlich stehen. Für jemanden, der sich mit
sieben Jahren unwiderruflich in AC/DC verliebt hat, war dieser Moment erreicht, als am 30. September 2020 am anderen Ende einer langen Telefonleitung niemand Geringeres als Angus Young ein nettes „Is this Jacqueline?“ in den Hörer nuschelte und man ein Gespräch führte, das so normal im besten Sinne war, dass man nach wenigen Sekunden fast vergaß, dass da gerade einer der größten Rockstars der Welt ganz liebenswürdig mit einem plauderte.
Schon Wochen zuvor hallte aufgeregtes Geflüster über ein vielleicht demnächst erscheinendes AC/DC-Album durch die Redaktionsflure. „Top secret“ lautete das Gebot der Stunde. Wenige Tage später bestätigte man CLASSIC ROCK gegenüber endlich, dass es wohl Interviews mit Brian und Angus geben würde. Die Freude war groß und trotzdem genoss man diese Aussage vorerst noch mit Zurückhaltung. Eine Audienz bei AC/DC ist schließlich kein Ponyhof. Andererseits sind AC/DC auch keine verzogenen Rotzlöffel, sondern bodenständige Knaben, die zu ihrem Wort stehen. Genau deshalb flatterte wohl auch am Dienstag, den 29. September, um 13:45 Uhr eine Mail mit folgendem Inhalt ins Haus: „Morgen um 13 Uhr findet dein Interview statt. Du hast 20 Minuten“. Knapp 24 schlaflose Stunden später, nachdem man nachts das neue Album POWER UP noch zweimal mit bis zum Hals pochender Pumpe gehört hatte, fand man sich auch schon vor diesem Telefonhörer wieder, der an diesem Tag die Welt bedeutete. Unter den nicht minder angespannten Blicken von Chef Schmitz – dem an dieser Stelle ein besonders großes Dankeschön zusteht, da er es trotz seiner eigenen AC/DC-Affinität am Ende nicht übers Herz brachte, dieses Interview an sich zu reißen – tippte man mit Bedacht jene Nummer ein, die nach Australien und England gleichzeitig führte.
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B: Hallo? Spricht da Jacqueline? Wie geht es dir, mein Darling?
Mir geht es sehr gut. Und dir?
B: Nicht allzu schlecht, mein Darling. Ich freue mich sehr.
Glaube mir, ich freue mich auch sehr!
B: (lacht) Ich hoffe, Angus geht es gut. Bei ihm muss es ja schon fast Mitternacht sein …
A: Hallo, spricht da Jacqueline?
Hallo, ja, da spricht Jacqueline!
B: Angus, mein Sohn, wie spät ist es denn bei dir?
A: Oh, hallo Brian. Es ist erst kurz nach neun hier, das ist schon in Ordnung.
Na, das ist doch noch eine wunderbare Interviewzeit. Als erstes möchte ich euch zu einem weiteren grundsoliden, wundervollen Album gratulieren. Es ist schon erstaunlich: AC/DC posten das Foto eines roten Blitzes im Internet und die ganze Welt dreht durch …
A: Ach, vielen Dank. Wir haben einfach viel Glück, weil wir beim Label und in der Promotion gute Leute haben, die sich mit so etwas auseinandersetzen.
B: Außerdem haben wir weltweit eine sehr gute Beziehung zu unseren Fans, diese Menschen sind
unerschütterlich. Das hilft ungemein.
Um dieses Album ranken sich seit Jahren verschiedenste Gerüchte. AC/DC-Experten wie Dee Snider sprachen von dieser Platte, als wären sie selbst dabei gewesen …
A: (lacht) Von diesen selbsterklärten AC/DC-Experten gibt es ja einige.
B: Ich habe mit diesem Typen wahrscheinlich noch nie gesprochen. Ich glaube, wir sind uns vor zehn Jahren einmal über den Weg gelaufen und haben uns gerade mal kurz gegrüßt. (lacht)
Wann habt ihr entschieden, PWR/UP zu machen, wann habt ihr aufgenommen?
A: So ungefähr 2018 war das. Ich hatte sehr viele Songideen übrig, die Malcolm und ich über die Jahre gemeinsam geschrieben haben. Viele davon waren schon komplett fertig, einige brauchten noch ein bisschen Arbeit. Aber wir hatten diese Einfälle schon immer im Hinterkopf behalten in Form von Ausschnitten oder ganzen Liedern, die wir eines Tages auf ein Album packen würden. Und normalerweise war es so: Immer, wenn wir an einer neuen Platte arbeiteten, blieb sehr viel Material übrig, das trotzdem gut war. Aber man musste sich eben entscheiden, was davon man gleich benutzte und was nicht. Wir haben wirklich viel Glück, weil noch so viel gutes Zeug da ist. 2018 dachte ich, dass es langsam an der Zeit wäre. Dann wollte unser Management wissen, ob ich das wirklich ernst meinte. Als ich das bejahte, haben sie den Rest der Band kontaktiert und gefragt, ob jeder wieder an Bord ist. Brian wollte glücklicherweise dabei sein. Und Cliff wollte dabei sein. Und auch Phil sitzt wieder hinter den Drums. Wir sind jetzt praktisch wieder die Band, die die Welt als AC/DC kennt. Mit Ausnahme von Malcolm natürlich, der ja von meinem Neffen Stevie ersetzt wird.
B: Mich hast du nicht zweimal fragen müssen. (lacht) Sobald ich Lunte gerochen hatte, war ich absolut von den Socken. So bin ich eben.
2018 hat euch ein Paparazzo auf dem Balkon der Warehouse Studios erwischt …
B: Ich glaube ja, das waren russische Spione. (lacht)
Brian, wie geht es deinen Ohren eigentlich?
B: Oh, da hatte ich wirklich sehr viel Glück. Ich habe einen wunderbaren Kerl, einen Spezialisten, gefunden, der etwas ganz Neues gebastelt hat. Ich darf da eigentlich gar nicht drüber sprechen, weil das noch geheim ist. Aber ich kann so viel sagen: Es ist einfach fantastisch, weil ich wieder normal arbeiten kann. Ich meine, im Studio ging es eh ganz ohne irgendwelche Geräte oder ähnliches. Und das Schöne am Singen ist: Wenn du großartige Songs als Vorlage hast, dann fällt es dir nicht schwer, deine ganze Energie in die Performance zu legen. Das macht es mir immer ziemlich leicht. Ich freue mich unbändig, dass es jetzt wieder vorwärts geht und ich denke, das, was wir hier haben, ist sehr brauchbar. Ich bin so glücklich. Es fühlt sich an, als würde ich nach langer Zeit des Stillstands das Gehen wieder lernen. Ziemlich cool!
Ist Malcolm auf jedem einzelnen Song von POWER UP vertreten?
A: Ja, alle Lieder wurden von mir und Malcolm geschrieben.
Und aus welcher Ära stammen diese Ideen?
A: Viele davon entstanden zwischen der BLACK ICE-Zeit und ROCK OR BUST, beziehungsweise bis zu dem Zeitpunkt, als seine Demenz schlimmer wurde. Ich meine, während BLACK ICE hatten wir einen ganzen Haufen guter Ideen, die wir schlichtweg nicht auf ein einziges Album packen konnten. Obwohl ich damals drängte, ein paar mehr Tracks fertigzustellen, meinte Malcolm zu mir: „Komm, lass gut sein. Die nehmen wir uns später vor“. Ein paar sind aber auch schon älter, es ist also eigentlich eine bunte Mischung.
Das klingt so, als wären die Malcolm-Archive auch nach POWER UP noch gut gefüllt?
A: Oh ja, es sind noch viele großartige Ideen und Songs übrig.
Was ist der größte Unterschied zwischen AC/DC mit und AC/DC ohne Malcolm?
A: Na ja, Malcolm war immer … Er hat die Truppe ja gegründet. Er hat damals entschieden, welchen Stil wir spielen würden, wie das alles laufen sollte. Er stand immer hinter allem. Diese Band war sein Leben. Deswegen ist er natürlich ein großer Teil von AC/DC und wird das auch immer bleiben. Weißt du, als wir ohne ihn touren mussten und ich mich auf der Bühne umblickte, hatte ich immer das Gefühl, dass er noch da ist und hinter mir steht. In den letzten drei Jahren habe ich einige Familienmitglieder und Freunde verloren und … (bricht ab) Wann auch immer ich alleine bin, werde ich weiterhin bis in alle Ewigkeit mit Mal kommunizieren. Weißt du, manchmal denke ich mir heute noch solche Dinge wie: „Oh, das was ich da gerade im Fernsehen gesehen habe, muss ich Mal unbedingt erzählen“ (lacht) Manchmal lache ich auch noch laut, wenn ich über Dinge nachdenke, die er gesagt hat. Oder darüber, wie er einfach war. Irgendwie spüre ich, dass er noch da und nah bei mir ist.
Ein AC/DC-Album ohne Malcolm ist also komplett undenkbar?
A: Ja, denn er war derjenige, der uns alle zusammengehalten hat, er war der Kleber zwischen den einzelnen Teilen.
B: Ja, das war er. Ich denke, Young Stevie – der junge Stevie (kichert) – macht einen magischen Job, denn es kann nur einen Malcolm Young geben. Das sind große Fußspuren. Aber Stevie weiß, was er zu tun hat und er tut es mit großer Leidenschaft. Am Ende ist er schließlich immer noch ein Young, dessen muss man sich bewusst sein. Also, Hut ab vor Stevie. Und Hut ab vor Malcolm. Jeden Tag.
Hat sich Stevie in irgendeiner Form kreativ einbringen dürfen?
A: Na ja, er hat hauptsächlich performt. Er versucht, das abzubilden, was Malcolm getan hätte.
Im Gegensatz zu ROCK OR BUST ist auf POWER UP kein einziges „Rock“ vorhanden …
A: Weil das vom Kontext abhängt, von der Zeit, in der du gerade an etwas arbeitest. Immer, wenn wir das Wort „Rock“ in einem Titel verwendet haben, dann hat es einfach so sein müssen, weil es sich am besten anhörte. Der Song, den du spielst, gibt dir den Weg für die Worte vor. Manchmal fällt dir ein Titel ein, von dem du dir denkst, dass er eigentlich nicht so toll ist, aber am Ende stellt sich heraus, dass er schlichtweg am besten klingt. Wenn du andere Zeilen ausprobierst, kommt einfach nicht dasselbe Feeling auf. Und dann gibt es eben diese Lieder, die hörst du und verspürst einfach sofort diesen Impuls. Du denkst dir: Ich will einfach nur „Rock’n’Roll“ sagen!
Bei einem Song wie ›System Down‹ täusche ich mich wohl, wenn ich einen Hauch von Systemkritik heraushöre, oder?
A: Na ja, du kennst das doch bestimmt: Wenn du zuhause bist und plötzlich fällt der Strom aus, dann stehst du da und kennst dich nicht mehr aus und nach ein paar Stunden merkst du, dass so überhaupt nichts mehr geht. Du hoffst, dass die Energie bald wieder zurückkommt. Daraus entstand diese Idee und es passte gut zur Gesangsmelodie.
›Rejection‹ hingegen handelt von Respekt und Zurückweisung …
A: Ich wollte etwas, das eine gewisse Attitüde ausstrahlt. In den letzten Jahren ist mir aufgefallen, dass viele Leute dieses Wort „Respekt“ um sich werfen. Nach dem Motto „Respekt, Mann“. (lacht) rgendwie wurde es zum Begriff dieser Zeit, so ein richtiges Modewort eben, das jeder verwendete. Weißt du, ich bin in einer Ära aufgewachsen, als man sich seinen Respekt noch verdienen musste, deswegen kam mir das immer seltsam vor. Na ja. Am Ende hat sich dieser Gedanke wieder richtig mit dem Song zusammengefügt, als ich es gesungen habe. Es klang gut und ich dachte mir: „Have you ever been rejected?“ Ich denke, dass wir alle immer wieder mal abgelehnt oder abgewiesen wurden. Eine starke Idee, mit der viele etwas anfangen können.
POWER UP als Titel klingt sehr euphorisch. Ganz und gar nicht wie ein Goodbye.
A: Ähm, wie meinst du? Es klingt nicht nach einem guten … ? Es klingt nicht nach einem Abschied…
B: (lacht) Ach so, ich dachte, du meintest, es ist kein „good buy“! („kein guter Kauf“, Anm. d. Red)
Um Gottes willen, nein! Ich meine, das ist nicht das letzte AC/DC-Album, oder?
A: Nein, das ist kein Abschied. Der Titel ist eine gute Möglichkeit, um das auszudrücken, was AC/DC ausmacht. Immer wenn wir uns treffen, um zusammenzuspielen, ist das genau das Gefühl, das wir hatten und immer noch haben: Wir fühlen uns in Gang gesetzt. Bei jeder Tour, immer wenn wir
auf der Bühne stehen, sind wir voller Energie. Wir sind ans Energienetz angeschlossen.
Angus, fühlst du nach all den Jahren noch dieselbe Energie, wenn du deine Gitarre in die Hand nimmst?
A: Auf jeden Fall. Das hat sich auch über die Jahre hinweg nicht geändert. Wenn ich meine Gitarre nehme und darauf spiele, dann fühle ich mich plötzlich ganz. Absolut vollständig. Manchmal, wenn es sich nicht ganz so anhört, wie ich es gerne hätte, dann rede ich auch mit meiner Gitarre und sage: Du reißt dich jetzt besser mal zusammen, hörst du! (lacht)
Und, hört sie auf dich?
A: Na, das will ich ihr raten! (lacht)
Wie sieht es mit Tourplänen in Zeiten des Corona-Virus aus?
A: Gewollt hätten wir ja schon … Natürlich hoffen wir, dass bald alles wieder normal wird. Ich meine, am Anfang hat es sich ja so angefühlt, als würde man jetzt einen kleinen Lockdown veranstalten und dann ist die Sache wieder vorbei. Aber jetzt zieht sich das alles sehr in die Länge. Kein Ende in Sicht. Du bist doch aus Deutschland, ihr seid gut im Erfinden. Könntet ihr jetzt dann nicht mal schnell eine neue Medizin entdecken, die dem Ganzen ein Ende bereitet?
Mit der Perspektive auf eine AC/DC-Tour werde ich da mal ein paar Anrufe tätigen.
A: Sehr gut, wir zählen auf dich! (lacht)
Fragt ihr eure Frauen eigentlich nach ihren Meinungen, wenn eine Platte fertig ist?
A: Ob ich meine Frau frage? (lacht) Ich glaube schon. Manchmal …
B: Na klar! Sie will ja wissen, was ich so treibe. Sie liebt POWER UP, ab der ersten Note sprang sie einfach nur auf und ab vor Freude.
Leider sind wir schon am Ende und ich muss noch eines loswerden: Seit ich sieben Jahre alt bin, möchte ich Angus Young heiraten. Näher dran als mit diesem Interview werde ich nicht mehr kommen, deswegen danke ich euch von ganzem Herzen für dieses Gespräch.
A: (lacht) Ich sage Danke.
B: Oh, Jacqueline, du hast dich toll geschlagen, mein Darling. Angus, mein hübscher Junge, wir sprechen uns später!