Rockhistoriografie abseits ausgetretener Pfade.
Dass man es mit einem ganz besonderen Buch zu tun hat, erkennt man unter anderem daran, dass es die eigene Sicht auf etwas, das man zu kennen meint, verändert. Dass es eingefahrene Ansichten erschüttert, ungewohnte Zusammenhänge herstellt und uns hilft, einen neuen Standpunkt einzunehmen – in diesem Fall zur Rockmusik. Ein solches Buch ist „Die Geschichte des Rock’n’Roll in zehn Songs“. Dem Musiktheoretiker Greil Marcus geht es darin nicht um chronologisch erzählte, konventionelle Rock-Geschichtsschreibung. Vielmehr spielt sich Musik für ihn in einem Geflecht aus Assoziationen und versteckten Bedeutungen ab. Marcus schließt den Rock’n’Roll mit Literatur und Film kurz, spannt den Bogen von Robert Johnson zu Barack Obama, von kleinsten Nuancen in der Gesangsphrasierung von Etta James bis hin zu den größten Dingen wie Einsamkeit und Liebe. Die Songs, anhand derer die abenteuerlichen Erkundungen durch die Rock- und Popkultur unternommen werden, stammen von so unterschiedlichen Künstlern wie Joy Division, Buddy Holly, den Five Satins oder dem Bild-und-Ton-Künstler Christian Marclay. Alle stehen sie hier für Rock’n’Roll – denn ebenso sehr wie durch musikalische Kriterien zeichnet sich der für den Mystiker Marcus durch einen Geist von Freiheit, Radikalität, Innovation und Maßlosigkeit aus. Es geht hier zuvörderst um Gefühl und Bedeutung, nicht um dröge Fakten.
Die Geschichte des Rock’n’Roll in zehn Songs
Von Greil Marcus
Reclam
9/10