Weit war sein Weg nicht. Israel Nash hatte zuvor einen Auftritt auf einem Festival in Dänemark, nun ist er in Berlin. Auf dem Programm steht ein Akustik-Set bei einem Fan-Event im angesagten Bezirk Neukölln. Im Interview geht es um seinen neuen Karriereabschnitt. Nash verlässt die Route, die er mit LIFTED und TOPAZ eingeschlagen hatte. Die kosmische Verbindung ist gekappt. Er besteht nicht mehr auf das, was er „Hippie Spiritual“ nennt. Die Musik ist direkter und leidenschaftlicher. Man muss sich nicht mehr CSN, Van Morrison oder Chris Bell als Orientierungspunkte vorstellen. Nash hat sich den Heartland-Rock ausgeguckt, einen Stil, der heute nicht mehr die ganz große Rolle spielt, anders als 1984, zum Zeitpunkt des Erscheinens von BORN IN THE U.S.A. Das ist Nash egal. Es zog ihn in diese Richtung, er konnte dem Drang nicht widerstehen. Es ist für ihn der Sound seiner Heimat im Bundesstaat Missouri, wo sich auch das Ozark-Hochland befindet.
Reden wir angesichts des Titels OZARKER zunächst über deine momentane Basis. Du bist in den USA ganz schön herumgekommen. Von Missouri ging es nach New York, heute bist du in Texas zu Hause. Ziehst du wieder um?
Nein, ich bin fest in Texas angekommen. Ich habe mir dort eine Ranch gekauft, der
Preis war erträglich. Mein Studio bef indet sich auf der Ranch, meine pensionierten Eltern und die meiner Frau leben auf dem Gelände. Ich werde nach der Tour aber wieder kurz nach Missouri fahren und den Journalisten meine Großmutter und Freunde vorstellen.
Durch sie sollen deine Kollegen eine Sicht auf den Ort und die Menschen erhalten.
Was werden sie dann erfahren?
Sie werden sehen, wie sich alles verändert hat. Es gibt keine Fabriken mehr, die Wirtschaft kommt nicht in die Gänge. Viele Menschen leben in kleinen Städten mit nicht mehr als tausend Einwohnern. Man kümmert sich nicht um sie, sieht sie als Hinterwäldler an. Aber sie haben alle ihre Geschichte zu erzählen. Ich bin quasi ihr Sprachrohr, weil ich mich dort auskenne.
Gib uns Beispiele in den neuen Liedern.
Der Titelsong handelt von meinem Urgroßvater. Er hatte nie viel Geld und war froh, als er im Ozark-Bergland einen Job auf einer Apfelplantage bekam. Das ist eine Geschichte aus meiner Familie, sie bringt mich zu meinen Ursprüngen zurück. Ich finde auch ›Lost In America‹ wichtig. Es geht um Leute, die im Vietnam-Krieg kämpften und danach an den Folgen litten, die bis heute ganze Familien belasten. Sie fühlen sich abgestellt, weil sie in der Provinz leben und keinen Ausweg sehen. Ich möchte ihnen Kraft geben.
Heartland-Rock ist das musikalische Vehikel dafür. Was interessiert dich jetzt daran, abgesehen davon, dass Missouri im Herzen Amerikas liegt?
Es ist gut, dass du danach fragst. Die Saat der Inspiration konzentriert sich nicht nur auf einen Punkt. Eine Spur führt zu Tom Petty, den ich sehr vermisse. Er war der erste Künstler, zu dem ich aufgeschaut habe. Das war in den frühen 90ern, zu Zeiten von INTO THE GREAT WIDE OPEN und WILDFLOWERS. Er ist für mich ein ähnlicher Fixpunkt wie ein Familienmitglied. Er ver- schwindet für mich nicht, begleitet mich ständig. Tom Petty hat mich dazu gebracht, mich in Gänze mit dem Heartland-Rock zu beschäftigen. Mit Bruce Springsteen, Bob Seger und John Mellencamp.
Zum Teil sind diese Künstler noch dick im Geschäft. Das Genre gibt es, von Ausnahmen abgesehen, nicht mehr. Willst du etwas zurückbringen, das verloren gegangen ist?
Es fühlt sich so an, ja. Irgendwie hat sich vieles vereinzelt. Musiker arbeiten in der Nische und fühlen sich da wohl. Eine Zeit lang gab es mal diesen Oberbegriff namens Freak-Folk. Das war sehr trendy. Zeug von Leuten, die exzentrisch in der kleinen Ecke saßen und nicht entdeckt werden wollten. Das ist in Ordnung, aber es fehlt das Gegengewicht. Eine Energie, in den Mainstream zu wollen. Mit Geschichten, die von Menschen in der Mitte der Gesellschaft verstanden werden und trotzdem Anspruch haben. So wie im Heartland-Rock. Es fehlen einfach die Stimmen. Kritiker, die sich auch gegen das Establishment stellen. Heute sind alle gespalten, leben und denken in Lagern. Man erreichtdie Leute schwerer.
Nun kann man bei dir auch nicht sagen, dass du mit deinen letzten Platten voll ins Zentrum gegangen bist. Oft spürte man einen psychedelischen Country-Vibe, der sich speziell anfühlte.
Das hatte seinen Grund. Ich hatte die Nase voll von der Realität und was Trump aus ihr gemacht hat. Ich brauchte eine andere Welt und stand damit nicht allein da. Jetzt leben wir in anderen Zeiten. Es gab die Pandemie, es gibt Krieg und die Inflation. In so einer Situation müssen Künstler einen anderen Weg suchen, neue Verbindungen schaffen. Ich würde OZARKER mit BARN DOORS AND CONCRETE FLOORS aus dem Jahr 2011 vergleichen. Es ist eine Platte mit körperlichem Ansatz. Eine, in der wahre Umstände eine Rolle spielen, kein abstrakter Zustand. Wir mögen heute alle mit einem Mobiltelefon herumlaufen, das Ding ist für viele der beste Kumpel. Aber wir spüren weiter Liebe, Hoffnung, Leidenschaft, Wut, grundlegende Emotionen. Als Künstler sollte man das nicht außen vor lassen.
Wer hat dir bei den Aufnahmen zu OZARKER geholfen? Ein alter Haudegen?
Nein, ein vergleichsweise junger Bursche namens Kevin Ratterman. Er kommt aus Louisville in Kentucky, hat sich in Los Angeles eingerichtet und mit Ray LaMontagne, Joan Shelley, Andrew Bird und My Morning Jacket gearbeitet. Ich hatte von Freunden nur Gutes über ihn gehört. Er ist kein Gitarrist aber Jim James wollte, dass er genau dieses Instrument für ihn spielte. Jim ahnte, dass Kevin einer Sache besonderen Schwung geben kann. Für mich hat er 100.000 Dollar teures Equipment in den Van geladen und ist damit von L. A. nach Texas gefahren. Als alles aufgestellt war, haben wir neun Tage lang am Stück gearbeitet. Das lief wie am Schnürchen. Kevin wusste, wie man den Heartland-Sound aus dem Jahr 1987 in die Gegenwart holt, ohne dass es angestaubt klingt.
Wird es von dir weitere Musik in dieser Richtung geben?
Bei mir kann alles wiederkommen, was ich schon gemacht habe. Zuerst steht aber anderes an.
Was denn?
OZARKER ist die erste von vier Platten, die von mir in kurzem Abstand erscheinen werden. Sie sind konzeptionell und musikalisch durchgeplant. Eine davon heißt MOODS. Es ist ein Album mit viel Pedal-Steel-Sound. Mein Freund Eric Swanson liebt dieses Instrument, wir tragen uns schon lange mit dem Gedanken, eine Pedal-Steel-Platte zu machen. Jetzt ist es soweit. Es ist ein Ambient-Werk mit einem Stück, das 30 Minuten dauert und in alle möglichen Richtungen geht. Ein Einfluss aus Deutschland hat uns dabei geholfen.
Bei einer Pedal-Steel-Platte? Inwiefern?
Wir haben viel von Eberhard Weber gehört. Den kennt man hier doch bestimmt, oder?
Durchaus. Besonders, wenn man den Kontrabass, Jazz und Veröffentlichungen auf dem ECM-Label liebt.
Genau. Er ist ein Musiker, der hilft, wenn man starre Grenzen sprengen will. Für mich ist das alles eine Art Revolution. Ich habe keine Lust mehr auf den üblichen Rhythmus mit einem Abstand von zwei bis drei Jahren zwischen Veröffentlichungen. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Ich kann problemlos ein Album über die Dauer von vier, fünf Monaten schreiben. Dann brauche ich noch mal zwei für die Aufnahmen in
meinem eigenen Studio. Erledigt. Labels haben für so etwas kein Geld mehr, außerdem ist es seit der Pandemie aus finanziellen Gründen schwerer, auf Tour zu gehen. Vielleicht erscheint eine Platte von mir mal nur digital. So kann ich womöglich andere Leute von mir überzeugen, sodass mein Wirkungskreis größer wird.
Spannend. Was steht sonst noch auf dem Plan?
Ich veröffentliche auch eine Platte mit Coverversionen von allen Liedern auf SWEETHEART OF THE RODEO. Einige werden das als albern oder anmaßend empfinden. Im Musikbusiness der alten Schule wird die komplette Übernahme eines anderen Albums als Beleidigung empfunden. Diesen Zweiflern sage ich: Beruhigt euch mal. Ich gebe damit keine große Erklärung ab. Ich bilde mir nicht ein, es besser als die Byrds zu können. Das wäre echt Humbug. Ich liebe diese Platte einfach und zolle ihr Respekt.
Interessanterweise wirst du zu Hause im eigenen Land als Musiker gar nicht so wahrgenommen. In Europa ist das anders. Deine ersten Alben erschienen auf einem Label in den Niederlanden, du warst gerade in Dänemark auf dem Tønder-Festival, in Deutschland gab es Plätze in den Charts. Hast du das Gefühl, dass man dich zu Hause übersieht?
Ja, dieses Gefühl habe ich leider. Ich finde, dass ich in den Staaten einer der besten Songschreiber bin. Diese Meinung traue ich mir zu. Die Reaktion in Europa hilft mir sehr. So habe ich Rückenwind und das Selbstbewusstsein, Sachen mit großer Leidenschaft zu machen. Ihr seid hier alle sehr gut zu mir. Ich weiß das zu schätzen