1965 besuchte die drogensüchtige Janis Joplin ihre Heimatstadt in Texas, um ein normales Leben zu leben. Stattdessen landete sie wieder in San Francisco und mit Herz und Seele auf dem Weg zum Superstar.
Thomas Wolfe hatte Recht: Man kann nicht wieder nach Hause fahren. Als Janis Joplin im August 1970 für das zehnjährige Jubiläum ihrer High-School-Klasse nach Port Arthur, Texas zurückkehrte, sagte sie einem örtlichen Reporter, dass sie nur dort sei, um „es ihnen reinzureiben“ und „all diese Kids zu sehen, die immer noch in Tankstellen arbeiten und für Wäschereien Lieferwagen fahren, während ich 50.000 Dollar pro Abend verdiene“.
Einige dieser Kids hatten sie einst als Schwein oder Freak beschimpft, sie mit Pennies beworfen und wegen allem fertiggemacht, von ihrem Übergewicht über ihre Akne bis hin zu ihrem klaren Standpunkt in Sachen Bürgerrechten. Viele von ihnen hatten Port Arthur nie verlassen, also hatten diese zehn Jahre nur wenig verändert. Doch hier war Janis, ein Rockstar, eine Ikone der Gegenkultur und eine wohlhabende Frau, die süße Rache nehmen wollte. Und die geheime Hoffnung hegte, vielleicht endlich doch akzeptiert zu werden. Sie kam im echten Hippie-Look an – in einer losen weißen Bluse, mit lila und rosa Federn im Haar, einer überdimensionierten getönten Brille und jeder Menge Armreife, die an beiden Handgelenken klimperten. Doch wie es nun mal so oft passiert, wenn wir in unsere Heimat zurückkehren, verwandeln wir uns wieder in unsere unsicheren Teenager-Versionen. Bei der Feier fühlte sich Janis bald von ihren Klassenkameraden geächtet, die sie mieden, kicherten und fiese Bemerkungen über sie fallen ließen.
„Es war so traurig, dass sie nicht mal den riesigen Erfolg, den sie hatte, würdigen konnten“, erzählt ihre jüngere Schwester Laura Joplin. „Was sie erreicht hatte, war ihnen egal, denn es war ja nicht ihr Erfolg. Das Beste, zu dem sie sich durchringen konnten war, ihr einen alten Autoreifen zu schenken, weil sie am weitesten angereist war. Das war so beleidigend.“
Die wenigen Freunde von damals, die ebenso Außenseiter gewesen waren, hatten sich erst gar nicht die Mühe gemacht, aufzukreuzen. Da war Janis also nun, eine dünnhäutige Rebellin, und wurde vom örtlichen Fernsehsender mit Fragen gelöchert: „Wie hast du dich auf der High School von deinen Klassenkameraden unterschieden?“ Ihre Fassade zerbröckelte und sie antwortete: „Ich weiß es nicht, wieso fragst du sie nicht?“ „Warst du auf dem Abschlussball?“ Sie verkniff sich eine Träne und sagte: „Nein, niemand hat mich gefragt.“ Doch sofort fand sie wieder ihre königliche Fassung und drehte den Spieß mit einem Kichern um: „Davon habe ich mich bis heute nicht erholt. Das bringt einen glatt dazu, den Blues zu singen!“ Scherz beiseite: Der Blues, den Janis sang und der aus den Tiefen einer sensiblen Seele geschürft worden war, wurzelte in ihrer stürmischen Beziehung zu Port Arthur.
Ein paar Infos über diese Stadt ohne Mitleid: Port Arthur wurde 1895 als Eisenbahnstation gegründet. Sechs Jahre später sprudelte dort das schwarze Gold und machte es zu einem der neuen Öl-Mekkas von Texas. Am 19. Januar 1943, als Janis Lyn Joplin auf die Welt kam, hatten sich Texaco und Gulf Oil schon mit Raffinerien angesiedelt. Janis’ Vater arbeitete als Ingenieur bei Texaco, ihre Mutter war Archivarin an einer örtlichen Wirtschaftsschule. Janis sagte später: „Es war eine Stadt voller Kegelbahnen, Rednecks und Klempner, die so spießige Leben führten.“
Doch Janis und ihre jüngeren Geschwister Laura und Michael wurden in der Kunst und Musik gefördert und, wie Laura es sagt, „bekamen die Erlaubnis, anders zu sein. Mein Vater setzte sich mit uns hin, damit wir seine Lieblingsplatten anhörten. Ich erinnere mich an ein Konzert von Pablo Casal. Er wollte, dass wir die Kraft der Emotionen in dieser Musik spürten. Also wuchsen wir auf in dem Glauben, dass Musik etwas Ernsthaftes war. Wenn wir die Wäsche machten und meine Mutter, die mal eine Sängerin gewesen war, Musical-Stücke laufen ließ, ging es darum, das Singen zu lernen. Wenn wir dann die Handtücher durchs Wohnzimmer trugen, hielt sie uns auf und sagte: ‚Ihr müsst diese Noten halten. Diese Worte klar aussprechen. Euer Publikum muss euch hören!“
In der High School zeigte sich diese Erziehung bei Janis deutlich: Sie malte, spielte Folksongs auf ihrer akustischen Gitarre, las Jack Kerouac, schrieb für die Schülerzeitung und trug Sweatshirts, enge Jeans und Halbschuhe ohne Socken – das klassische Beispiel für die Entstehung einer freigeistigen Künstlerin. In diesem Fall außerdem gepaart mit einer wachen Intelligenz und Unabhängigkeit.