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Journey: Hart erkämpfte Freiheit

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Journey: Hart erkämpfte Freiheit

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Die Ankündigung von FREEDOM war eine der großen Überraschungen des ersten Halbjahres. Warum Neal Schon und seine seit 49 Jahren global erfolgreiche Band über eine Dekade für den Nachfolger von ECLIPSE (2011) gebraucht haben, verrät die Gitarrenlegende CLASSIC ROCK in einem ausführlichen Zoom-Video-Meeting.

Neal, zwischen FREEDOM und seinem Vorgänger ECLIPSE (2011) liegen ganze elf Jahre.
Es gibt ein paar Gründe, warum es derart lange gedauert hat. Der ursprüngliche Faktor war, dass einige Bandmitglieder der damaligen Journey-Besetzung nach ECLIPSE keine Lust darauf hatten, überhaupt noch einmal eine Scheibe in Angriff zu nehmen. Für sie war es vollkommen cool, nur noch die Klassiker live zu spielen. Unser ehemaliger Schlagzeuger Steve Smith hat mir in diesem Zug einmal ohne Umschweife gesagt: „Ich bin nicht hier, um kreativ zu sein, sondern nur, um einen Gehaltsscheck zu kassieren.“ Darüber war ich richtig geschockt. Diese Einstellung deckt sich mit meiner kein Stück.

Das klingt nach einer harten Nuss.
Ein weiterer Aspekt, der zu dieser schier endlos wirkenden Verzögerung beigetragen hat, war eine komplette Neuaufstellung hinter den Kulissen. Wir haben uns von Live Nation getrennt und sind zu unserem neuen Konzertveranstalter AEG gewechselt. Der Kick-off dieser Geschäftsbeziehung war die erfolgreiche Las Vegas Residency im Virgin Hotel & Casino im Dezember 2021. Ein weiterer wichtiger Schritt in Sachen neue LP war, dass wir unser altes Management gefeuert haben. Nun leite ich die Geschicke von Journey. Diese längst über-
fällige Entscheidung hat uns unsere kreative Freiheit zurückgegeben, die zuvor mehr und mehr beschnitten worden war. Ich bin inzwischen an einem Punkt in meinem Leben und meiner musikalischen Karriere angelangt, an dem ich wirklich weiß, was für Journey funktioniert und was nicht.

Über 80.000.000 weltweit verkaufter Alben sprechen auch eine eindeutige Sprache.
„Weltweit“ ist ein gutes Stichwort, denn ich musste noch einen richtig teuren Rechtsstreit führen. Im Zuge des Manangementwechsels habe ich herausgefunden, dass für unser Journey-Merchandising nie die globalen Markenrechte gesichert worden sind. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen, dass eine Band über Jahrzehnte hinweg in Sachen T-Shirt-Verkauf & Co. eiskalt über den Tisch gezogen wird. Bei uns sind vom ganzen Kuchen nur ein paar Krümel angekommen, da uns die dafür zuständigen Leute frech ins Gesicht gelogen haben. Meine Frau Michaela und ich sind daraufhin auf Spurensuche gegangen. Nach viel investierter
Zeit und noch mehr investiertem Geld – es waren ungefähr 2.000.000 US-Dollar – haben wir das komplette Ausmaß des Betrugs erfasst und konnten zielgerecht handeln. Aktuell ist für uns Journey eine Lebensaufgabe, die sie und mich sieben Tage die Woche dauerhaft beschäftigt. Unser Aufgabenbereich erstreckt sich dabei von der Koordination der Touraktivitäten über Fanarktikel bis hin zu der Verwaltung unserer Musikrechte. Zum Glück haben wir ein tolles Team um uns versammelt, auf das wir uns verlassen können. Mir kommt es manchmal so vor, als wären Michaele und ich die Quarterbacks einer super funktionierenden Football-Mannschaft.

Wie hat sich dadurch dein Alltag verändert?
Jeder neue Tag bringt eine neue positive Entwicklung mit sich. Egal, ob ich meine Musik oder unsere Liveshows als Beispiele hernehme – jeder Moment fühlt sich großartig an. Durch diese neu gewonnene Freiheit spiele ich auch meine Gitarre besser als je zuvor. Natürlich hat die unfreiwillige Pause während der COVID-19-Pandemie auch ihren Beitrag dazu geleistet. Meine langen täglichen Übungseinheiten waren wirklich ertragreich.

Der Zeitpunkt für FREEDOM scheint trotz aller Unwegsamkeiten perfekt gewählt zu sein.
Wenn ich auf unserer gerade durch die USA rollenden Tour allabendlich ins Publikum schaue, sehe ich vier Generationen. Da gibt es Kinder mit vier, fünf Jahren, die jede Textzeile mitsingen. Das ist für mich ein Zeichen, dass Journey fast fünf Dekaden nach der Bandgründung immer noch relevant sind. Damit das so
bleibt, braucht es selbstverständlich auch neue Musik, die genau wie die bekannten Hits den Zeitgeist und die Trademarks von Journey in sich vereinen. Was mir dabei gerade einfällt: Vor ein paar Tagen habe ich mit den Leuten von AEG über meine Idee zu einem „Journey Music Festival“ gesprochen. Neben zwei ungefähr
dreieinhalbstündigen Journey-Sets an zwei Abenden schwebt mir ein Rahmenprogramm mit Bands aus vielen unterschiedlichen Genres vor.

Auf FREEDOM habt ihr passend dazu viele neue Elemente in eueren Sound integriert.
Mir geht es als Musiker und Komponist immer darum, dass ich nicht auf der Stelle trete. Als ich mit unserem jetzigen Produzenten Narada Michael Walden [u. a. Santana, Steve Winwood, Diana Ross; Anm. d. Verf.] 2020 an meiner Soloscheibe UNIVERSE gearbeitet habe, waren diese in alle Musikrichtungen offenen Sessions der Stein, der FREEDOM ins Rollen gebracht hat. Wir leben in der selben Stadt, also war es easy, sich für ein paar „Experimente“ in Sachen Journey zu treffen. Narada besitzt wie ich ein eigenes Studio, weswegen wir uns öfters und ganz ungezwungen zu ein paar Songwriting Sessions verabredet haben. Was dabei im Laufe der Zeit aus uns herausgesprudelt ist, war einfach fantastisch. Er hinter seinem Schlagzeug und ich an meiner Gitarre
– mehr hat es nicht gebraucht, um in kürzester Zeit genug Ideen für ein tolles Journey-Album zu sammeln. Diese haben wir ohne lange zu überlegen an Jonathan [Cain, Journey-Keyboarder und Co-Hauptkomponist] geschickt, da wir uns aufgrund der pandemiebedingten Reisebeschränkungen nicht mit ihm treffen konnten. Danach hat es nich lange gedauert und wir hatten gut 35 Stücke zusammen. Aus diesen Liedern sind die am besten Zusammenpassenden ausgewählt worden. Einigen Songs mussten wir noch den letzten Schliff verpas-
sen, andere wiederum waren zum Zeitpunkt ihrer Entstehung schon komplett ausgearbeitet.

War es nicht schwer, die richtige Balance zwischen Bekanntem und Neuem zu finden?
Der Großteil von FREEDOM klingt klar nach dem klassischen Journey-Konzept. Dieser Aspekt war mir enorm wichtig, denn es bringt nichts, den Sound einer Band in irgendeiner Form zu verwässern oder komplett über den Haufen zu werfen. Genauso wichtig ist es für mich allerdings auch, keinen Aufguss alter Ideen im Studio aufzunehmen. Wer braucht schon Kopien von ›Open Arms‹ oder ›Separate Ways (Worlds Appart)‹?! Sowas sollte für keinen Künstler Sinn ergeben. Mit dieser Prämisse im Hinterkopf hat für uns der Spaß auf dem Weg zu FREEDOM richtig angefangen. Zu unserem bekannten Rockfundament haben sich schnell Genres wie Fusion und Funk dazugesellt und eine spannende Mischung ergeben.

Wie kann man sich die Instrumentierung der ausgeklügelten Arrangements vorstellen?
Im Prinzip genauso ungezwungen, wie die Arbeit an FREEDOM begonnen hat – jeder durfte sich an verschiedenen Bandpositionen austoben. In meinem Fall waren es neben meiner Gitarre eben verschiedene Keyboards und Bässe. Zusätzlich habe ich mir für unseren Sänger Arnel [Pineda] Gesangsmelodien ausgedacht. Was viele nicht wissen ist, dass ich dafür auch schon in der Ära mit Steve Perry zuständig war.
Narada hat mich bei dieser Produktion richtig gepusht, um mehr Melodien als je zuvor auszuarbeiten. Manchmal hat mir seine Begeisterung dafür etwas Angst bereitet. Ich sehe mich selbst nicht als guten Sänger und habe mich bisher nur ein paar Mal dazu überreden lassen, dass meine Stimme bewusst auf einem Album zu hören ist. Bei diesen Sessions war die Atmosphäre jedoch so relaxt, dass dabei ein paar klasse Background
Vocals herausgekommen sind.

Wie habt ihr Arnels Gesang aufgenommen?
In die USA durfte er aus den Philippinen ja bis November 2021 nicht einreisen. Nachdem ich die Gesangsmelodien und Jonathan die Texte fertig hatten, haben wir die Dateien an Arnel geschickt. Genau wie jetzt während dieses Interviews waren wir an der Westküste zur Mittagszeit vor einem Zoom-Video-Meeting gesessen und haben uns mit Pineda im 15 Stunden in der Zukunft liegenden Manila unterhalten. Er hat sich im Obergeschoss seines Hauses ein Ministudio, bestehend aus einem Computer, einem Audio-Interface und einem High-End-Gesangsmikrofon, eingerichtet. Ich finde es in der Retrospektive immer noch faszinierend, wie wir mit einer Internetleitung um Dreiviertel der Erde ohne spürbare Verzögerungen miteinander aufnehmen konnten. Unser Toningenieur hat zudem von Kalifornien aus alle Einstellungen in Arnels Audiosoftware getätigt. So konnte er sich voll und ganz aufs Singen konzentrieren. Die neue Technik ist echt verdammt cool, um auch in so scheinbar ausweglosen Situation wie einer Pandemie gemeinsam eine Platte zu produzieren.

Das klingt jetzt alles so, als ob ihr die 15 Songs für FREEDOM in kürzester Zeit geschrieben, arrangiert und aufgenommen habt.
Ganz so ist es natürlich nicht. Ich sammle jeden Tag neue Einfälle mit der Sprachmemo-App meines Smartphones. Ehrlich gesagt, kann ich die genau Anzahl der auf irgendeiner Festplatte schlummernden Ideen, die so entstanden sind, nicht beziffern. Grob geschätzt dürften es aber schon an die 100.000 Dateien sein. Diese Geistesblitze können gesungene oder mit der Gitarre gespielte Melodien, Riffs oder Akkord-
folgen sein. Beispielsweise basiert das letzte Stück des Albums, ›Beautiful As You Are‹, auf einem zur Zeit von DEPARTURE (1980) auf Tonband festgehaltenen Chorus-Grundgerüst. Irgendwie ist mir dieses alte Tape während der FREEDOM-Sessions mit Narada wieder in den Sinn gekommen. Er hat den Part sofort für gut befunden und es ist der jetzige Song daraus entstanden. Daran sieht man, dass es manchmal einfach etwas mehr Zeit braucht. Man sollte eben nie etwas übers Knie brechen …

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