Zunächst aber bleibt Young mit Crosby, Stills und Nash zusammen. Gemeinsam nehmen sie das von nicht wenigen als die beste CSN(Y)-Platte betrachtete DÉJÀ VU auf (mit den Songs ›Teach Your Childeren‹, ›Almost Cut My Hair‹, ›Helpless‹ und dem Joni-Mitchell-Cover ›Woodstock‹) und das (nachdem beim Kent-State-Massaker vier Studenten, die gegen den Virnamkrieg demonstrieren, von der Nationalgarde erschossen werden) von Young 1970 geschriebene Protestlied ›Ohio‹, mit der berühmten ersten Zeile: „Tin soldiers and Nixon coming“. 1971 zerstreiten sich die Vier zum ersten Mal richtig, und es ist vorerst aus mit CSNY. Drei Jahre später sind sie freilich schon wieder zusammen auf Tour.
Crazy Horse jedenfalls haben derweil auf eigene Faust weitergemacht und ihren ersten, CRAZY HORSE genannten Langspieler veröffentlicht, auf dem sie sich zwischen kantigem Country-Rock, melancholischer Americana und psychedelischen Einsprengseln eingrooven. Whitten ist so etwas wie der inoffizielle Anführer, das von ihm verfasste ›I Don’t Want To Talk About It‹ wird später in der Version von Rod Stewart zum Welthit werden. 1970 sind Whitten, Molina und Talbot außerdem auf Youngs melancholischem Soloalbum AFTER THE GOLD RUSH zu hören, HARVEST, seine bis heute erfolgreichste LP, stellt der Kanadier ausnahmsweise ohne Hilfe von Crazy Horse fertig. Es enthält den Hit ›Heart Of Gold‹ und mit ›A Man Needs A Maid‹, ›Old Man‹ und ›Words (Between The Lines Of Age)‹ einige seiner besten Lieder überhaupt. Mittlerweile scheint klar: Was er anfasst, wird zu, nun ja, Gold.
Tragische Ereignisse aber werfen da längst ihre Schatten voraus. Danny Whitten hat mit harten Drogen lange nichts am Hut. Ende der 60er probiert er, wie so viele andere, Heroin aus, und bleibt darauf hängen. Zunächst spielt er weiter bei Crazy Horse, schon kurze Zeit später, um 1972, kann er im Studio mit eigenen Kräften kaum mehr seine Gitarre halten – von konstruktiven Beiträgen als Songwriter ganz zu schweigen. Talbot und Molina, mit denen er seit frühen Doo-Wop-Zeiten zusammen unterwegs ist, wissen sich keinen anderen Rat mehr, als ihn aus der Band zu werfen. Young tut, was er am besten kann, er schreibt einen Song.
„Wenn man schon todmüde ist, aber einen die Drogen wach halten, diese eigenartige übernächtigte Nervosität strahlt TONIGHT’S THE NIGHT aus“
Zu akustischer Gitarre singt er darauf so sanft und gleichzeitig bitter wie selten zuvor und danach. „I caught you knocking at my cellar door/I love you, baby, can I have some more“. Er erzählt, wie er seine Band verliert, weil sich die Nadel einen mehr geholt hat. „I sing the song because I love the man“, geht es weiter, bis zu einem der eindrücklichsten Bilder für die Tragik des Fixer-Daseins überhaupt: „Milk blood to keep from running out“. Das Stück, es heißt ›The Needle And The Damage Done‹, wird 1971 bei einem Konzert live aufgenommen und landet 1972 auf HARVEST.
Nach der letzten Zeile, in der es heißt, dass jeder Junkie wie eine untergehende Sonne ist, wird der einsetzende Applaus auf der Albumversion krass abgeschnitten und die harte Gitarre von ›Words (Between The Lines Of Age)‹ fährt dazwischen wie ein Faustschlag. Weil gemeinsam zelebrierte Betroffenheit, der immer leicht wohlige Schauer vor etwas, das einen selbst nicht bedroht, das man vielleicht gar nicht mal versteht, ja immer blöd sind.
Young lädt seinen strauchelnden Freund ein, ihn auf der HARVEST-Tour zu begleiten. Und Whitten, der sich angeblich wieder einigermaßen gefangen hat, erscheint auch zu den vereinbarten Proben in San Francisco, bei denen Steel-Gitarrist Ben Keith, Klavierspieler und Arrangeur Jack Nitzsche, Bassist Tim Drummond und Schlagzeuger Kenny Buttrey dabei sind.
„Wir probten mit ihm und er brachte es einfach nicht auf die Reihe“, erzählt Young im Gespräch mit Crowe 1975. „Er konnte sich nichts merken, er war einfach zu sehr rausgekommen, zu verloren. Ich musste ihm sagen, dass er nach L.A. zurückgehen sollte: ,Es passiert nicht, Mann. Du kriegst es einfach nicht zusammen‘. Darauf sagte er nur: ,Ich habe nichts, wo ich sonst hingehen könnte, Mann. Wie soll ich das meinen Freunden beibringen?‘ Und er verließ uns. Noch in derselben Nacht bekam ich einen Anruf aus L.A. und man sagte mir, dass er an einer Überdosis gestorben ist. Es blies mir das Hirn weg. Ich hab Danny geliebt. Ich fühlte mich verantwortlich.“
Whitten ist 29, als es passiert, am 18. November 1972. Wie sich bei der Obduktion herausstellt, ist eine Mischung aus Valium und Alkohol die Todesursache.
Young absolviert die geplante Tournee, aber fühlt sich „nervös und unsicher“. Der Live-Mitschnitt, der daraus hervorgeht, TIME FADES AWAY von 1973, leitet seine sogenannte „Ditch Period“ oder auch „Doom Period“ ein, die bis 1975 andauert und in der er fast ausnahmslos düstere Musik aufnimmt.
Die Ansicht, dass große Kunst nur aus großem Leid entsteht, ist natürlich großer Mist. Es ist abgeschmackt und kitschig. Dennoch kann es passieren, klar. Und Young gelingt es, seinen Schmerz in seiner Musik zu kanalisieren. 1973 geht er mit Talbot, Molina und einigen anderen, darunter der junge Gitarrist Nils Lofgren, ins Studio. Die Lieder, die sie aufnehmen, werden zwei Jahre später unter dem Titel TONIGHT’S THE NIGHT auf Platte hinter einem gespenstischen, schwarzweißen Coverfoto erscheinen. Die ersten Zeilen des Titelstücks, mit schneidender Stimme herausgepresst, gehen so: „Bruce Berry was a working man/He used to load that Econoline van“.
Jenen Bruce Berry hat es tatsächlich gegeben, und er ist der zweite Freund in kurzer Zeit, den Young an die Drogen verliert. 1950 geboren, arbeitet Berry ab den späten 60ern als Roadie für CSNY und auch deren einzelne Mitglieder. Er ist bekannt dafür, dass er die Instrumente der Musiker mit seinem weißen Ford Econoline transportiert, es ist sein Markenzeichen. Als die 70er anfangen, gerät er an Heroin, im Juni 1973 stirbt er an einer tödlichen Dosis Kokain und Heroin.
„Wenn du die ersten Menschen verlierst, an die Drogen, an den Wahnsinn, dann weißt du, das ist das wahre Leben. Kein Hippie-Traum mehr“, blickt Young 2012 im Spiegel-Interview zurück. „I’m not going back to Woodstock for a while/Though I long to hear that lonesome Hippie smile/I’m a million miles away“, singt er 1973 desillusioniert im Song ›Roll Another Number‹.
Im Gespräch mit Crowe sagt er 1975 über TONIGHT’S THE NIGHT: „Das ganze Ding dreht sich ums Leben, um Dope und Tod. Als wir die Musik spielten, dachten wir an Danny Whitten und Bruce Berry, zwei enge Mitglieder unserer Einheit, die wir an eine Überdosis verloren hatten. Die Sessions waren das erste Mal, dass das, was nach Dannys Tod übrig war von Crazy Horse, wieder zusammenkam. Es war an uns, gemeinsam stark genug zu sein, um die Lücke zu füllen, die er hinterlassen hatte. Ich bin selbst kein Junkie und ich will es auch gar nicht ausprobieren, um zu sehen, wie das so ist … Aber wir wurden alle high genug, wir gingen ganz raus bis an die Kante, an der wir uns weit offen fühlten für diese ganze Stimmung. Es war unheimlich. Ich fühle dieses Album vielleicht mehr als alles andere, was ich je gemacht habe.“
Nie haben Neil Young und Crazy Horse spröder, aufgekratzter und fahriger geklungen als auf TONIGHT’S THE NIGHT. Wenn man eigentlich schon todmüde ist, aber einen die Drogen noch wach halten, genau diese eigenartige übernächtigte Nervosität strahlen die Lieder aus. Das elegische ›Tired Eyes‹ erzählt von einem missglückten Kokaindeal. Davon, dass man sein Bestes versucht und es trotzdem nicht gut genug ist. „Was he a heavy doper or was he just a loser?“, fragt jemand bitter. Die Musik ist karg, wie skelettiert. „Wenn du um elf Uhr morgens eine Platte auflegst, nimm lieber nicht TONIGHT’S THE NIGHT. Nimm die Doobie Brothers“, meint Young später einmal.
Weil er denkt, dass die Lieder noch nicht fertig sind, stellt er sie erstmal zurück (bis 1975) – und veröffentlicht 1974 stattdessen das nicht weniger düstere, knallharte und beklemmende Solowerk ON THE BEACH. Es ist großartig, wer es nicht kennt, muss sich nur das Cover mit dem Strandsonnenschirm und der im Sand versinkenden Limousine anschauen und in den ›Revolution Blues‹ reinhören, um die Stimmung mitzubekommen. Der einsame Sänger steht mit dem Rücken zum Betrachter und blickt auf den Ozean. Es geht um die gefährliche Seite des Ruhms, der die Realität verschwimmen lässt und einen in eine dreckige Glitzerwelt wirft, in der eingebildete und echte Gespenster lauern. Es geht um verlorene Ideale, um den kalifornischen Lifestyle.
„Well I hear that Laurel Canyon is full of famous stars/But I hate them more than lepers and I’ll kill them in their cars“, heißt es im angesprochenen ›Revolution Blues‹, der auf den paranoiden Hass der Manson-Family anspielt, die die schwangere Sharon Tate 1969 zwar nicht in ihrem Auto, aber in ihrer Villa in Los Angeles umgebracht hat.
In einer Zeit, in der Bruce Springsteen gerade erst damit anfängt, sich seinen New-Jersey-Mythos aufzubauen, und Bob Dylan sich nach seinen Großtaten der 60er in einem kreativen Tief befindet, aus dem er sich vollends erst 1975 mit BLOOD ON THE TRACKS befreien wird, ist Young, der dritte überlebensgroße amerikanische Songwriter (er stammt zwar aus Kanada, klar, die Welt, die er in seinen Liedern beschreibt, liegt aber südlich davon), zum schonungslosen Chronisten der Post-Hippie-Ära der frühen 70er geworden.
Sehr, Sehr Gut geschrieben.Neil Young und Crazy Horse hören ,eine Urgewalt von langen Gitarrensoli immer wieder gerne zu hören.Powderfinger ein Traum von Musik und Gesang.
Danke für den Bericht
M.Schramm