Ein Mittsommernachtstraum in drei Akten.
Erster Akt, Donnerstag: Stockholm Flughafen.Vor mir stehen Nicke Andersson und Johanna Sadonis in der Warteschlange. Leider siegt die Scham über die Selfie-Geilheit und adieu, schickes Fotoalbum! Bei der Landung trifft man auf den ersten, reiferen Journalisten-Kollegen: „Zu Festivals mit Retro-Line-Up schicken sie immer mich alten Hasen.“ Man entgegnet scherzhaft: „Bei so neuerem Zeug schicken sie gerne mich jungen Hüpfer“, und erntet leider keine Lacher. Naja, dann wird eben vorerst allein gen 15. Buktafestival geschlendert, um sich beim Eintreffen erst mal von einer Wonne-Welle ergreifen zu lassen. Durch ein liebevoll dekoriertes Wäldchen stapft man Richtung Hauptbühne und wird mit einem Panorama der Extraklasse belohnt: arktisches Meer, Mittsommerhelligkeit, wow! Zwar ist es saukalt, aber es gibt ja bekanntlich kein schlechtes Wetter… Nach einer Erkundungstour zur zweiten Bühne, wo ich zusammen mit (okay, neben) dem Bassisten der Hellacopters ein nordisches Hipsterquartett begutachte, warte ich vor der Mainstage auf mein persönliches Highlight: Andersson und Dregen vereint! Ungewöhnlich, so eine Peripetie im ersten Akt, aber wir sind ja nicht mehr in der Schule. Hach, dieser Nicke… Schade, dass er eben erst die hübsche Frau Sadonis geheiratet hat. Nach ihrer orgiastischen Headlinershow trifft man die Hellacopters vor der Hotellobby beim Corona-Trinken und Rauchen. „Great show, man“, flötet die Frau Floßmann leise hinüber. Prosten, anerkennendes Nicken, gute Nacht.
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Zweiter Akt, Freitag: Heute braucht es die Regenjacke noch dringender als gestern. „Buktawetter“, meinen die Umstehenden. Bei Eintreffen am Festival ziehen einen erst mal direkt die Backstreet Girls in ihren Bann, abgedrehte Rabauken inklusive besoffenem Frontmann, die das wallende Publikumsblut mit einer dreckigen Mischung aus Ramones, Sex Pistols und AC/DC vergiften. Der Sänger reißt einen Witz nach dem anderen, die Audienz beömmelt sich. Leider alles auf Norwegisch. Nach einem Fisch-dominierten Snack – es gibt hier nichts anderes – und einem Bierchen für schlappe 9,60€ führt man sich auf der Ministage Kosmik Boogie Tribe zu Gemüte, die spontan von Mitgliedern der Backstreet Girls und Lonely Kamel unterstützt werden. Heidewitzka, welch ein Spaß! Ein netter Nebenmann bietet etwas von seinem Kartoffelbrei mit Seelachs an und ich gable munter in das landestypische Gericht hinein. Es folgt ungewohnt unaufdringlicher Smalltalk, bevor man bemerkt, dass die Leute hier gerne sportlich auf Dörrfisch herumhämmern. Auch man selbst hämmert jetzt Kabeljau und ein seltsames Gefühl von Befriedigung durchströmt den eigenen Körper. Gluecifer beginnen ihr energetisches Heimspiel um 22:30 Uhr. Es ist natürlich noch immer taghell und die Stimmung deutlich ausgelassener als gestern.
Dritter Akt, Samstag: Letzter Tag in der Telegrafbukta. Trotz Unwetterwarnung ist es rappelvoll, nach dem Familiennachmittag dominieren norwegische Bands das Line-Up, von staubigem Stoner-Doom bis hin zu Romantischem á la Sivert Høyem. Man betrachtet das wahrhaft wunderschöne Lichterspiel auf der Meeresoberfläche zu den wabernden Klängen des Samsara Blues Experiment und fühlt sich irgendwie erhaben, bis es beim zweiten Auftritt von Nick Oliveri und Dwarves-Konsorten an der alkoholgeschwängerten Aftershow erstmals richtig zur Sache geht: Gläserne Blicke, ausgefahrene Ellbogen, ein seltsames E.T.A.-Hoffmann-Flair. Zum Runterkommen folgt dann ein nettes Gespräch mit dem Schlagzeuger, es gibt pikante Details über den Drogenkonsum mancher Musiker sowie ein bayerisches Großbrauereiweißbier aus der Flasche.
Es ist 04:14 Uhr. Begleitet von sanftem Sonnenschein streunert man komplett in sich ruhend zurück ins Hotel und trägt von jetzt an die Gewissheit im Herzen, dass das Bukta wohl eines der malerischsten Festivals überhaupt ist.