Schon kurz nach Rhoads’ Ankunft in Großbritannien beginnt das Trio mit der Suche nach einem passenden Drummer und bastelt parallel an ersten Songs. Um professionell arbeiten zu können, buchen sie sich in zwei Studios ein, im „Rockfield“ in Wales und im „Transam Trucking“ in Suffolk. Randy Rhoads und Bob Daisley schreiben den Großteil der Tracks, wobei der Gitarrist den Löwenanteil der Kreativarbeit übernimmt. „Die zentralen Riffs kamen von Randy“, gibt Daisley ehrlich zu. „Er spielte mir seine Ideen vor, wir diskutierten darüber, und auf dieser Basis begannen wir schließlich mit der Ausarbeitung der besten Passagen. Ozzy war ebenfalls mit von der Partie. Er brachte viele hervorragende Gesangslinien mit ein, und sein Gespür für passende Melodien prägte die Songs nachhaltig.“
Allerdings ist Osbourne kein Texter. Wie bei Black Sabbath, wo Geezer Butler den Job des Wortkünstlers übernommen hat, ist es auch bei Ozzys Soloband wieder der Bassist, der sich um die Lyrics kümmert. „Das Spiel mit den richtigen Metaphern oder die Anordnung passender Zeilen liegt ihm einfach nicht”, erklärt Daisley Osbournes Abneigung. „Allerdings war er gut darin, passende Bezeichnungen für die Stücke zu finden. Ich habe zwar 98 Prozent der Texte geschrieben, doch etliche Song-Namen stammen von Ozzy.“ So auch der Titel des Albums: BLIZZARD OF OZZ, eine augenzwinkernde Anspielung auf Osbournes Kokainexzesse.
Doch Ironie hin oder her: Von Suchtmitteln kann der Sänger auch jetzt noch nicht die Finger lassen. Zwar hat er die aktue Hotelzimmer-Depressionsphase hinter sich gelassen, doch insbesondere in punkto Trinkerei ist er maßlos wie eh und je. Oft schüttet Ozzy den Alkohol so hemmungslos in sich hinein, dass er zu betrunken ist, um brauchbare Idee zum Album beizusteuern. „Manchmal fing er schon am frühen Morgen damit an, sich die ersten Gläser hinter die Binde zu kippen“, berichtet Bob Daisley. „Nachmittags war er dann so voll, dass er einfach einschlief, während wir an den Songs weiterarbeiteten.“ Eine frustrierende Erfahrung für Daisley und Rhoads. Hinzu kommt, dass noch immer kein geeigneter Drummer gefunden ist.
Erst als Don Ardens Sohn David, der den Aufnahmeprozess überwacht, während Sharon in L.A. anderen Geschäften nachgeht, einen Mann namens Lee Kerslake vorschlägt, hellen sich die Mienen der beiden auf – denn der stämmige Schlagzeuger hat sein Können bereits bei Uriah Heep unter Beweis gestellt. Und schon bei der ersten Probe ist klar: Kerslake, damals 32, passt in die Band. „Ich zählte ein: ‚Eins, zwei, drei…‘ und legte los. Randy sprang wie von der Tarantel gestochen auf, hüpfte durchs Zimmer und schrie: ‚Wir haben ihn gefunden!‘“, sagt Kerslake lachend, als er an die Audition in den Shepperton Studios in Middlesex zurückdenkt. „Die Energie im Raum war beinahe greifbar. Das verblüffte mich vermutlich genauso wie die anderen.“ Eine Einschätzung, die Daisley bestätigt. „Lee schaffte es, all seine Leidenschaft in der Musik umzusetzen. Zugleich klang sein Drumming aber auch wahnsinnig aggressiv. Das war genau die Kombination, nach der wir gesucht hatten.“ Nach dem Ende der Session reicht Ozzy Kerslake die Hand und sagt zu ihm: „Lee, hier ist meine Hand, hier ist mein Herz. Diese Band wird niemals auseinandergehen.“
Am 22. März 1980 zieht die Gruppe in den „Ridge Farm“-Studios in Surrey ein. Das Anwesen, das aus mehreren Gebäuden besteht, die um ein Haupthaus aus dem 17. Jahrhundert angeordnet sind, liegt in der Einöde. Es gibt keinerlei Ablenkung. „Im Grunde war es eine Art Arbeitscamp – nur dass es nichts streng durchorganisiert war, sondern ein Rock’n’Roll-Flair herrschte“, so Ozzy. Chris Tsangarides, der als Produzent angeheuert worden ist, muss bereits nach einer Woche gehen, die Zusammenarbeit funktioniert überhaupt nicht.
Die vier Musiker beschließen, die Platte selbst zu produzieren, Max Norman, der in den „Ridge Farm“-Studios angestellt ist, übernimmt die technische Leitung. Die Recordings finden in einer ehemaligen Scheune statt, die nach dem Umbau als Haupt-Aufnahmeraum dient. „Die Akustik war einfach phänomenal“, beschreibt Lee Kerslake die Atmosphäre. „Man bekam das Gefühl, dass die Musik dort wirklich zum Leben erwachte.“
Innerhalb von vier Wochen ist BLIZZARD OF OZZ fertig eingespielt. Alle sind mit Feuereifer bei der Sache – nur Ozzy verbringt den Großteil seiner Zeit im Pub „The Plough“, das zum Studio gehört. „Wir fingen immer früh am Morgen mit den Aufnahmen an“, sinniert der Sänger. „Doch sobald ein Song im Kasten war, habe ich die Brocken hingeworfen und bin zur Theke marschiert. Wenn der Wirt den Laden nicht immer vor Mitternacht geschlossen hätte, wäre das Album wohl nie fertig geworden.“
Im Grunde agiert Osbourne bei seiner neuen Band nicht anders als bei der alten: Er übertreibt es mit den Drogen. Und er zieht seine Mitstreiter auf, obwohl die keineswegs zu den beinharten Abstinenzlern zählen. Daisley bekommt den Spitznamen „Sid Serious“ verpasst, weil er sich nach Ozzys Meinung zu ernsthaft mit den Recordings beschäftigt. Was jedoch nur die halbe Wahrheit ist, wie Daisley berichtet: „Ozzy Osbourne war nicht der Einzige, der sich ein paar Drinks oder eine Line genehmigt hat. Wir hatten alle unseren Spaß – abgesehen von Randy, der ja grundsätzlich keine Drogen nahm. Doch gegen Ozzy konnte keiner von uns anstinken, er musste einfach alles auf die Spitze treiben.“
Der Bassist sieht mit an, wie sich sein neuer Arbeitgeber nach und nach in Richtung Abgrund manövriert. Da er die Entwicklung nicht aufhalten kann, nutzt er die Beobachtungen anderweitig – nämlich in kreativer Hinsicht. Er nimmt Ozzys Worte „Wine Is Fine, But Whisky’s Quicker”, die von Ogden Nashs „Candy Is Dandy, But Liquor Is Quicker” inspiriert sind, in den Text zu ›Suicide Solution‹ auf – dem größten Hits des Albums. Während Osbourne offiziell in Interviews sagt, dass AC/DC-Frontmann Bon Scott, der vor wenigen Tagen, nämlich am 19. Februar, nach einer durchzechten Nacht an Erbrochenem erstickt ist, als tragische „Vorlage“ für das Lied gedient hat, betont Bob Daisley heute, dass Osbourne die traurige Inspirationsquelle für den Song gewesen ist. „Bon Scott war ein guter Freund von mir, und natürlich hat es mich damals wirklich getroffen, als ich die Nachricht von seinem Tod erhielt. Die Lyrics zu ›Suicide Solution‹ sind jedoch unter dem Einfluss von Ozzys Verhalten entstanden. Er verlor nach und nach die Kontrolle über sich.“ Eine Einschätzung, die Osbourne heute teilt. „Ich hatte damals denselben Weg eingeschlagen wie Bon Scott“, gibt der Vokalist unumwunden zu.
Und ebenso wie der AC/DC-Sänger, der kurz vor dem Ende noch Topleistungen abliefern konnte, ist auch Osbourne trotz aller Probleme nach wie vor stimmlich auf der Höhe. Seine Gesangsleistung auf BLIZZARD OF OZZ lässt alle Kritiker verstummen, der Karrierestart als Solokünstler verläuft phänomenal. Die Zeit nach dem Rauswurf bei Black Sabbath, die Zweifel und die Ängste, dass nun alles vorbei sein könnte, hat er hinter sich gelassen – Ozzy Osbourne ist wieder da, die Veröffentlichung des Debütalbums kommt einer Wiedergeburt gleich.
BLIZZARD OF OZZ ist ein klassisches Heavy Metal-Album – und doch klingt die Platte anders als alles, was Osbourne je mit Sabbath auf den Markt gebracht hat. Dieser Entwicklungsschritt, die Modernisierung des Sounds, geht vor allem auf den Einsatz von Randy Rhoads zurück. Der Gitarrist zählt neben Eddie Van Halen zu den aufregendsten jungen Musikern der frühen Achtziger. Seinem Talent ist es zu verdanken, dass Ozzy Osbourne seinen Stil als Solokünstler findet – einen Stil, der das gesamte Rock-Jahrzehnt nachhaltig prägen wird.
Die erste Single ›Crazy Train‹, eine kraftvolle Hymne, in der Ozzy sein Image als verrückter Künstler ausleben kann, schlägt ein wie eine Bombe. Doch BLIZZARD OF OZZ lebt nicht nur von dem einen, herausragenden Track, sondern besticht mit einer ganzen Latte an Hochkarätern. Neben ›Suicide Solution‹ kommt der knallharte Opener ›I Don’t Know‹, die herzzerreißende Ballade ›Goodbye To Romance‹ oder der mit einem angemessen finsteren Keyboard-Intro von Don Airey versehene Okkult-Kracher ›Mr Crowley‹, am besten an. In Großbritannien erscheint die Platte am 20. September 1980 und klettert bis in die Top Ten – die dazugehörige Tour wird ein voller Erfolg, alle Tickets sind verkauft, „Sold Out”-Schilder hängen an allen Venues. Ozzy ist nicht mehr der geschasste Ex-Sänger von Black Sabbath, sondern einer der heißesten Solo-Acts der Gegenwart.
Kurz vor Tourstart ändert sich die Lage jedoch. Sharon, die nun die Rolle der Managerin übernimmt, ist der Ansicht, dass die Bandkonstellation nicht stimmig wirkt. „Ich hätte Daisley und speziell Kerslake nie engagiert – und zwar nicht aus musikalischen, sondern rein aus optischen Gründen“, so Sharon. „Die beiden waren schon über 30 und sahen dementsprechend alt aus. Ihr Old School-Look passte nicht zu Ozzys neuem Image als frischer, moderner Künstler.“ Als die Tour schließlich beginnt, liegen Sharon und auch Ozzy Bob Daisley ständig in den Ohren, dass sie Kerslake feuern wollen. „Lass ihn uns rauswerfen!“, erinnert sich der Bassist an die Worte, mit der ihn sowohl die Managerin als auch sein Frontmann nerven. Ein Ersatzmann steht nach Aussage der beiden bereit: Tommy Aldridge, ein US-Drummer aus Mississippi, soll den Posten übernehmen.
Daisley weigert sich jedoch, den Rauswurf zu unterstützen. „Ich hätte nie zugestimmt“, sagt er noch heute mit bestimmtem Ton. „Ich versuchte daher, Sharon und Ozzy davon zu überzeugen, dass Tommy zwar zweifellos ein Top-Schlagzeuger war, aber nicht so perfekt zur Band passen würde, wie Lee das tat.“ Ohne Erfolg. Am 31. Oktober 1980, als die Band im „Brighton Dome“ den letzten Gig der Tournee spielt, ist Aldridge vor Ort, um die Lage zu checken – auf Einladung von Sharon. Kerslake ahnt nichts Böses, gutgläubig, wie er nun mal ist. Inzwischen jetzt gibt er zu: „Eigentlich hätte ich sofort kapieren müssen, dass da etwas vor sich ging…“
Zudem gibt es emotionale Turbulenzen in Ozzys privatem Umfeld zu vermelden. Der Vokalist beginnt eine Affäre mit Sharon – und stürzt damit seine Ehe in eine tiefe Krise. Bereits seit August turteln die beiden Frischverliebten, und im Kreis der Band bleibt die Beziehung nicht lange geheim. Doch Gattin Thelma tappt monatelang im Dunkeln. „Ozzy war hin- und hergerissen, nachdem er etwas mit Sharon angefangen hatte“, rekapituliert Daisley. „Die Sache machte ihn fertig. Auf der einen Seite fühlte er sich zu Sharon hingezogen, war aber eben auch Thelma und den Kindern verpflichtet und fuhr häufig zu ihnen nach Stafford.“
Da noch immer kein US-Veröffentlichungstermin für BLIZZARD OF OZZ in Sicht ist, liegen auch die Live-Aktivitäten weitgehend auf Eis – eine Tour ergibt erst dann Sinn, wenn das Debüt in den Staaten auf den Markt kommt. Daher beschließt Sharon, dass die Musiker die Zeit nutzen sollen, um Songs für das zweite Album zu komponieren. Ende des Jahres mietet sie das „Jumbo Studio“ in Nord-London, damit die Truppe in Ruhe an ersten Demos arbeiten kann. Gesagt, getan. Der Einzige, der weitgehend durch Abwesenheit glänzt, ist Ozzy – er besucht lieber seine Familie. Seine Mitmusiker stört das kaum, sie sind daran gewöhnt, dass ihr Chef eigene Wege geht.
Was sie weitaus mehr ärgert, ist das Fehlen der versprochenen Künstlerverträge. Bei der Bandgründung haben die Parteien vereinbart, dass die Hälfte aller Einnahmen an Osbourne geht, Daisley, Kerslake und Rhoads sollten sich die verbliebenen 50 Prozent teilen. So weit der Plan. Doch obwohl die Musiker bereits mit dem Songwriting für die zweite Scheibe begonnen haben, ist noch immer kein Schriftstück aufgesetzt, das diese Regelung offiziell besiegelt. Daher beschließen die Drei, auf die Barrikaden zu gehen – sie legen die Instrumente nieder. Doch Don Arden schafft es, das Trio zu besänftigen und verspricht, dass der Kontrakt in Kürze zur Unterschrift bereitliegen wird. Sie lenken ein und nehmen die Arbeit wieder auf.