Corona ist schuld: Der Guitar-Hero Philip mutiert zum Zappelphilip
Freunde der E-Gitarre kennen die Helden der Szene. Sayce spielte nicht nur für Jeff Healey und Melissa Etheridge, Stadionerfahrung hat er als Support für ZZ Top und Deep Purple gesammelt. Der gebürtige Waliser, geprägt in Kanada und wohnhaft in L. A., kann alles. Songs schreiben, singen und natürlich auf der Klampfe die Sau rauslassen. Viele gestandene Rocker brachten in der Pandemie Akustikalben und ähnliche Langweiler heraus. Bühnentier Sayce ließ seinen Frust an der Axt aus und veröffentlicht das Material erst jetzt. Bei den ersten vier Tracks kriegen wir nacheinander schon mal Griffbrettläufe und Texte mit „bitches“ oder „burning“ um die Ohren gehauen wie nichts Gutes. Auf Track fünf ›It’s Over Now‹, klar, endet eine Beziehung. Es folgen Balladen, dann packt der Philip den Springteufel wieder aus und tributet sich an Hendrix die Finger blutig. Leider fehlt etwas der rote Faden, die Krux bei Gitarristen-Solowerken ist halt leider, dass die Storyline oft fehlt und alles eher wie eine Leistungsschau oder ein Studiomusiker-Bewerbungsschreiben anmutet. Vor dem letzten Stück fiel ihm auf, dass er ja noch keinen Blues hatte. Dass der ausgerechnet ›This Is Hip‹ heißt, zeugt von Humor. Zweifelsfrei hervorragendes E-Gitarrenhandwerk, die Platte ist vielschichtig, oft etwas forscher, eine spezifische DNA kann ich aber nicht erkennen. Immerhin: Eine KI würde an der Aufgabe „Mache mir ein neues Philip Sayce Album“ gnadenlos scheitern.
6 von 10 Punkten
Philip Sayce
THE WOLVES ARE COMING
FORTY BELOW/BERTUS