Nick Mason ist der Star des Abends. Er ist der Drummer der Progressive-Rock-Pioniere Pink Floyd und das einzige Mitglied, das auf allen LPs der 1965 gegründeten Legende zu hören ist. Bis heute hat seine Band über 250 Millionen Alben verkauft und zählt damit zu den Top 10 der Musikhistorie.
Ort des Geschehens an diesem lauen Septembertag ist die Zentrale der deutschen Dependance von Warner Music, der aktuellen Plattenfirma von Pink Floyd. Anlass ist die Vorstellung von THE EARLY YEARS 1965-1972, eines mit 27 Discs (zehn CDs, neun DVDs und acht Blu-rays), passend zu den früheren Bühnenshows des Quartetts gigantomanisch anmutenden Box-Sets, das die frühen, vielleicht spannendsten Jahre dieser einmaligen Gruppe opulent zusammenfasst. Die Lounge des in der Hamburger Speicherstadt gelegenen Gebäudes ist gefüllt mit etwa 50 Journalisten und Vertretern der europäischen Musikindustrie. Fokus der Aufmerksamkeit ist eine große Leinwand, auf der weltweit erstmals Ausschnitte des umfangreichen Video-Segments der Veröffentlichung gezeigt werden. Die Anwesenden schauen gebannt auf die auch ein halbes Jahrhundert später noch immer faszinierenden Bilder der damals blutjungen Engländer und ihrer ersten TV-Auftritte, auf frühe Konzerte und Interviews.
Mittendrin sitzt Mason, von dem noch kaum jemand Notiz genommen hat. Der 72-Jährige steckt in einem weißen Hemd, das er in seine locker sitzenden Bluejeans gestopft hat. Wenn er sich unbeobachtet wähnt, vergräbt er bei Ansicht einiger alter Fotografien seines jüngeren Ichs gelegentlich etwas verschämt das Gesicht in den Händen. Dann muss er aber doch wieder in sich hineinlächeln. Der einzige Anflug von Extravaganz seines ansonsten sympathisch bescheidenen Auftretens findet sich an den Füßen: Mason, ein lebenslanger Motorsport-Enthusiast, trägt leicht abgewetzte, silberfarbige Rennfahrer-Schuhe. Im Anschluss an die Vorführung schlurft er auf die Bühne, nimmt mit glaubhaft abwiegelnder Geste den Applaus der Anwesenden entgegen und beantwortet kurz ein paar Fragen. Wie schon zu Hochzeiten der Gruppe, scheint ihm die Bewunderung seiner Person und dessen, was er (mit)geschaffen hat, etwas unangenehm zu sein. Es wirkt, als würde er viel lieber hinter seinem Schlagzeug verschwinden und andere – Roger Waters oder David Gilmour vielleicht? – im Rampenlicht stehen lassen. Doch die sind nicht anwesend.
Wenig später, im direkten Gespräch mit CLASSIC ROCK, wird dann auch klar warum: Gilmour und Waters waren zwar beide in die Arbeiten am Box-Set eingebunden und haben immer wieder Input gegeben. Mason war – ähnlich wie schon beim 2014 veröffentlichten THE ENDLESS RIVER, dem wohl nahezu sicher letzten Studioalbum von Pink Floyd – allerdings klar die treibende Kraft bei der Fertigstellung: „Es ist gut zehn Jahre her, dass ich damit begann, mir Gedanken darüber zu machen, wie wir die von mir von Beginn der Band an in meinem Haus gelagerten und archivierten alten Aufnahmen verwerten könnten. Ich wurde immer wieder von Journalisten, aber noch mehr von Fans auf diese Artefakte angesprochen. Deshalb wusste ich, dass eine Nachfrage besteht.“
Der Plan war von Anfang an, einen Mix aus Audio- und Video-Dokumenten zu produzieren. „Zunächst befürchtete ich, dass wir gar nicht genügend Bildmaterial aus den ganz frühen Tagen zusammenbekommen würden“, gesteht Mason. Deshalb kümmerte er sich erst einmal um die Sichtung der Audio-Bänder, die, für ihr Alter, in einem erstaunlichen guten Zustand waren: „Nahezu alles war noch absolut perfekt in Schuss“, freut sich der Brite. „Von unseren allerersten Demo-Aufnahmen mit Rado Klose an der Gitarre über Mitschnitte unserer frühen Radio-Sessions und Auslands-Auftritte bis hin zu den Outtakes der Sessions zu A SAUCERFUL OF SECRETS sowie den Arbeiten am Soundtrack des Antonioni-Films ‚Zabriskie Point‘. Nichts davon musste restauriert werden. Die im Laufe der Zeit korrodierenden und zerfallenden Tonbänder, von denen man immer wieder hört, kamen offenbar erst später in den 70ern auf den Markt.“