Die Dialektik der 70er
Über die Geschichte schreiben, heißt nicht, einfach zu beschreiben, wie es denn wirklich war. Heißt nicht, man solle nur die Fakten aufzählen. Vielmehr bedeutet es, die (kausalen) Zusammenhänge zu erkennen, um so die Ereignisse in die richtige Umgebung einordnen zu können. So in etwa sagt es Walter Benjamin in seinen Thesen zum Begriff der Geschichte. Von einem solchen benjaminschen Geschichtsverständnis ausgehend, beschreibt auch Jens Balzer die 70er Jahre oder „das entfesselte Jahrzehnt“, wie er es nennt. Er erzählt nicht einfach nur, was da war. Stattdessen setzt er alle Geschehnisse miteinander in Beziehung. Immer wieder greift er in der Geschichte vor, um später wieder in ihr zurückzugehen. Im Großen ist seine Beschreibung chronologisch, im Kleinen aber knüpft er kluge Verbindungen, die nicht einfach so erfunden sind. Vielmehr gibt es sie wirklich, man muss nur genau hinsehen, aktiv denken. Der Untertitel des Buchs lautet „Sound und Geist der 70er“, und eben den Geist machen diese Verbindungen aus. Der Sound steht für die Ereignisse, der Geist besteht dazwischen. Er existiert in der Dialektik der 70er, im Kampf: These gegen Antithese. Einerseits war es ein „Jahrzehnt der Individuierung“, andererseits herrschte eine „Sehnsucht nach neuen Gemeinschaften“.
9/10
Text: Vincent Numberger
Das entfesselte Jahrzehnt: Sound und Geist der 70er
VON JENS BALZER
Rowohlt Berlin