Du hast kein Publikum, sondern eine Community.
Menschen, die Follower einer Band sind, geben ihr nicht nur Geld. Sie liefern auch wertvolle Daten, Unterstützung in den sozialen Netzwerken, Mundpropaganda und mehr.
In der Rockmusik drehte sich einst alles um das Aufbauen einer Fanbase. 2014 dreht sich alles um die „Community“. Ein Mann, der eben solche aus Live-Events aufbaut, ist John Davis, Veranstalter des „Hammerfest“ und der „Hard Rock Hell“-Events sowie Vorstand von Off Yer Rocka Recordings, einem Label/Management/Vertrieb, der z.B. die Quireboys vertritt. „In den letzten Jahren war ich sowohl e-commerce als auch c-commerce. Das ‚c‘ steht dafür, aus Social Networking eine Community zu erschaffen. Man muss sich heute überlegen, wie man den Markt erreicht. Der Schüssel zur Zukunft ist es, diesen Markt zu verstehen, Daten über Leute zu sammeln, die diese Leute selbst generiert haben. Und dann gibt es da noch die Gamifizierung…“ Aha, Gamifizierung. Das Marketing-Zauberwort der Stunde. Dabei geht es darum, dass Marketing-Leute Strategien aus dem Videospielbereich anwenden, um das Publikum zu erreichen – also dafür sorgen, dass etwas Spaß macht, man den Wettbewerbstrieb anspricht und Menschen die Befriedigung gibt, Teil eines Teams zu sein.
„Die meisten Plattenlabels werden sagen, dass sie 80 % physisch und 20 % digital sind“, fährt Davis fort. „Ich bin 80 % digital, 20 % physisch. Mit Off Yer Rocka Recordings wollte ich alles in die Firma holen und genug Software aufbauen, um in 142 Ländern aktiv sein zu können. “ Das heißt aber nicht, dass die Zukunft digital ist. „Wer hat gesagt, Vinyl sei tot? Wer hat gesagt, CDs seien tot? Dieser Split aus 80 % digital und 20 % physisch kann sich so verändern, wie die Leute es wollen. Wenn sie mehr Vinyl oder CDs wollen, können wir sie ihnen geben. Wir müssen als Kollektiv die Stars der Zukunft finden. Es bringt nichts, wenn Zeitschriften oder Radiosender das alleine tun, das muss mit vereinten Kräften geschehen. Ist das möglich? Der Prozess hat schon begonnen.“
Bandcamp: Hoch lebe die Mikro-Bewegung!
Genres wie Dungeon Synth oder Shitgaze findet man nicht mehr im Plattenladen, sondern bei Bandcamp. Vielleicht nimmt die Seite deshalb mehr als zwei Millionen Dollar pro Monat ein – die zum größten Teil an die Künstler gehen.
Trotz des etwas albernen Namens ist Bandcamp zu einem der wichtigsten Rettungsanker für unabhängige Künstler im Netz geworden. Bandcamp wurde 2007 kurz nach der Implosion von MySpace gegründet und gibt ihnen eine kostenlose Mini-Website, um ihre Musik zu präsentieren und zu verkaufen. Tracks werden umsonst gestreamt, und man kann sie entweder zum kostenlosen Download anbieten oder jede beliebige Summe dafür verlangen, wovon das Unternehmen faire 15 % Anteil erhält. Wichtiger ist vielleicht, dass die Bands auch eine kostenlose Merch-Seite erhalten, über die sie das physische Produkt vertreiben können. Die Kassetten-Kultur, die in den 80ern ihre Blütezeit erlebte, ist auf Bandcamp beeindruckend wiederauferstanden. Vinyl, CDs, T-Shirts, Poster und so ziemlich jeder andere musikalische Artikel, den man sich nur vorstellen kann, geht dort über den virtuellen Ladentisch. Zusammen mit den digitalen Downloads nimmt Bandcamp so über zwei Millionen Dollar pro Monat ein, und der Löwenanteil dieser Summe fließt in die Taschen der Leute, die die Musik erschaffen haben.
Der größte Vorteil von Bandcamp ist dabei die Vielfalt des Angebots. Die Künstler können ihre Musik durch selbstgewählte Schlüsselbegriffe definieren und kreieren so ein riesiges Universum von Sub-Sub-Subgenres. Wer mal einen Nachmittag in den dunkelsten Ecken der Website verbringt, wird zum Experten in florierenden Mikro-Bewegungen wie Anarchist Black Metal (Krawwl, Redneck Warmachine), Grave Rave (Gate Keeper, Troller, Night Sinds) und Dungeon Synth (Golden Axe, Forgotten Times, Satanic Ceremony). Wahrhaftig die seltsamste Party, die man im Internet nur finden kann.
Eine der größten Bandcamp-Erfolge ist der Occult-Rock-Boom, eine düstere Kabale globaler Doom-Rocker mit einer riesigen Armee vinylhungriger Fans. Bands wie Purson, Blood Ceremony und Ghost haben zwar die Grenze zum Mainstream durchbrochen, doch der Occult Rock bleibt eine boomende Underground-Szene, die von Bandcamp befeuert wird.
Bloody Hammers aus North Carolina gehören zu den schillerndsten Stars der Website. Wie Frontmann Anders Manga erklärt, war die Reaktion auf das Posten ihres 2012er-Debütalbums schell und eindeutig: „SoulSeller Records, das Label, das die Platte letztlich auf Vinyl und CD veröffentlichte, entdeckte Bloody Hammers auf Bandcamp nur 24 Stunden, nachdem ich damit online gegangen war. Eine Woche darauf hatten wir einen Vertrag in der Tasche.“
Der Gratis-Stream des „evil hard rock“, wie die Band ihre Musik bezeichnet, lockte die Fans immer wieder zurück, und als die physischen Alben endlich kamen, waren sie schnell vergriffen. Im Oktober letzten Jahres wiederholte sich die Geschichte mit dem Nachfolger SPIRITUAL RELICS: „Beide LPs waren innerhalb von einer Woche ausverkauft“, so Anders. „Und dafür sind wir definitiv dankbar.“
Es weiß wohl niemand genau, wie die Zukunft der Musikindustrie aussehen wird, doch echte Rockfans werden auch weiterhin nach aufregenden neuen Klängen und einem phyischen Produkt verlangen, das sie halten, sammeln, besitzen und verehren können. Bandcamp kann diese Nachfrage befriedigen und erlaubt das Streamen in Echtzeit. Und wo sonst findet man die neuesten Seapunk-, Shitgaze- oder Witch-House-Platten?