Als David Bowie am Valentinstag 1973 in New York ankam, um in der Radio City Music Hall zu spielen, war Amors dünner Pfeil schon in Bewegung…
Text: Richard Purden
Am zweiten Abend einer mehrtägigen Schicht traf er auf Ava Cherry – das 17- jährige Mädchen aus Chicago mit der wasserstoffblonden Kurzhaarfrisur, die bald seine Background-Sängerin werden sollte. Ihren ersten Gig hatte sie schließlich beim letzten Auftritt von Ziggy Stardust bei der „The 1980s Floor Show“, die im Oktober desselben Jahres im Londoner Marquee-Club aufgenommen wurde. „Als ich David traf, war er berüchtigt, aber nicht berühmt“, sagt sie. „Ich wusste, wer er war. Ich half damals bei der Organisation einer Party in einem Club namens Genesis. All die ganz Großen waren dort: Stevie (Wonder), Aretha (Franklin) und Gladys (Knight). David betrat die Party in einem umwerfenden Anzug und mit seinem hellroten Haar. Er meinte: „Ich heiße David. Ich liebe deine Frisur, das ist sehr rebellisch.“ Ich sagte damals: „Ja, so wie du.“ So begann eine Affäre, die schon bald das Feuer von Bowies kreativem Hunger anfachen sollte.
Als die Pläne, Cherry als Sängerin für eine Japantour einzustellen, ins Schwanken gerieten, beschloss sie, persönlich nach ihm zu suchen. „Ich folgte ihm nach Europa, wo er mich in einem Hotel unterbrachte. Dann wohnte ich circa zwei Monate lang in seinem Haus in der Oakley Street in Lonon. Angie (Bowie) rastete aus, aber es war ihr Einfall – sie meinte, ich solle einfach im Haus bleiben.“ Cherry war in einer von der Arbeiterklasse geprägten Gegend im Süden Chicagos aufgewachsen und lieferte Bowie eine authentische Verbindung zum Leben, der Sprache, der Mode und Kultur der Schwarzen. „In London hatten wir bereits darüber gesprochen, eine Soulband zu gründen, schon lange bevor Carlos (Alomar, Gitarrist) involviert war. Er redete davon, eine Soul-Platte aufzunehmen, die denen seiner großen Vorbilder wie Aretha Franklin ähnelte. Ich zeigte ihm ein Bild von meinem Vater. Er hatte in den 40er-Jahren Trompete gespielt, seine Gruppe begleitete Count Basie. David fragte: Oh mein Gott, dieser Anzug. Hast du den noch?
Ich lieh ihn von meinem Vater und David ließ das Stück von Freddie Burretti (dem Designer, der die Eleganz von Ziggys Kleidung verantwortete) anpassen. Dann war er „The Gouster“. Der Begriff kommt aus Chicago und beschreibt schwarze Männer, die langsame Tänze mit den Damen vollführen. Sie trugen Anzüge mit wattierten Schultern, Baggy-Hosen und kleine Jäckchen.“ Cherry arbeitete weiter als Backgroundsängerin und nahm in den Sigma Sound Studios in Philadelphia auf, während Bowie mit DIAMOND DOGS quer durch die Staaten tourte. „David umgab sich nur mit den besten Leuten. Luther Vandross (Background-Gesang) würzte den Sound ziemlich geschmackvoll. David Sanborn (Saxophon) war auch einer der Superstars zu der Zeit, er spielte wie der Teufel.“
YOUNG AMERICANS war der Schlüsselmoment seines Durchbruchs und enthielt mit ›Fame‹ Bowies ersten Nummer-1-Hit. Der Song war eine späte Ergänzung und entstand während einer Session mit John Lennon im Electric Lady Studio, welche die gesamte Richtung des Albums verändern sollte. Er wurde von Lennon und Carlos Alomar mitgeschrieben und war das Ergebnis eines gescheiterten Versuches, ›Foot Stompin’‹ von The Flare zu covern. Bowie rettete etwas von Alomars Riff, fügte mehr Gitarre und eine Melodie hinzu, während Lennon akustisch dazu spielte. Bowie gab später zu, dass der Song ein „wütender“ Track war und er nicht damit gerechnet habe, dass daraus ein Hit würde. „Es ging ja um den ganzen Scheiß, der im Business ablief“, erzählt Cherry. „Sein Manager Tony Defries hatte David am Anfang gut getan, aber später gerieten die beiden aneinander. Der hohe Background-Gesang am Schluss kommt von mir, David und John.“
Eine der größten Inspirationen für YOUNG AMERICANS war Aretha Franklin. Ihr Einfluss auf Bowie wird deutlich in der BBC-Dokumentation „Cracked Actor“, die den Künstler zeigt, wie er vor der Grammy-Verleihung auf dem Rücksitz einer Limousine total auf Koks zu ›Natural Woman‹ mitsingt. Auch James Browns LIVE AT THE APOLLO hat seine Spuren hinterlassen. Es schien, dass der Einfluss jedoch langsam wechselwirkend wurde. „James Brown bestand darauf, dass das Riff von ›Fame‹ von ihm stammte“, erzählt Cherry. Am Ende des Jahres würde Brown mit seiner Single ›Hot (I Need To Be Loved, Loved, Loved, Loved)‹ einen Abklatsch davon aufnehmen. Bowie enthüllte einmal, dass er die nachfolgende Single ›Golden Years‹ für Elvis Presley geschrieben hatte. Der Song hatte eine ähnlich funkige Ader wie seine vorhergehende Arbeit, gab jedoch bereits einen kleinen Einblick in die eingeschlagene Richtung des nächsten Albums STATION TO STATION preis. Das Riff war von Earl Slick. „Für diesen Einfall muss ich Eric Clapton danken“, gibt der Gitarrist zu. „Creams ›Outside Woman Blues‹ lieferte die Initialzündung, zusammen mit ein wenig ›Funky Broadway‹ von Wilson Pickett. Carlos Alomar, der dem Track den letzten Schliff verlieh, verwies Bowie darauf, dass er bereits einige Takte auf dem Klavier gespielt hatte, die ihn an den Klassiker ›On Broadway‹ von The Drifters erinnerten, einen Song, den Bowie während der Tour zu DIAMOND DOGS gespielt hatte.
Deswegen wollte er ihn davon abbringen, zweimal einen ähnlichen Klavierpart zu nutzen. Für die Texte schöpfte Bowie aus seinem jüngsten Beziehungsende mit Cherry: „Sobald ich den Song hörte, wusste ich, dass er von mir handelte“, meinte Cherry. „Ich war nicht mehr mit David zusammen, bevor er nach Berlin ging. Er hatte einige schwerwiegende finanzielle Probleme und war ziemlich stark auf Drogen. Ich fühlte mich so kaputt von der ganzen Erfahrung. Ich wusste nicht, wie ich das alles auf die Reihe kriegen sollte und das war dann wirklich das Ende unserer Beziehung. Als ich ›Golden Years‹ zum ersten Mal hörte, stand ich gerade in einem Supermarkt und bekam davon einen Zusammenbruch. Ich hatte gerade Probleme damit, meine eigene Karriere voranzutreiben. David war in ein Projekt involviert gewesen, das sich leider als echter Ladenhüter entpuppte. Es schien seine Art und Weise, mir zu sagen: Verliere deinen Glauben nicht und mach weiter, auch wenn wir nicht mehr zusammen sind. Er war ein Wesen, das immer in Bewegung bleiben musste, von Erfahrung zu Erfahrung. Meine Zeit mit ihm war wunderschön und einzigartig. Ich war schlichtweg blind vor Liebe und völlig verloren in seiner Ausstrahlung.“