Die Runaways veröffentlichten vier Studioalben und einen Live-Mitschnitt, tourten in Europa und wurden von Motörhead „adoptiert“. Sie feierten mit Robert Plant, tourten mit den Ramones und waren als Vorgruppe mit Tom Petty unterwegs. Und doch kannte man sie mehr, weil sie fünf kätzchenhafte Teenager waren, als für ihre Fähigkeiten als Musikerinnen. In den USA verkauften sich die Platten nicht sehr gut, in Japan dagegen waren sie so groß wie die Beatles. Dort wurden sie von Mädchen mit Haarbürsten gejagt, die hofften, ein paar Strähnen ihrer glänzenden Haare zu ergattern.
Am Silvesterabend 1978 lösten sich die Runaways auf. „Wir standen auf verschiedene Arten von Musik und es machte einfach keinen Spaß mehr“, erklärt Jett. „Ich hing mit Sid Vicious in London ab – wir sollten eine Platte zusammen machen, aber dazu kam es nie – und die anderen trafen sich mit Thin Lizzy. Unsere Interessen waren komplett gegensätzlich. Es war einfach offensichtlich, dass ich auf Punkrock stand und die anderen nicht.“
Jett ließ sich vom Ende der Runaways nicht aus der Bahn werfen, auch wenn sie ziemlich exzessiv feierte und trank. „Ich war in einer ziemlich üblen Verfassung“, erzählte sie 2013 in einem Interview mit Nic Harcourt. Doch sie zog sich aus diesem potenziellen Sumpf heraus und plante ihren nächsten Schritt. Sie engagierte ihren frühen Wohltäter Toby Mamis – der auch schon einer der Manager der letzten Inkarnation der Runaways gewesen war – als De-facto-Manager, und zusammen holten sie die einstigen Sex Pistols Paul Cook und Steve Jones ins Boot, um ein Demo zu produzieren und darauf zu spielen. Eine dieser Aufnahmen war ein Song von den britischen Glam-Mitläufern The Arrows, eine B-Seite namens ›I Love Rock’n’Roll‹, die Jett in Großbritannien im Fernsehen gesehen und gehört hatte.
Jett kehrte nach Hause zurück, um Songs für einen Film basierend auf der Geschichte der Runaways fertigzustellen. Doch als es ihr nicht gelang, in sechs Tagen acht Lieder zu schreiben, bat Mamis Kenny Laguna, einen Songwriter, Produzenten und Musiker, mit ihr zusammenzuarbeiten. Laguna war skeptisch, aber seine Frau Meryl reizte Jetts Potenzial. Laguna sagte also doch zu und versprach Jett, ihr einen Plattenvertrag zu verschaffen.
„Ich hatte keine Ahnung, wie schwer es war, einen Vertrag für eine Frau mit einer Gitarre an Land zu ziehen“, erinnert er sich. „Ein Boss bei Atlantic Records sagte: ‚Joan sollte aufhören, sich hinter der Gitarre zu verstecken, da rausgehen und rocken wie Pat Benatar‘.“ Doch das stand nicht zur Debatte. Wenn überhaupt brachte Jett später Benatar dazu, Dinge zu überdenken. „Joan Jett ließ mich wie Marie Osmond aussehen“, sagte sie. „Sie war so knallhart.“
Jett zog zu Laguna in Long Beach und wohnte dort im Gästezimmer. Sechs Monate später war er zu ihrem Manager geworden und verfrachtete seine Familie nach London, wo Jetts erstes Album eingespielt wurde. Dieses selbstbetitelte Debüt entstand noch, bevor sie The Blackhearts formierte, und erschien im Mai 1980 auf Ariola in Europa. Kein US-Label zeigte Interesse – ganze 23 lehnten ab. Doch Laguna und Jett ließen sich davon nicht entmutigen, gründeten ihr eigenes Label Blackheart Records und veröffentlichten es selbst in den USA. Jett wurde so zu einer der ersten Frauen überhaupt, die ihre eigene Plattenfirma besaßen. Der Großteil ihrer Verkäufe kam aus dem Kofferraum von Lagunas Cadillac nach den Konzerten.
Doch die Nachfrage nach der LP wuchs und Blackheart Records konnte bald nicht mehr schnell genug liefern. In einer Wendung aus langer Zusammenarbeit und wohlwollendem Schicksal gab Neil Bogart, der im vorigen Jahrzehnt den Erfolg von Kiss bei Casablanca Records begleitet hatte, Jett eine Chance und veröffentlichte ihr Album 1981 erneut auf seinem eigenen Label Boardwalk Records. Aber zuerst bestand er darauf, dass sie es in BAD REPUTATION umbenannte, so wie der Hit, der zu ihrem zweitbekanntesten Song werden würde, dank eines zweiten Lebens als Titelmelodie der Serie „Voll daneben, voll im Leben“.
Jetzt brauchte sie nur noch eine Band. In ihrer Anzeige in „L.A. Weekly“ stand: „Joan Jett will drei gute Männer. Angeber brauchen sich nicht die Mühe machen.“ Mithilfe von John Doe von X, der Bass spielte und als Entscheidungshilfe bei den Neueinstellungen fungierte, fanden sie Bassist Gary Ryan, der unlängst auf Does Couch gepennt hatte, Gitarrist Eric Ambel und Schlagzeuger Lee Crystal.
Jett und die Blackhearts tourten unablässig und spielten zwischen den Konzerten die Songs für I LOVE ROCK’N’ROLL ein. Als sie wieder in London waren, nahm Laguna das Titelstück noch mal in den Ramport Studios von The Who auf. Als es als Single veröffentlicht wurde, erreichte es im April 1982 Platz 4 in Großbritannien und sogar Platz 1 in den USA – wo es sieben Wochen blieb. Es wurde zu einem Klassiker in Jukeboxes, bei Cover-Bands und beim Karaoke – etwas, das Jett auf das Einschreiten von Elvis Presley zurückführt.
„In der Woche, nachdem ›I Love Rock’n’Roll‹ erschienen war, waren wir auf Tour und machten Halt in Memphis. Natürlich beschlossen wir, Graceland zu besuchen und Elvis die Ehre zu erweisen. Wir fuhren zu seinem Grab, und da ich immer Plektren bei mir habe, legte ich eines auf seinen Grabstein. Als wir wieder in den Van stiegen, sprang er nicht an. Elvis’ Tante kam heraus, hatte Mitleid mit uns und nahm mich ins Haus mit. Sie sagte immer wieder, wie sehr ich Elvis ähnle – das fühlte sich damals sehr bedeutsam an. In der nächsten Woche bekamen wir dann die Anrufe, dass ›I Love Rock’n’Roll‹ zum Hit werden würde. Ich dachte immer, dass Elvis vielleicht etwas damit zu tun hatte.“
Dem Superhit folgte dann ›Crimson And Clover‹ in die Charts, eine psychedelische Interpretation des Klassikers von Tommy James And The Shondells, doch es war das ununterbrochene Touren – manchmal bis zu 250 Konzerte in einem Jahr –, das sie ihr Handwerk perfektionieren ließ. Schon früh fand sie ihr angestammtes Territorium in jener Grauzone zwischen Glitter und Punk und machte sich nie Sorgen, als die Trends im Rock sich von Punk zu Hair Metal zu Grunge zu Britpop zu EDM und wieder zurück entwickelten. Sie spielte einfach immer ihren reduzierten Rock’n’Roll mit explosiven Refrains, trashigen Glam-Elementen und treibenden Rhythmen. Die Themen, über die sie nun in ihrem fünften Jahrzehnt schreibt, haben sich aber sehr wohl verändert. „Ich weiß, dass ich nicht mehr bei den Runaways bin. Ich schreibe nicht mehr Songs wie mit 21, und das will ich auch gar nicht mehr. Dafür habe ich viel zu viel zu sagen.“
Ihr jüngstes Album UNVARNISHED von 2013 zeigte eine Verletzlichkeit und emotionale Zerbrechlichkeit, die sie nie zuvor auf Platte offenbart hatte. „Ich musste einfach ausdrücken, was ich fühlte, was wir als Songwriter wohl immer tun. Diese Phase nannte ich die Dekade des Todes, weil Menschen, die mir nahestanden, zu sterben begannen. Egal wie alt man ist, man denkt, man sei 20, und dann passiert etwas in deinem Leben. Für mich war das der Tod meiner Eltern, und ich musste mit den Auswirkungen davon fertigwerden. Es war ein Schock, zu begreifen, dass ich Verantwortung übernehmen musste. Ich will damit nicht sagen, dass man all seine Verspieltheit verliert, aber es war definitiv ein Weckruf.“
In den letzten Jahren ist sie auf persönlicher wie beruflicher Ebene neue Risiken eingegangen, war als Executive Producer an dem Biopic „The Runaways“ beteiligt, produzierte den Film „Unbeatable Joe“ (in dem sie auch mitspielte) und übernahm eine Rolle in der Filmadaption von Stephen Kings Novelle „Big Driver“ mit Maria Bello und Olympia Dukakis. Sie war in „Criminal Intent“, der „Muppet Show“ und „Walker, Texas Ranger“ zu sehen, machte nach einem Besuch auf einer US-Armeebasis einen Fallschirmsprung, um die Soldaten in Übersee zu unterhalten. Sie fuhr nach Indien auf ihrer eigenen spirituellen Entdeckungsreise, nachdem sie „Gespräche mit Gott“ gelesen hatte, arbeitet unermüdlich für die Tierschutzorganisation PETA und setzt sich für Abtreibungsrechte ein.
Obwohl sie selber nie ein Thema daraus gemacht hat, hat sie über die Jahre unzählige Mädchen dazu inspiriert, Bands zu gründen, und jeden Tag, wenn sie in der kleinen Küstenstadt, in der sie heute lebt, auf dem Bürgersteig Fahrrad fährt oder spazieren geht, kommen Menschen auf sie zu und sagen ihr, dass sie ihr Leben verändert hat.
„Das macht es alles wertvoll, zu wissen, dass die Leute es verstehen“, so Jett. „Ich habe schon von vielen Leuten erzählt bekommen, dass meine Musik ihnen das Leben gerettet habe. Das ist das größte Kompliment überhaupt. Diesen Fans bin ich es schuldig, mein Bestes zu geben. Ich sehne mich nach dieser Verbindung zum Publikum, um sie wissen zu lassen, dass wir alle gleich sind, mit Sehnsüchten, Ängsten, Herausforderungen, Schmerz, Lektionen, die wir lernen müssen. Nur der Weg unterscheidet uns. Aber gar nicht mal so sehr.“