Grunge – Definition
Die Erfindung des Begriffs „Grunge“ (deutsch: „Dreck“, „Schmuddel“) wird gemeinhin Mark Arm (Green River, Mudhoney) zugeschrieben. Er hatte 1981 in einem Brief an das Magazin „Desperate Times“ das Wort benutzt, um seine Band Mr. Epp And The Calculations zu charakterisieren. Bruce Pavitt (Mitinhaber des Labels SubPop) wiederum verwendete den Terminus häufig in den Jahren 1987-1988, um damit Green Rivers Sound zu beschreiben. In Australien war er allerdings bereits Mitte der Achtziger in Gebrauch – für Bands wie King Snake Roost, The Scientists, Salamander Jim oder Beasts Of Bourbon. Im Zuge des explodierenden Seattle-Booms sollte sich dann die Verwendung des Begriffs verändern: „Grunge“ wurde von nun an nicht mehr nur deskriptiv verwandt, um einen Sound zu beschreiben, sondern stand für ein musikalisches Genre..
Die Trittbrettfahrer
Die etablierten Achtziger-Rocker haben sich in den Neunzigern vom Grunge beeinflussen lassen – meist mit relativ geringem kommerziellen Erfolg. Im Nachhinein betrachtet sind einige Alben allerdings besser als ihr Ruf.
KISS: REVENGE (1992)
Mit neuem Schlagzeuger Eric Singer, Produzent Bob Ezrin und dem ehemaligen Gitarristen Vinnie Vincent als Co-Schreiber dreier Nummern hat REVENGE nicht viel mit dem Hochglanz-Hardrock des Vorgängers HOT IN THE SHADE (1989) gemein. Nummern wie der un- erbittliche Opener ›Unholy‹ zeigen Kiss von ihrer bislang bösesten, schwärzesten und härtesten Anti-Make-up-Seite.
Warrant: DOG EAT DOG (1992)
Die Poster-Schönlinge von Warrant kommen plötzlich ungehobelter und moderner daher: Der Opener ›Machine Gun‹ sowie das rasant-harte ›Inside Out‹ greifen die Aggression aus Seattle auf. Zugleich drückt Sänger Jani Lane dem Al- bum aber auch seinen „Alte-Helden-Stempel“ (Beatles, Eagles, Cheap Trick) auf. Entweder härter, experimenteller oder authentischer muss es sein – bloß nicht so klebrig und glatt wie zuvor.
Freak Of Nature: FREAK OF NATURE (1993)
Die Bon Jovi-Konkurrenten White Lion sind Geschichte, und ihr Ex-Sänger Mike Tramp trägt fortan Flanell. Seine neue Band Freak Of Nature bringt es allerdings auch nur auf zwei Alben. Davon fällt das 1994er-GATHERING OF FREAKS sogar noch düsterer und brummiger aus als dieses Debüt. Akustische Rühr-Stücke fürs Balladen-Radio wie ›When The Children Cry‹ werden aber auch hierauf nicht geboten.
Mötley crüe: MÖTLEY CRÜE (1994)
Mit The Screams John Corabi am Mikro packen Mötley Crüe die Keule aus. Von Stripclubs, Party-Mucke und Achtziger-Feuerwerk ist keine Spur mehr zu hören, stattdessen bekommen die Fans einen dreckigen, mit düsteren Riffs gespickten Batzen aus Grunge und Alternative Metal entgegengeschleudert. Das hat zwar mit den ursprünglichen Crüe kaum etwas gemein, ist aber musikalisch durchaus ernst zu nehmen.
Alice Cooper: LAST TEMPTATION (1994)
Der Schockrock-Urvater ist schon immer mit der Zeit gegangen – kein Wunder, dass er nun auch Seattle auf der Uhr hat. Für seinen revitalisierten Konzeptalben-Plan holt sich der coole Cooper mit Chris Cornell sogar einen Gastsänger der neuen Schule mit ins Boot (›Stolen Prayer‹, ›Unholy War‹). Der historische Schulterschluss von Grunge und Siebzigern ist sogar künstlerisch eines der besten Alice-Alben.
Bruce Dickinson: SKUNKWORKS (1996)
Grunge liegt 1996 zwar bereits in den allerletzten Zügen, bringt aber alte Heavy Metal-Helden wie Dickinson dennoch auf den Geschmack, es mal mit etwas Neuem zu versuchen. Für sein drittes Solo-Album sucht der Iron Maiden-Sänger die Zusammenarbeit mit Grunge-Gott und Produzent Jack Endino. Das Ergebnis klingt dann allerdings mehr nach knackigem Sci-Fi-Prog denn nach Seattle.
Die Leittragenden
Diese Rocker mussten Anfang der Neunziger einen herben Karriere-Rückschlag hinnehmen. Im Nachhinein zeigen sie sich dennoch versöhnlich.
Nancy Wilson (Heart):
Als der Achtziger-Sound sich in Rauch auflöste, krochen wir wie geprügelte Hunde zurück nach Seattle. Doch Leute wie Jerry Cantrell bauten uns wieder auf. Er sagte zu uns: „Ihr wart ein riesiger Einfluss auf unseren Sound!“ Das hat uns Mut gemacht, und so fingen wir wieder von ganz unten an. Und stellten fest, dass unsere Fangemeinde doch noch größer war, als wir vermutet hatten.
Kip Winger (Winger):
Grunge kam – und überrollte uns so schnell, dass wir nicht mal wegrennen konnten. Es gab viele Schrottbands zu dieser Zeit. Aber es sind auch einige wirklich hervorragende Künstler aus der Ära hervorgegangen. Chris Cornell zum Beispiel.
Terry Ilous (XYZ):
Für uns hatte der Boom dramatische Auswirkungen. Wir befanden uns gerade auf dem besten Weg, international durchzustarten. Dann kam Grunge, und irgend so ein Idiot bei unserem Label beschloss, dass es an der Zeit wäre, andere, neue Acts zu unterstützen. XYZ verloren ihren Deal – obwohl unser Debüt Gold-Status erreicht hatte. Wir waren am Boden zerstört. So ist das Musikgeschäft: Ein paar Yuppies bestimmen, wo es langgeht. Mit der Musik an sich hat das wenig zu tun. Daher erging es den Grungern schließlich genauso wie uns.
Geoff Tate (Queensryche):
Nicht einmal die Grunge-Bands selbst mochten den Begriff „Grunge“. Sie sind Rockacts – nicht mehr und nicht weniger. Wir sind immer von allen respektiert worden: Schließlich kommen wir aus derselben Stadt, und Pearl Jam, Alice In Chains oder Soundgarden haben alle schon mit uns die Bühne geteilt, meist sogar als Support-Bands. Ich bin außerdem mit Mike McCready und Jerry Cantrell befreundet.
Mark Slaughter (Slaughter):
Als Grunge aufkam, konnten alle anderen Bands einpacken. Sei es nun Achtziger-Rocker oder Metaller. Diese Zeiten sind nun jedoch vorbei, die Leute stehen wieder auf gutgelaunten Party-Sound – denn alle, die sich damals dem Grunge verschrieben hatten, machen nun entweder andere Musik oder leben nicht mehr.
Gene Simmons (Kiss):
Plötzlich gab es da ein paar Manisch-Depressive, die anfingen, Musik zu machen. Kurt Cobain war ein kranker Mensch, der zufällig eine Gitarre hatte und in einer Band war. Er schrieb Lieder, die die Menschen hören wollten, zweifellos wichtige Lieder, aber er war komplett durchgeknallt.