Er ist schon ein störrischer Bock, dieser Sturgill Simpson. Er mag es nicht, kategorisiert zu werden. In dem Moment, wo das passiert, macht er erst recht das Gegenteil dessen, was von ihm erwartet wird.
So konnte nur eins kommen, als spekuliert wurde, die Galionsfigur des Indie-Country habe mit SOUND & FURY (2019) dem Genre den Rücken gekehrt: CUTTIN‘ GRASS, des Meisters bis dato traditionellste Folk-Platte.
„Mein Großvater väterlicherseits war ein Bluegrass-Freak. Er hat mir diese Musik schon in den Hals gestopft, als ich 7 oder 8 und noch nicht dafür bereit war. Denn Bluegrass ist Kopfmusik. Es ist Hillbilly-Jazz.“ So erinnert sich Sturgill Simpson im Zoom-Gespräch mit US-Comedian Stephen Colbert. Dass ihn der Late-Night-Quotenkönig als Gast lädt, ist ein deutlicher Indikator für das Level, auf dem Simpson sich in den USA inzwischen bef indet. Es macht Colbert auch zu einem der wenigen, denen der Spätstarter aus Kentucky in diesen Tagen überhaupt noch eine Audienz gewährt. Simpson macht nämlich nur noch das, worauf er Lust hat.
Eine Position, die er sich verdiente. Die ersten Mehr-als-Achtungserfolge HIGH TOP MOUNTAIN (2013) und METAMODERN SOUNDS IN COUNTRY MUSIC (2014) veröffentlichte der ExMarinesoldat und Ex-Bahnarbeiter auf seinem eigenen Label. Aus dem folgenden Vertrag bei Warner hat er sich trotz des Grammy-Gewinns für A SAILOR‘S GUIDE TO EARTH (2016) wieder rausgewinden: Das teuer mit Netflix-Anime ausstaff ierte Southern Rock/Synthpop-Amalgam SOUND & FURY (2019) hat Simpson im Nachhinein zum cleveren Plan erklärt, den Bogen zu überspannen und wieder entlassen zu werden.
So oder so, genug ausverkaufte Tourneen bedeuten, dass die finanzielle Sicherheit eingetütet und das Eigen-Label reaktiviert ist, die Ranch im Nirgendwo fürs ungestörte Leben mit der Ehefrau und den drei Söhnen steht auch. Sturgill kann nun tun und lassen, was er will. Schauspielern zum Beispiel – er verkörperte den überaggressiven Streifenpolizisten im Erfolgsfilm „Queen & Slim“.
Oder ein pures Bluegrass-Album aufnehmen. Denn die Musik seiner Kindheit, sie packte ihn irgendwann doch noch. „Ich war Anfang 20, lebte in Seattle, war nach der Navy noch zielund planlos unterwegs. Ein alter Song der Monroe Brothers lief im Radio. Ich musste rechts ranfahren. Alle Gefühle brachen raus.
Es klang wie Heimat!“ Jahre seines widmete Simpson ganz dem Bluegrass. Der Plan, ein Album in dem Stil aufzunehmen, blieb immer im Hinterkopf. Nun hat er ihn verwirklicht. Die gefragtesten Könner des Genres wie Sierra Hull (Mandoline), Mike Bub (Stehbass), Stuart Duncan (Fiddle), Tim O‘Brien (Gitarre)
und Scott Vestal (Banjo) kamen dafür ins Studio „Butcher Shoppe“ – das sich im gleichen Komplex in Nashville bef indet, in dem Sturgill sich bis zu dessen Tod ein Büro mit seinem Mentor und engen Freund John Prine teilte. Mit dieser Band inszeniert Simpson er 20 Songs aus seiner Karriere – mit vortrefflichem
Ergebnis. Einziger Wermutstropfen: „Mehr als alles wünsche ich mir, mein Opa könnte diese Songs hören.“