Von wegen eingerostet
Montag, 04:30 Uhr. Der Wecker klingelt erbarmungslos, man hangelt sich halbgar aus dem Bett, klaubt im Halbschlaf Klamotten, Schuhe und Kaffee zusammen, geistert im Auto gen Flughafen München und steigt schließlich um 10:30 Uhr leicht vernebelt am Hauptbahnhof in Birmingham aus. It’s raining cats and dogs. Eine kleine Erfrischung, ein müder Blick in den Spiegel und eine Taxifahrt später sitzt man den Sheepdogs in deren schicken Nightliner in Strümpfen gegenüber (es herrscht eine strenge No-Shoe-Policy im Bus) und unterhält sich entspannt über Gott und die Welt, vor allem aber über den anstehenden Gig, der die UK-Tour der kanadischen Band zündet und in einer coolen Location in den Suburbs von Birmingham stattfinden wird. „Mal sehen, wie eingerostet wir sind. Das ist ja unsere erste Tour nach zwei Jahren Pandemiepause“, scherzen Bassist Ryan und Frontmann Ewan mit leicht angespanntem Blick auf die nun anwesende Journalistin, welche die Ereignisse des Abends in diesem Magazin niederschreiben wird. Da man die Band, die ihren Sound selbst simpel als „Goodtime Rock’n’Roll“ beschreibt, schon mehrmals live erleben durfte, macht man sich selbst jedoch absolut keine Sorgen um Unbeweglichkeitserscheinungen wie Rost oder knirschende Scharniere. Gegen 19:00 Uhr finden sich die ersten Menschen im The Castle and Falcon ein. Die musikalischen Einleitung des Abends heißt Andrew Cushin, der sich alleine mit Akustikgitarre die Seele aus dem Leib singt. Die Ansagen des Singer/Songwriters können nicht wiedergegeben werden, da der Newcastle-Akzent des Herren sogar den Einheimischen im Publikum Verständigungsprobleme bereitet.
Nach einer kurzen Umbaupause kommen endlich die Headliner des Abends auf die eher übersichtlich proportionierte Bühne und eröffnen ihr Set mit ›Rock And Roll (Ain’t No Simple Thing)‹, dem Titelstück ihrer jüngsten EP. Von da an können die Sheepdogs eigentlich nichts verkehrt machen. Die Retro-Herren in feinstem Zwirn pflügen durch ihren großartigen Katalog und werden trotz tänzerischer Zurückhaltung des Publikums nach jedem abgeschlossenen Song mit Applaus überhäuft. Vor allem bei den Hits ›I’ve Got A Hole Where My Heart Should Be‹, ›Nobody‹, ›Feeling Good‹ und ›I Don’t Know‹ ist die Freude bei den Zuschauer*innen groß, das Solo-Battle zwischen Frontmann Ewan, Gitarrist Jimmy Bowskill und Organist (und auch Posaunist) Shamus im Zwischenteil von ›Bad Lieutenant‹ wogt durch den eigenen Körper wie warmer Kakao. Eine ähnliche Wirkung erzielen die wundervollen Twin-Gitarren-Parts, genauso wie die teilweise vierstimmigen Gesangsmelodien, die die Liveperformance dieser Truppe auf ein anderes Level heben. Auch zwei brandneue und niemals zuvor live gespielte Songs bringen die kanadischen Zuckerstücke in Form der aktuellen Single ›Find The Truth‹ und dem funky ›Scarborough Street Fight‹ mit.
Die Wirkung der Tracks soll so schon einmal angetestet werden und was kann man sagen? Natürlich funktionieren auch diese Singles, weil sie sich in dem für die Band typischen Netz aus Classic-, Roots- und Southern Rock und Soul-Attitüde wunderbar entfalten, zu 100 % nach Sheepdogs klingen und die Seele tanzen lassen. Binnen eineinhalb Stunden schafft es diese Truppe, zwei Jahre Pandemie-Pein und die akute Angst vor einer Kriegseskalation zumindest kurzzeitig zu eliminieren und ausschließlich positive Schwingungen auszusenden. Zwei Tage später schrieb Frontmann Ewan noch eine kurze Nachricht: „Ich wünschte, du wärst gestern in Leeds dabei gewesen. Es war wirklich gut. Vielleicht waren wir am Montag doch noch etwas rostig.“ Wenn das rostig war, liebe Sheepdogs, dann ist unrostig wahrscheinlich gar nicht auszuhalten mit nur einem Menschenherz.