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Letzteres wird zuerst veröffentlicht und er darf zum ersten Mal in seinem Leben nach Amerika reisen, um das Werk zu bewerben. THE MAN WHO SOLD THE WORLD ist stilistisch und qualitativ ein Quantensprung. Ronsons dunkel-bedrohlich fauchende Gitarre und Bowies flirrendes Tremolo ergänzen sich perfekt, Viscontis nihilistische Produktion verbannt jeden Rest von Hippie-Glückseligkeit. Ein lupenreines, ziemlich düsteres Rockalbum, mit dem Bowie gemeinsam mit dem Kern der späteren Spiders From Mars den Glam-Rock vorwegnimmt – und das nicht nur, weil er auf dem kontrovers diskutierten Cover ein Kleid trägt. Vor allem aber legt das Werk eindrucksvoll Zeugnis ab von Bowies Reifeprozess als Sänger und Songschreiber. Der später in der Nirvana-Version zu Weltruhm gelangte Titelsong, ›The Width Of A Circle‹, ›Black Country Rock‹ oder ›All The Madmen‹ hieven ihn endgültig auf ein komplett anderes künstlerisches Level.
In den USA wird das Album 1970 mit alternativem Cover veröffentlicht, in Großbritannien ein halbes Jahr später. Zwar bleiben die Verkäufe abermals hinter den Erwartungen zurück, aber es gibt erstmals hervorragende Kritiken und mehr Aufmerksamkeit als je zuvor.
Dennoch ist THE MAN WHO… lediglich eine Ahnung dessen, was noch kommen sollte. 1971 arbeitet Bowie weiter unablässig mit Ronson, Visconti sowie den künftigen Spiders Trevor Bolder und Mick Woodmansey in seiner Wohnung Haddon Hall an neuen Songs. So entstehen nicht nur große Teile der kommenden Alben, sondern auch die Idee für seine bis heute bekannteste Inkarnation, die ihm schließlich den weltweiten Durchbruch bringen sollte: Ziggy Stardust.
Mick Jagger und Lou Reed hatten es vorgemacht, nun folgten zahlreiche andere. Aufstrebende britische Musiker wie Elton John, Gary Glitter und Bowies alter Freund Mark Bolan weichen Anfang der Siebziger zunehmend die Geschlechtergrenzen auf, tragen Schminke und wallende Gewänder. Zudem blühen im Nachhall der Apollo-Missionen Science Fiction und abstruse Verschwörungstheorien auf, in denen Außerirdische eine prominente Rolle spielen. All diese Einflüsse mischt Bowie mit Beobachtungen von seiner New-York-Reise, auf der er unter anderem Andy Warhol, Iggy Pop und Lou Reed kennengelernt hatte. Hinzu kommen Elemente seiner alten Theater-, Drama- und Musichall-Faszination, eine gehörige Portion Kitsch und die Erfahrungen aus der mit Angie erprobten sexuellen Doppeldeutigkeit. Bowie nimmt Tanz- und Schauspielunterricht bei Lindsay Kemp, treibt Sport und bucht professionelle Gesangsstunden. Aus all diesen Einflüssen destilliert er schließlich die Kunstfigur Ziggy Stardust samt entsprechender Vita. Ein schillernder außerirdischer Freak in hautengen Latexanzügen ohne eindeutige sexuelle Identität, geschminkt, in knallroten Plateauschuhen und mit grellorange gefärbten Haaren, kongenial in Szene gesetzt von Fotograf Mick Rock.
Hier hat übrigens ein in späteren Jahren immer wieder geäußertes Vorurteil seinen Ursprung, nach dem Bowie keineswegs ein Genie, sondern nur besonders begabt darin sei, jeweils aktuelle Underground-Strömungen zu lesen und dann zu kopieren. Ein Schwachsinn allerdings, der nicht wahrer dadurch wird, dass man ihn ständig wiederholt. Natürlich war und ist Bowie ein aufmerksamer Beobachter und Meister des Zitats. Eine Eigenschaft, die Mick Jagger einst in dem Satz zusammenfasste, man müsse immer aufpassen, was man für Schuhe trage, wenn man David treffe, da dieser garantiert einen Tag später mit dem gleichen Modell ankäme. Natürlich waren Iggy Pop, Lou Reed und Warhol ebenso wichtige Inspirationen für Ziggy wie einige schillernde Figuren des Londoner Undergrounds. Oder später auch Krautrockbands wie Neu! oder Kraftwerk für seine Alben der Berliner Phase. Der Vorwurf unterschlägt indes die Brillanz, mit der es Bowie stets gelang, derartige Einflüsse zu veredeln, zu entkontextualisieren und in den Pop zu überführen.
Die kreative Explosion des Jahres 1971 findet ihren Niederschlag schließlich in zwei Alben, die mehr oder weniger parallel innerhalb von nur zwei Wochen aufgenommen werden. Vor deren Veröffentlichung handelt Mainman Defries noch einen sensationellen Deal mit RCA aus und begibt sich mit David und Angie nach New York. Damals nimmt die langjährige Freundschaft mit Iggy Pop ihren Anfang. Bowie war fasziniert von dem Detroiter, der damals bereits auf eine veritable Protopunk-Karriere mit den Stooges zurückblickte.
Bevor Ziggy in vollem Umfang auf die Leute losgelassen wurde, veröffentlichte Bowie zunächst HUNKY DORY. Das weitaus folkiger als der Vorgänger angelegte Album ist ohne jeden Zweifel sein vorläufiges Meisterwerk und bis zum heutigen Tage eine seiner besten Platten überhaupt. Beginnend mit ›Changes‹ und ›Oh! You Pretty‹, findet er schließlich zu einem weniger rockigen Ansatz, singt Hommagen an Dylan und Warhol. Der vielleicht beste Song auf einem Album ohne Ausfälle ist dann das surreale Minidrama ›Life On Mars‹. Die Paul-Anka-Schmach nagte immer noch schwer an Bowie, mit ›Mars‹ wollte er den Beweis antreten, dass er seinerseits in der Lage war, eine Ballade auf dem Niveau von ›My Way‹ zu schreiben. Zum Abschluss des Albums widmet er sich mit dem grandios arrangierten ›The Bewlay Brothers‹ ein weiteres Mal seinem Bruder Terry – und damit einem seiner Lieblingsthemen: der Schizophrenie. So viel Arbeit bleibt nicht unbelohnt: HUNKY DORY steigt auf Platz drei in die britischen Charts ein, Bowie hat es endlich geschafft.
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