In seinem inzwischen auch zum Produzenten beförderten Manager Lambert fand Townshend von Beginn an einen engen Verbündeten. „Er sorgte dafür, dass ich das Ganze so ambitioniert und umfangreich wie möglich gestaltete“, erinnerte er sich später. Dies geschah nicht ganz ohne eigennützige Hintergedanken. Lambert hatte von Anfang an eine filmische Umsetzung im Hinterkopf. Dafür fertigte er am Ende der Aufnahmen hinter dem Rücken der Band sogar ein nie umgesetztes Script an. Als Spross des klassischen Komponisten und Dirigenten Constant Lambert wollte der Produzent TOMMY zudem unbedingt mit einem Sinfonieorchester veredeln. Townshend lehnte vehement ab. „Immer, wenn er das ansprach, nahm ich ihn zur Seite und wies ihn in die Schranken“, erinnerte sich der Gitarrist Jahre danach. „Dies war meine kreative Arbeit und ich war davon überzeugt, dass wir versuchen sollten, alle Instrumente selbst zu spielen.“
Dennoch erwies sich Lambert als oft unschätzbare Hilfe. Er schlug vor, die Handlung über einen größeren Zeitraum auszubreiten, der letztlich beide Weltkriege und deren Nachwehen einschloss. Auch die ganz am Ende der Sessions hinzugefügte ›Overture‹, die das Werk formell zumindest ein kleines Stück weit in Richtung einer konventionellen Oper schubste, ging auf seinen Vorschlag zurück. Der „konservative“ Soundmix des Albums, der mehr Gewicht auf den Gesang und damit auf die Geschichte legte denn auf die musikalische Wucht der Band, stammte ebenfalls von ihm.
Trotz des ernsten Themas der Platte waren die Aufnahmen eine „helle Freude“ für die Musiker, wie Daltrey bis heute immer wieder gerne betont. Dabei hatte gerade der Sänger anfangs etwas zu kämpfen. Nach Lamberts Willen hätte Townshend Tommys „innere“ Stimme singen sollen. Daltrey hätte als nomineller Leadsänger der Band demnach nur bei den letzten vier der 24 Songs die Titelrolle übernommen. „Während die Aufnahmen fortschritten, arbeitete er hart daran, die sanfte Falsettstimme hinzubekommen, mit der er Tommys ‚See me, feel me‘-Refrain singen konnte“, schrieb Townshend später über Daltreys Bemühungen. „Eines Tages gelang es ihm, was bedeutete, dass er nun alle Tommy-Zeilen von der Kindheit an singen konnte. Das war ein entscheidender Durchbruch.“
Doch auch die Rhythmusgruppe brachte sich nicht nur instrumental ein. Obwohl Townshend eigentlich als Kontrollfreak verschrien war, flossen immer wieder spontane Ideen seiner Mitstreiter in das Konzept ein. Weil sich der Gitarrist nicht an die Nummer des pervers veranlagten Uncle Ernie herantraute, schrieb Entwistle das mit Andeutungen vollgestopfte ›Fiddle About‹ und übernahm auch gleich noch das Stück von Ernies Sohn, Cousin Kevin, der Tommy drangsaliert. Währendessen schlug Drummer Moon kurzerhand vor, den Ort, an dem der zum Messias aufgestiegene Tommy am Ende seine Anhänger um sich schart, in ein überdrehtes Feriencamp zu verlegen. Townshend war begeistert. Anfang Februar 1969 glaubte die Band, das Album endlich fertiggestellt zu haben. Lambert lud den mit Townshend befreundeten Rockkritiker Nik Cohn der britischen Tageszeitung ,,The Guardian” ins Studio ein, sich das Werk als Erster anzuhören. Der junge Schreiber war für sein Flipper Faible bekannt und war gerade damit beschäftigt, einen Pop Roman namens ,,Arfur: Teenage Pinnball Queen” zu verfassen. Sein Urteil über TOMMY war keinesfalls vernichtend, allerdings hielt er die Story für zu humorlos. Ob es helfen würde, wenn Tommys Geschick am Flipperautomaten der Grund dafür wäre, dass er so viele Jünger um sich schart, wollte Townshend von dem Kritiker wissen. „In dem Fall würde ich dem Album natürlich fünf Sterne geben“, soll Cohn geantwortet haben.
Am nächsten Tag schrieb Townshend ›Pinball Wizard‹ und nahm eilig ein krudes, aber dennoch charmantes Demo auf. „Oh mein Gott, das ist fürchterlich, das ist das Unbeholfenste, was ich je geschrieben habe“, dachte er damals nach einiger Aussage. Er war überrascht, dass seine Mitstreiter von dem Song begeistert waren, als er ihn im Studio vorspielte. In den nächsten Wochen wurden einige Flipper-Referenzen in bereits existierende Songs wie ›Christmas‹ eingebaut und die nötigen Gesangsspuren neu aufgenommen. Dass die Geschichte mit dem nun zum Flipperkönig avancierten tauben, stummen und blinden Jungen endgültig eine Wendung ins Absurde genommen hatte, schien zu diesem Zeitpunkt niemanden mehr zu stören.
Nachträglich fand Townshend sogar einen Bezug zu Meher Baba in ›Pinball Wizard‹. Der Guru hatte einst davon gesprochen, dass Gott mit dem Universum Murmeln spielt da passte doch ein Pinball-Champion wie die Faust aufs Auge! Obwohl Tommys Talent am Flipper für das Konzept der Platte als solches nur eine untergeordnete Rolle spielte, war dieses Detail doch für viele das Zünglein an der Waage. So schrieb etwa der The-Who-Historiker Richard Barnes, dass TOMMY erst durch ›Pinball Wizard‹ von einer Gottoper zu einer Rockoper geworden sei.
Kleiner Fehler auf Seite 2 : Nicht der Liebhaber wird erschlagen sondern der Liebhaber erschlägt den heimkehrenden Vater. Sonst ein interessanter Bericht.