Baker kommentierte Jahre später: „Jim reichte mir eine Flasche Whisky und wedelte mit mehreren Tickets für die erste Reihe. Er wollte sich vor die Halle [in der die Stones spielten] stellen und sie willkürlich jungen Fans in die Hand drücken, die sich keine Karten leisten konnten, und ihnen sagen: ‚Dies ist ein Geschenk von deinem alten Kumpel Jim Morrison. Viel Spaß bei der Show‘. Er glaubte, das sei ein harmloser Weg, Jagger und Konsorten die Schau zu stehlen.“ Am nächsten Morgen flog Max
Fink in die Stadt, wo er mit Bill Siddons, ebenfalls für die Stones-Show in Phoenix, eine Kaution von 5.000 Dollar für Morrison und Baker aushandelte. Die Anklageverlesung wurde für den 24. November angesetzt. Auf dem Weg zurück zum Flughafen mit Fink und Siddons wurde Morrison mitgeteilt, dass das Strafmaß im Falle einer Verurteilung 10.000 Dollar und eine bis zu zehnjährige Haftstrafe betrage.
Am nächsten Tag kehrte Morrison ins Studio zurück, um Material für das nächste Doors-Album aufzunehmen. Die große Idee war dieselbe, die alle anderen Ende 1969 auch hatten: die Doors wieder „zurück in den Garten“, also weit weg von der auf Hochglanz polierten Klangkathedrale von THE SOFT
PARADE, und wieder zu ihren erdigen Blueswurzeln zu führen. Zwei Monate zuvor war das zweite
Album von The Band erschienen, jener Roots-Rock-Revivalisten, die sich als Begleitband von Bob Dylan
auf dessen letzten nennenswerten Tourneen 1966 einen Namen gemacht hatten. Es stand auf Platz 2
der US-Charts und der meistgespielte „Rock“-Song im Radio war ihre Single ›Up On Cripple Creek‹. Auch die Beatles schienen eine Rückkehr zu „echterer“ Musik anzustreben, nachdem sie den orchestrierten Superpop von SGT. PEPPER gegen den bodenständigeren Rock von ABBEY ROAD (in den USA im Oktober 1969 veröffentlicht) eingetauscht hatten, angekündigt von der eindeutig retro-inspirierten Single ›Get Back‹.
Dylan wiederum ging so weit zurück in der Rockgeschichte, dass sein überaus traditionelles NASHVILLE SKYLINE so manche Kritiker glauben ließ, er wolle sie verarschen. Bei den Doors war die Notwendigkeit aber wesentlich dringender, zu, weniger bombastischer Musik zurückzukehren als der, zu der sie Paul Rothchild auf THE SOFT PARADE gedrängt hatte. Schlichter Blues und Haudrauf-Rock war alles, was Morrison noch liefern konnte. Er hatte einfach nicht mehr die Aufmerksamkeitsspanne – oder die
Stimme – für etwas Komplexeres oder Zeitraubenderes. Dennoch waren die Sessions ein Kampf, wie
sich Tontechniker Bruce Botnick erinnert. „Es war ziemlich hart, ja“, sagt er. „Das erklärte Ziel war, sich
von THE SOFT PARADE zu entfernen und zurück zu den Wurzeln zu gehen. Doch selbst das war anstrengend … Es kam oft vor, dass vor allem Ray in Jims Poesiebuch etwas Interessantes fand, es ein bisschen modifizierte und sich dann mit den beiden anderen ein Arrangement ausdachte. Jim hatte dann vielleicht den Ansatz einer Melodie … Ich meine, das ging irgendwie weiter, aber es war einfach nicht viel Kreativität von Jim im Spiel.“
Paul Rothchild war unterdessen zwar bereit, anzuerkennen, dass die Experimente von THE SOFT PARADE
fehlgeschlagen waren. Doch er hasste es zutiefst, mit einem Jim Morrison zu arbeiten, der zwar schon immer unberechenbar im Studio gewesen war, früher aber wenigstens auch Songs, Texte und Melodien beigetragen hatte, die er dann gut sang. Jetzt war er nurmehr ein kaputter Säufer, so weit Rothchild feststellen konnte. Das eskalierte so sehr, dass der Produzent nicht mehr mit Morrison im selben Raum sein wollte. Rothchild „war es leid, die Doors von einem Album zum nächsten zu zerren, vor allem einen widerwilligen Jim, der praktisch nichts mehr einbrachte. Zwei von drei Malen wollte er entweder nicht arbeiten oder kam betrunken ins Studio. Er machte absichtlich Ärger, das war nie konstruktiv. Meine
meiste Energie verwendete ich dafür, Jim mit dem Rest der Gruppe zu koordinieren.“
Manager Bill Siddons erinnerte sich an eine Session, bei der Morrison zu den Proben kam und 36 Bier trank. Ray Manzarek gestand: „Die Situation war furchtbar“. Er und die anderen in der Band hatten endlich begriffen, „dass Jim ein Alkoholiker war“. Manzarek versuchte es zu rechtfertigen, indem er darauf hinwies, dass seines Wissens „eine genetische Vorbelastung zum Alkoholismus in seiner Familie existierte. Es war schwer, ihm zu sagen, er müsse nüchtern werden.“ Versuche gab es trotzdem. An
einem Nachmittag während der MORRISON-HOTEL-Sessions fuhren Manzarek, John Densmore und
Robby Krieger mit Jim zum Haus von Kriegers Vater, wo sie sich am Pool für „ein Gespräch“ mit ihm zusammensetzten. Manzarek: „Wir sagten ihm, dass uns das nun alle ernsthaft als Band betreffe und ihn auch körperlich. Jim sagte: ‚Ich weiß. Ich trinke zu viel und versuche, damit aufzuhören‘. Das war ein seltenes Geständnis. Wir sagten, dass wir ihm helfen würden, und er antwortete: ‚Danke. Aber jetzt lasst uns im Lucky-U zu Mittag essen. Ich habe Lust auf funky mexikanisches Essen und einen Drink‘.
So war Morrison. Der romantische Poet, der schrieb: ‚I woke up this morning, got myself a beer‘. Eine richtige ‚Fuck you!‘-Zeile. Und leider war das auch die Realität. Jims Einstellung war immer: ‚Nimm
dich in Acht, Mann, ich bin auf Zerstörung aus‘. Wir hofften einfach nur, dass er dieser Spirale entkommen würde. Doch mit ihm im Studio zu arbeiten, war der einzige Weg, den wir kannten, um mit seinem Problem umzugehen“. Paradoxerweise kamen sie am Ende mit dem am optimistischsten klingenden DoorsWerk überhaupt aus dem Studio. Den Anfang macht ›Roadhouse Blues‹ mit der heulenden Mundharmonika eines nicht genannten John Sebastian und dem superknackigen Bass des
Rockabilly-Veteranen Lonnie Mack. Morrison und die Band öffnen sich hier auf so unterhaltsame wie leicht verstörende Weise ihrer neuen Stoßrichtung. Die Nummer wurde zum neuen Opener für die Konzerte und zur Tourhymne in den folgenden Monaten, als die Doors allmählich wieder in einen normalen Auftrittsrhythmus zurückfanden.
Auch andere neue Tracks wie ›Peace Frog‹ waren das Warten wert, ein funky L.A.-Stampfer, auf dem Krieger eines seiner denkwürdigsten Riffs abliefert und Morrison wild über „Blood on the streets …“ in New Haven scattet, über Chicago, einen Fluss der Traurigkeit und das fantastische Los Angeles. Den Text hatte Paul Rothchild in einem der Notizbücher gefunden, die Morrison im Studio hatte liegen lassen – während er zum Trinken in die nahegelegene Bar namens Phone Booth verschwand. Er stammte aus einem Gedicht mit dem Titel „Abortion Stories“.