Der Koala-Kontinent hat der Welt schon viele bemerkenswerte Rockbands geschenkt. In ihrer Heimat scheinen diese jedoch wie Propheten im eigenen Lande recht wenig zu gelten – bis sie es anderswo geschafft haben. Tracer haben das früh begriffen und blasen gleich zum Angriff auf die Alte Welt. Neuerdings gar mit Waffengewalt!
Man möchte denken, Australien sei fruchtbarer Boden für ehrliche Rockmusik. Angelsächsische Prägung der vorherrschenden Kultur, unendliche Weiten, die nach starken Klängen schreien, kernige Menschen ohne besondere Allüren und mit liebenswertem Hang zum Feiern, ausgelassene Bierseligkeit als Nationalsport sowie ganz viele Orte, an denen man ordentlich Lärm machen kann, ohne die Nachbarn zu nerven, weil sie mindestens drei Kilometer entfernt wohnen. Unter ähnlichen Voraussetzungen wurden die USA zur unangefochtenen Supermacht (mit Kanada im Schlepptau), doch ganz unten rechts auf der Weltkarte gelten offenbar andere Regeln. Rockmusik wird viel gehört und gerne gekauft, aber wenn es um das Fördern von heimischem Talent geht, passiert offensichtlich eher wenig.
Wie bahnt man sich also trotzdem seinen Weg als hoffnungsfrohe Band mit verzerrten Gitarren im Blut? Man kann es auf die ganz harte Tour machen wie die Kollegen Airbourne. Hat geklappt, doch Tracer-Frontmann Michael Brown entschied sich anders: „Sieh dir an, was die Jungs gemacht haben. Sie sind jahrelang durchs Land gezogen, haben in einem abgewrackten Lieferwagen Tausende Kilometer zurückgelegt, um in irgendwelchen Provinznestern in der fertigsten Pubs vor 20 Leuten zu spielen und in Bier bezahlt zu werden. Dabei haben sie sicher viel gelernt und einige Fans gewonnen, aber was hat es ihnen letztlich gebracht? Im Radio wurden sie immer noch nicht gespielt! Dazu muss man natürlich wissen, dass es bei uns in Australien eigentlich nur einen Radiosender gibt, der die komplette Kontrolle darüber hat, welche neuen Bands eine Chance bekommen oder nicht. Und im Moment ist Rock eben nicht gerade der ‚flavour of the month‘. Wenn es nicht Indie, HipHop oder elektronische Musik ist, hast du kaum eine Chance. Was total beschissen ist, denn ich kann mit solchem Zeug gar nichts anfangen. So traurig es ist: Wenn du in Australien als Rockband anerkannt werden willst, musst du es erst im Ausland schaffen. So lief es letztendlich für Airbourne, und genau das versuchen wir auch. Wir haben also ganz bewusst die Entscheidung getroffen, uns nicht diese Ochsentour durch den Outback zu geben, sondern haben uns gleich darauf konzentriert, rauszukommen. Wieso all das Geld in den schrottreifen Van, das Benzin und so weiter stecken, wenn es letztlich so wenig bringt?“
Nach Jahren des etwas planlosen Vor-sich-hin-Werkelns nahm das Trio also die Zügel in die Hand und fasste den Entschluss, konsequent auf die Eroberung dankbarerer Märkte zu setzen. Mit beachtlichen Resultaten, wie Mike erklärt: „Wir haben viel gearbeitet und in unseren regulären Jobs jeden Penny auf die hohe Kante gelegt, den wir erübrigen konnten. Dazu haben wir noch in einer Coversband gespielt, die ziemlich gut lief, da kam also auch noch einiges zusammen. Und das war auch nötig, denn es ist verdammt teuer, überhaupt von hier weg zu kommen. Die Flüge und vor allem die Frachtkosten für das Equipment… Wir haben über ein Jahr eisern gespart, und sobald wir uns die Tickets leisten konnten, ging es los. So haben wir unsere ersten beiden Tourneen in Europa praktisch komplett selbst finanziert.“
Ein beachtlicher Einsatz, der sich auszahlte, denn mittlerweile sind Tracer beim renommierten Laben Mascot unter Vertrag. „Das macht schon einen riesigen Unterschied. Wir bekommen jetzt Unterstützung für das Touren, vor allem aber haben wir großes Glück mit dieser Plattenfirma, denn sie versteht unseren Ansatz und will uns helfen, zu wachsen.“ Erstaunlicherweise fruchteten diese Anstrengungen zuallererst nicht im Rock-Nirvana Amerika oder Europas dominierendem Markt Deutschland, sondern ausgerechnet in Großbritannien – einer Nation, die in aller Regel nicht dafür bekannt ist, härtere Spielarten der Gitarrenmusik zu schätzen, sondern sich lieber darin versteigt, schnarchige Indie-Kapellen für den heißesten Scheiß zu erklären. „Das hat uns auch sehr überrascht, aber bei den Briten lief es echt toll an für uns.“ Was 2012 sogar in einer Auszeichnung gipfelte: Das britische Classic Rock adelte Tracer als „Best New Band“. „Das war eine totale Überraschung für uns! Wir waren gerade in England auf Tour gewesen und hätten eigentlich zwei Wochen vor der Verleihung nach Australien zurückkehren sollen, doch dann bekamen wir den Anruf, dass wir noch für die Awards bleiben sollten. Ich kann dir sagen, der Rückflug danach war eine einzige Party – und beim Aussteigen haben wir uns ziemlich beschissen gefühlt…“ Eine Kehrseite hatte dieser frühe Erfolg auf der Insel allerdings: „Nachdem es dort so gut lief, beschlossen wir, dort auf dieser Welle zu reiten, so gut es ging. Was jedoch bedeutete, dass wir andere Orte vernachlässigen mussten. Schon von Anfang an wollten wir ja Deutschland knacken, wozu es dann nie kam. Jetzt wird das anders werden…“
Worauf wir uns wirklich freuen dürfen. Waren die ersten beiden Releases L.A.? und SPACES IN BETWEEN schon tolle Absichtserklärungen einer Band, die ganz klar weiß, wie man ein gutes Riff und eine packende Melodie in einen zielsicheren Track verpackt, legen sie mit EL PISTOLERO die Messlatte ein ganzes Stück höher. Tief tönen die Bässe, flächig galoppieren die Gitarren über trocken-wuchtige Beats, gekrönt von Mikes Vocals, die zwischen dem kehlig-satten Timbre eines Ian Astbury und dem hochfrequent-gutturalen Heulen eines Chris Cornell immer den richtigen Ton treffen. Insgesamt ergibt das ein dichtgewobenes Klangbild, das staubigen Desert- mit wummerndem Stoner-Rock und dem Breitwandflair von Tarantino-Filmen verbindet. Kyuss meets Soundgarden meets Urge Overkill meets Django? Genau das war offenbar das Ziel. „Ich hatte schon lange diese Idee“, erläutert Mike, „etwas zu machen, das einen gewissen TexMex-Vibe hat, möglicherweise inspiriert durch den Film ‚Desperado‘ von Robert Rodriguez. Einsame Revolverhelden, heiße Frauen, die es faustdick hinter den Ohren haben, beißender Wind, der dir den Sand der Wüste mitten ins Gesicht peitscht. Wir wollten dramatisch, cineastisch klingen, wie ein Spaghetti-Western.“
Dass ihnen das so brillant gelungen ist, daran trägt auch ein gewisser Herr namens Kevin Shirley Anteil, der EL PISTOLERO produzierte. „Ehrlich gesagt hatten wir noch nie von ihm gehört, aber er hat ja zum Beispiel auch Joe Bonamassa produziert, der auch auf unserem Label ist. Mascot haben Kevin auf unsere Musik aufmerksam gemacht, und als er zusagte, bekamen wir nur eine E-Mail, die besagte, wir sollen Ende November in San Francisco aufkreuzen. Als wir dann sahen, was er alles schon gemacht hat, von Aerosmith über Iron Maiden bis Beth Hart, wurde uns erst klar, wie groß dieser Typ ist. Und die Arbeit mit ihm war dann auch fantastisch. Schon am ersten Tag, als wir ihn trafen, haben wir zwei Stücke fertiggestellt, und dann jeden weiteren Tag noch mal je drei! Er hat absolut das Beste aus uns rausgeholt und innerhalb von zehn Tagen hatten wir alles eingespielt.“ Nicht nur ein Zeugnis von bestens funktionierender Zusammenarbeit, sondern auch davon, wie gut die Band vorbereitet war. „Als diese E-Mail kam, dachten wir erst mal: Fuck, wir sollten wohl besser mal anfangen, ein paar Songs zu schreiben! Na gut, ganz so war es auch wieder nicht. Wir schreiben eigentlich immer, und nach SPACES IN BETWEEN wussten wir auch sofort, was wir bei der nächsten Platte nicht mehr so machen würden und worauf wir uns verstärkt konzentrieren wollten. Außerdem haben wir durch unsere Erfahrungen der letzten Jahre natürlich auch viel an Reife gewonnen. Wir wissen jetzt besser, wohin die Reise geht, und wir konnten auch viel von anderen Bands lernen, mit denen wir zu tun hatten. Wo wir früher einfach ins Studio gingen und drauflos gejammt haben, wussten wir diesmal wesentlich genauer, wohin die Reise gehen sollte. Außerdem sind wir alle ziemliche Technik-Nerds. Wir sind uns sehr bewusst, wie gewisse Dinge den Sound verändern, wir legen großen Wert auf technische Standards und wir suchen teilweise monatelang nach bestimmten obskuren Geräten und Instrumenten, von denen wir wissen, dass sie genau den Klang erzeugen, denn wir hinbekommen wollen. Und wir sind recht sorgfältige Songwriter, denn wir nehmen unsere Arbeit immer wieder auseinander und setzen sie dann wieder zusammen.“
Kein kreatives Chaos also, keine alkohol- und THC-befeuerten Jams, bei denen zufällig mal was Brauchbares entsteht, das dann vom Produzenten mit Mühe und Not in schlüssige Lieder geformt wird, die man schließlich monatelang einzustudieren versucht, bevor es auf Tour geht. Oh nein, Tracer wissen genau, dass ihre künstlerische Vision nicht von ungefähr kommt. Und vor allem, dass sie nicht frei von ihren Inspirationsquellen ist oder gar sein kann. „Ach, wir kennen das doch alle. Viele Bands bestehen darauf, mit niemand verglichen zu werden, weil sie ja ach so eigenständig sind. Nun, ich halte es da mit David Bowie. Es gibt kaum einen Songwriter, den ich mehr verehre, denn er hat wirklich Maßstäbe gesetzt und Grenzen verschoben. Und selbst er sagte mal, dass er in seinem ganzen Leben keine einzige wirklich originelle Idee hatte. Wenn Bowie zugeben kann, dass er einfach das Beste aus seinen Einflüssen herausgeholt hat, kann ich das auch. Wieso sollte ich also leugnen, dass wir von Led Zeppelin, Queens Of The Stone Age oder Soundgarden beeinflusst wurden, wenn es doch eigentlich recht offensichtlich ist? Ich könnte dir zu so ziemlich jedem unserer Songs sagen, von welchem Stück er inspiriert wurde. Irgendwann in Zukunft wirst du mich möglicherweise wieder interviewen. Dann erzähle ich dir vielleicht, von welchen. Aber heute noch nicht“, sagt er verschmitzt, um dann anzuhängen: „Immerhin sind wir mit diesem Album viel weiter von unseren direkten Einflüssen entfernt, als das noch auf SPACES… der Fall war.“
Ein paar Jahre werden wohl noch vergehen, bis es zu besagter Offenbarung kommt. In unseren Breitengraden dagegen werden Tracer schon im Juni aufschlagen. Und können es kaum erwarten. „Ich sage das jetzt wirklich nicht nur, weil ich gerade mit einem Journalisten aus Deutschland spreche, aber von Anfang an war uns klar, dass wir es bei euch schaffen wollten. Es ist bei Rockbands in aller Welt bekannt, dass ihr echt Ahnung von dieser Musik habt, sie schätzt wie kaum ein anderes Land und die besten Fans habt, die jahrelang treu bleiben. Und als das nicht schon geil genug wäre, habt ihr auch noch das beste Bier der Welt. Viele Australier sind ja so stolz auf unsere heimischen Biermarken wie Fosters, aber ich gebe unumwunden zu, dass wir da im Vergleich zu euch absolut nichts zu melden haben. Und dann ist das Zeug bei euch auch noch so billig! In Berlin kriegt man einen halben Liter Bier für €2,50. Bei uns müsstest du für vergleichbare Qualität ungefähr das Vierfache ausgeben! Insofern fühlen wir uns in Deutschland also pudelwohl. Wenn man uns in Berlin oder auf der Reeperbahn von der Leine lässt, gibt es kein Halten mehr. Und ich wage kaum, mir vorzustellen, was passieren wird, wenn wir es irgendwann mal aufs Oktoberfest schaffen sollten…“
Auch wenn die Isarmetropole alljährlich unter den Horden feierwütiger Aussies stöhnt, die nicht unbedingt für ihr zurückhaltendes Auftreten bekannt sind – Tracer sei es gegönnt, dass dieser Wunsch irgendwann einmal in Erfüllung geht. Und wenn sich mit EL PISTOLERO der Erfolg einstellt, den dieses vorzügliche Werk verdient hat, müssen sie dafür ganz bestimmt kein ganzes Jahr mehr eisern sparen. Werte Herren, die Oberliga wartet.